Eine Branche vor großen Herausforderungen: (Erste) allgemeine Verunsicherung

Insolvenzen in der Versicherungsbranche sind selten. Umso mehr Aufmerksamkeit erfuhr und erfährt daher die Insolvenz des Versicherungs-Startups Element Insurance, dessen Verfahren Anfang März eröffnet wurde. Aber nicht nur die Kunden, für die Element als sogenannter Risikoträger im Versicherungsfall tätig war, sondern die gesamte Branche steht vor großen Herausforderungen, wie Dr. Jürgen Erbe von Schultze & Braun erläutert.
Dürre und starke Winde sorgten im Januar für ein Flammeninferno rund um Los Angeles. Hunderttausende Menschen flüchten vor dem Feuer, fast 30 starben und tausende Häuser sind zerstört. Die Brände und ihre Folgen machen deutlich: Die durch den menschengemachten Klimawandel bedingten Katastrophen zeigen ihre Auswirkungen nicht nur direkte wirtschaftliche Schäden vor Ort, sondern auch für die Versicherer: Diedurchschnittlichen jährlichen Versicherungsprämien für Hausbesitzer haben sich in den USA die zwischen 2001 und 2021 fast verdreifacht. Am stärksten und schnellsten sind die Prämien in sogenannten Hochrisikogebieten gestiegen.
Versicherte Schäden von bis mehr als 100 Milliarden Dollar pro Jahr
Katastrophen wie die Brände in Los Angeles oder die Überschwemmungen in Spanien zeigten das Ausmaß der Schäden, die der Klimawandel bereits jetzt verursacht, erklärt Bafin-Chef Mark Branson. Allein die Brände in Kalifornien hätten Schäden von bis zu 150 Milliarden Dollar verursacht. Diese Belastungen werden auch den Finanzsektor treffen: Versicherer müssen enorme Schadenssummen schultern, Banken ihre Kredite für Häuser in betroffenen Gegenden abschreiben. „Die Unternehmen des Finanzsektors müssen sich intensiver mit den physischen Risiken des Klimawandels auseinandersetzen.“ Aber auch in Deutschland, wo immer häufiger Starkregenereignisse und Überschwemmungen auftreten, werden sich die Prämien für Hausversicherungen in den nächsten zehn Jahren voraussichtlich verdoppeln. Bei Naturkatastrophen und Klimawandel zeigten Daten der Münchner Rück einen steigenden Trend bei den versicherten Schäden. Insgesamt liegen demnach die weltweit versicherten Jahresschäden durch Naturkatastrophen mittlerweile häufig über der Schwelle von 100 Milliarden Dollar.
Insolvenzen, Insolvenzen, Insolvenzen
Die Versicherungsbranche ist aber auch vom Anstieg der Insolvenzen in vielen Branchen betroffen. So mussten die Warenkredit- und Kautionsversicherer nach einer Hochrechnung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) im vergangenen Jahr Schäden in Höhe von fast einer Milliarde Euro ausgleichen – das entspricht einer Steigerung von rund 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Gegenüber 2021 habe sich die Summe der versicherten Zahlungsausfälle sogar verdoppelt. Und für dieses Jahr rechnen die deutschen Kreditversicherer mit einem weiteren Anstieg auf bis zu 24.500 Unternehmensinsolvenzen. Dabei deckten die deutschen Kreditversicherer mit über 600 Milliarden Euro 2024 höhere Ausfallrisiken als je zuvor. Zum Deckungsvolumen der Warenkreditversicherung (505 Milliarden Euro) kamen weitere 97 Milliarden Euro aus Kautionsversicherungen, mit denen die Versicherer Bürgschaften und Garantien zur Verfügung stellen.
Mehr Schäden, mehr Wettbewerb
Aber nicht nur steigenden Schäden, sondern auch zunehmender Wettbewerb stellen für die Versicherungsbranche eine Herausforderung dar. Dazu gehörte auch das nun insolvente InsurTech Element, das eines von wenigen Startups war, denen die Bafin in den vergangenen Jahren eine Lizenz als Versicherer erteilt hatte. Das Berliner Insurtech war als sogenannter White-Label-Versicherer im Markt aktiv: Element trat also nicht direkt unter eigenem Namen an Kunden heran, sondern vertriebseine Versicherungen über Partner. Diese integrieren die Policen mittels technischer Lösungen in ihre Produkte. Zu Insurtechs mit solchen Geschäftsmodellen zählen beispielsweise auch Getsafe und Neodigital.
Element entwickelte für Partner wie Volkswagen oder Borussia Dortmund Versicherungsprodukte, sammelte rund 150 Millionen Euro von Investoren ein, zählte nach eigenen Angaben zeitweise über 200.000 Kunden und zu den größeren Investoren gehörten unter anderem das Versorgungswerk der Zahnärztekammer Berlin. Grund für die Insolvenz soll Medienberichten zufolge das Auslaufen des wichtigsten Rückversicherungsvertrages durch die Hannover Rück Ende 2023 gewesen sein. Ohne diese Unterstützung forderte die BaFin frisches Kapital von Element und verhängte einen Neukundenstopp. Trotz intensiver Suche konnten die benötigten Mittel nicht beschafft werden. Zudem lehnten große Investoren wie das Versorgungswerk der Zahnärztekammer Berlin weiteres Engagement ab.
