Sozialversicherungs-Haftungsdilemma: Steigende Beiträge und finanzielle Risiken
Die Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge zum Jahreswechsel wirft ein Schlaglicht auf die Geschäftsleiterhaftung – im Speziellen auf das Sozialversicherungs-Haftungsdilemma. Thomas Dömmecke von Schultze & Braun erläutert im Interview, worauf Geschäftsleiter in diesem Zusammenhang achten sollten.
Herr Dömmecke, zum Jahreswechsel sind die Beiträge zur Pflege- und zur gesetzlichen Krankenversicherung gestiegen. Warum ist das für Geschäftsleiter von besonderer Bedeutung?
Dömmecke: Durch die Anhebung der Sozialversicherungsbeiträge sollen finanzielle Schieflagen bei der Kranken- und der Pflegeversicherung vermieden werden – ein Zustand, in dem sich durch die anhaltenden wirtschaftlichen Herausforderungen auch viele Unternehmen befinden. Nachvollziehbarerweise versuchen Geschäftsleiter mit allen Mitteln, eine finanzielle Schieflage und eine daraus möglicherweise resultierende Insolvenzreife ihres Unternehmens zu beheben. Angesichts der zum Jahreswechsel erfolgten Erhöhungen der Sozialversicherungsbeiträge sollten Geschäftsleiter aber die möglichen Haftungsrisiken im Blick haben. Denn dieser Schritt wirft ein Schlaglicht auf die Geschäftsleiterhaftung – gerade, da Geschäftsleiter sich, was die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung betrifft, in einem Sozialversicherungs-Haftungsdilemma befinden.
Lässt sich dieses Dilemma und seine Bedeutung für Geschäftsleiter greifbar zu machen?
Dömmecke: Ja, dazu ist aber zunächst ein Blick auf die generellen Haftungsrisiken für Geschäftsleiter in der Krise des Unternehmens wichtig: Nach § 15b der Insolvenzordnung haften Geschäftsleiter grundsätzlich für Zahlungen der Gesellschaft nach Insolvenzreife. Begleicht die insolvente Gesellschaft also eine berechtigte offene Verbindlichkeit, kann ein später eingesetzter Insolvenzverwalter vom Geschäftsleiter verlangen, dass er den Betrag erstattet – und das aus eigener Tasche. Da es oftmals um große Beträge geht, kann eine solche Haftung sehr schnell existenzbedrohende Ausmaße annehmen. Nun kommen wir zum Sozialversicherungs-Haftungsdilemma: Einerseits darf der Geschäftsleiter nach § 15b InsO grundsätzlich keine Zahlungen mehr ausführen oder ausführen lassen. Andererseits ist er jedoch nach Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht für die pünktlichen Abgaben an Fiskus und Sozialversicherung verantwortlich und auch hierfür persönlich haftbar.
Man kann also durchaus sagen, dass Geschäftsleiter in einer solchen Situation zwischen den Stühlen sitzen und sich haftungstechnisch eigentlich nur zwischen Pest und Cholera entscheiden können.
Dömmecke: Ja, so lässt sich das Dilemma kurz und knackig zusammenfassen. Hinzu kommt allerdings: Wenn ein Geschäftsleiter Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung nicht abführt, droht ihm sogar ein Strafverfahren. Bei der Verletzung steuerrechtlicher Abführungspflichten kann er sich zudem mit einem Ordnungswidrigkeitsverfahren konfrontiert sehen. Der Gesetzgeber hatte 2022 zumindest einen steuerrechtlichen Ausweg geschaffen. Danach haftet der Geschäftsleiter dann nicht nach steuerrechtlichen Vorschriften, wenn er fällige Zahlungen an den Fiskus unterlässt, aber noch rechtzeitig Insolvenzantrag stellt.
Das klingt so, als ob dieser Ausweg für Sozialversicherungsbeiträge versperrt wäre.,
Dömmecke. Ja, denn das Amtsgericht Ludwigshafen hat bereits Mitte Dezember 2022 eine Entscheidung getroffen, die besagt, dass die gesetzliche Ausnahmeregelung für Steuerzahlungen nicht auch für Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung gilt. Oder anders formuliert: Sozialversicherungsbeiträge sind keine Steuern. Da bei der Entscheidung des Amtsgerichts Ludwigshafen keine Revision zugelassen war, ist diese Entscheidung – auch wenn es sich `nur´ um eine Amtsgerichts-Entscheidung handelt – für Geschäftsleiter nach wie vor von großer Bedeutung.
Was können Geschäftsleiter mit dem Blick auf diese Entscheidung, aber auch die finanziellen Haftungsrisiken in einer Krise des Unternehmens, machen?
Dömmecke: Sie sind gut beraten, sich professionelle Hilfe zu holen, wenn ihr Unternehmen in einer Krise steckt oder darauf zusteuert. Andernfalls können eine finanzielle Haftung und mögliche strafrechtliche Folgen drohen – insbesondere, wenn zum Beispiel das Finanzamt oder eine Krankenkasse wegen nicht gezahlter Steuern oder Sozialversicherungsbeiträge einen Insolvenzantrag gegen das Unternehmen stellt. Wichtig ist zudem, dass bei Unternehmen in Krisensituationen nicht nur für Geschäftsleiter, sondern auch für Aufsichtsräte sowie Rechtsanwälte und Steuerberater, die Unternehmen beraten, besondere Anforderungen und Haftungsrisiken zum Tragen kommen.
Ab wann ein Unternehmen insolvenzreif ist
Seit dem 1. Januar 2024 greift die Insolvenzantragspflicht wieder in vollem Umfang. „Das bedeutet, dass ein Unternehmen nachweisen können muss, dass es die nächsten zwölf Monate durchfinanziert ist, um keinen Insolvenzantrag wegen Überschuldung stellen zu müssen“, sagt Alexander Eggen, Rechtsanwalt und Leiter des Frankfurter Standorts von Schultze & Braun. In seinem Beitrag erläutert er, worauf Unternehmen achten müssen, um zwölf Monate durchfinanziert zu sein, wann eine Überschuldung droht und was Geschäftsleiter dann machen sollten. Zudem geht er auch auf die Anforderungen und Besonderheiten des zweiten wichtigen Insolvenzgrunds ein, der Zahlungsunfähigkeit.