Kein Einzelfall
Die Insolvenz von Element ist jedoch kein Einzelfall und reiht sich in eine Serie von Krisen in der deutschen Insurtech-Branche ein. Aus den einstigen Hoffnungsträgern sind oftmals Sorgenkinder geworden. Marktführer Wefox wird derzeit in Einzelteile zerschlagen und sein Versicherungsgeschäft in Deutschland aufgeben. Die Entwicklungen führten zu einer drastischen Neubewertung des einst mit 4,5 Milliarden Euro bewerteten Startups. Der Gewerbeversicherer Mailo gab 2022 seine Versicherungslizenz zurück, den Bestand übernahm Element. Im selben Jahr übernahm das französische Startup Luko den Berliner Digitalversicherer Coya, und wurde ein Jahr später vom deutschen Konkurrenzen Getsafe geschluckt. Und im November 2024 meldete der Cyber-Assekuradeur Cogitanda Insolvenz an. Grundsätzlich gilt: Geraten Versicherer, aber auch Banken in eine wirtschaftliche Schieflage, kommen aufgrund ihrer zentralen und systemrelevanten Bedeutung branchenspezifische Besonderheiten zum Tragen.
Eine weitere Besonderheit stellt auch die Digitalisierung der Geschäftsmodelle dar, die eines der beherrschenden Themen der Versicherungswirtschaft ist. Eine Gründungswelle brachte in den letzten gut zehn Jahren eine neue Gruppe von InsurTech-Startups hervor, aber auch die etablierten Versicherer stellen die Digitalisierung ihrer Geschäftsmodelle in ihrer Kommunikation inzwischen weit nach vorne. Die Entwicklung wirft ein Schlaglicht auf die Herausforderungen, mit denen vor allem die Gruppe der White-Label-Versicherer, zu der ja auch Element zählte, aktuell zu kämpfen hat: ein beeindruckendes Wachstum flankiert von Finanzierung über mehrere Kapitalrunden sind keine Garantie für den Sprung in die Profitabilität.
Einbruch bei Neugründungen
Gleichzeitig führten die steigende Inflation der letzten Jahre und der damit verbundene Zinsanstieg zu einem Rückgang bei den Risikokapitalinvestments. Betroffen sind vor allem Modelle, deren großes Risiko es ist, im Ringen um Neukunden von den extrem hohen Marketing- und Vertriebsaufwendungen zerrieben zu werden. Es gibt dann zwar einen Kundenstamm, der reicht aber nicht aus, um die Fixkosten zu decken. Diese können zwar im Fal der Fälle bis zu einem gewissen Punkt heruntergefahren werden, dann aber verfügen die Startups über keine Ressourcen mehr, um auf der Vertriebsseite echte Erfolge zu generieren. Ein Indikator, der die Entwicklung gut beschreibt, ist die Gründungsflaute in der Branche: Im Jahr 2024 wurde überhaupt kein neues Start-up im Versicherungsbereich mehr gegründet. Das ergab eine Auswertung des New Players Network (NPN), eine Initiative der Versicherungsforen Leipzig. 2018 gab es noch 32 neue Insurtechs, 2021 waren es 24 und 2023 schließlich nur noch fünf. Zudem legte die Bafin die Hürden für Neugründen im Jahr 2021 höher und verlangte schon zum Start, dass die Startups über deutlich mehr Eigenmittel verfügen müssen, als das bei vergleichbaren Vorgängern der Fall war.
Trotzdem sind die deutschen Versicherer grundsätzlich solide aufgestellt. Die deutschen Versicherer stellen mit dem jüngsten EIOPA-Stresstest ihre Stabilität unter Beweis. Die Simulation der Versicherungsaufsicht zeigt, dass die Solvenz aller getesteten Versicherungsgruppen auch unter Extrembedingungen gesichert bleibt. Gleichzeitig steht die europäische Versicherungsbranche mit der kürzlich verabschiedeten Überarbeitung der Solvency-II-Richtlinie und der Insurance Recovery and Resolution Directive (IRRD) vor wesentlichen Veränderungen, die die Versicherungsunternehmen verpflichtet, präventive Sanierungs- und Abwicklungspläne für den Krisenfall zu erstellen. Diese Richtlinie soll die Resilienz der Branche weiter stärken. Es ist also durchaus davon auszugehen, dass die Herausforderungen für die Branche noch eine ganze Zeit lang anhalten werden.
Dr. Jürgen Erbe, MBA
ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht bei Schultze & Braun. Er wird bundesweit an verschiedenen Gerichten bestellt und hat bereits zahlreiche Unternehmen in ihren Insolvenz-, Eigenverwaltungs- oder Schutzschirmverfahren begleitet – als Insolvenzverwalter, Sachwalter und als CRO.