Insolvenzreife Unternehmen: Haftung der Berater auch ohne konkretes Mandat
Der BGH hat die Haftungsrisiken für Rechtsanwälte und Steuerberater erheblich erweitert, die Unternehmen beraten. Dr. Ludwig J. Weber und Thomas Dömmecke von Schultze & Braun ordnen die Entscheidung und ihre Auswirkungen ein – gerade auch mit dem Blick auf Unternehmen in einer Krise.
Rechtsanwälte und Steuerberater, die Unternehmen beraten, sollten das Risiko einer persönlichen Haftung generell nicht unterschätzen. Das gilt nach einer kürzlich veröffentlichten Entscheidung (IX ZR 56/22) des BGH umso mehr, da damit die Haftungsrisiken im Zusammenhang mit der Insolvenzantragspflicht erheblich erweitert worden sind – und zwar gerade auch, wenn die Beratung über Insolvenzgründe nicht Hauptleistung der Mandatsvereinbarung ist.
Wenn sich eine Insolvenzantragspflicht aufdrängt
Die Entscheidung besagt, dass schon dann, wenn sich eine Insolvenzantragspflicht aufdrängt, den Berater eine Hinweis- und Schutzpflicht gegenüber der Geschäftsführung trifft. Das bedeutet, dass ein Berater die Geschäftsführung in einem solchen Fall darauf hinweisen muss, dass das Unternehmen insolvenzreif ist, die Geschäftsführung insoweit besondere Handlungspflichten treffen und deren Nichteinhaltung weitgehende Konsequenzen hat. Ansonsten droht dem Berater eine persönliche Haftung, wenn die Geschäftsführung zum Beispiel weiterhin Zahlungen veranlasst, die dann ja zu Lasten der Insolvenzmasse gehen.
So war es auch im Fall, um den es vor dem BGH ging: Ein Vater und sein Sohn waren als Geschäftsführer der Komplementärgesellschaft einer GmbH & Co. KG tätig – der Sohn als eingetragener und bestellter Geschäftsführer, der Vater als faktischer, der ohne Bestellung und Eintragung im Handelsregister die Geschäfte führte. Solche Fälle gibt es in der Praxis häufig – etwa, wenn der Unternehmensgründer „nicht loslassen kann“ und nach offiziellem Rücktritt weiter die Geschicke in der Hand behält oder ein Investor zu viel Einfluss auf das operative Geschäft nimmt. Doch zurück zum Fall vor dem BGH: Vater und Sohn hatten – obwohl die GmbH & Co. KG bereits insolvenzreif war – noch Zahlungen geleistet, für die der spätere Insolvenzverwalter die beiden erfolgreich in Anspruch genommen hat.
Regressanspruch gegen den Berater
In erster Linie nimmt ein Insolvenzverwalter zwar die Geschäftsführung auf Basis von § 15b der Insolvenzordnung in Anspruch. Die Geschäftsführung wiederum kann jedoch einen eigenen Regressanspruch gegen den Berater haben. So war es auch im Fall vor dem BGH. Ihre eigenen Ansprüche haben Vater und Sohn an den Insolvenzverwalter abgetreten, der dann auf den Versicherer des inzwischen selbst insolventen Rechtsanwalts zugegangen ist. Die Klage war darauf gestützt, dass der Rechtsanwalt seine Beratungspflichten gegenüber Vater und Sohn im Blick auf eine bestehende Insolvenzreife der Kommanditgesellschaft verletzt habe. Denn als formaler und faktischer Geschäftsführer wären beide in den Schutzbereich der Mandatsverträge zwischen Kommanditgesellschaft und Rechtsanwalt einbezogen, so der BGH.
Mit seiner Entscheidung stellt der BGH höchstrichterlich fest, dass die Hinweis- und Warnpflicht eines Rechtsberaters auch dann greifen kann, wenn die Beratung über Insolvenzgründe nicht die Hauptleistung der Mandatsvereinbarung ist. Der BGH knüpft damit an seine bisherige Rechtsprechung zu den Hinweis- und Warnpflichten eines Steuerberaters an, der mit der Erstellung des Jahresabschlusses betraut ist und dabei auf einen möglichen Insolvenzgrund aufmerksam wird.
Erhöhte Vorsicht und Vorsorge
Zwar gibt es in der aktuellen Entscheidung des BGH einige Einschränkungen – so muss der Insolvenzgrund offenkundig sein oder sich aufdrängen – jedoch sollten Rechtsberater, die ein Unternehmen regelmäßig beraten, im Krisenfall erhöhte Vorsicht und Vorsorge walten lassen – besonders dann, wenn sie im Insolvenzrecht nicht firm sind.
Um auf Nummer Sicher zu gehen, sollten Rechtsberater, aber auch Steuerberater, bei den ersten Krisenanzeichen des Unternehmens, das sie beraten, einen Experten für Insolvenzrecht hinzuziehen. Gemeinsam sollte die Situation dann bewertet werden, um zusammen mit der Geschäftsführung die erforderlichen Schritte zu unternehmen. Ein frühes Handeln kommt nicht nur der Geschäftsführung zur Vermeidung einer Haftung zugute. Auch sind die Chancen größer, die Krise zu meistern, je früher sie erkannt wird und entsprechende Gegenmaßnahmen ergriffen werden.
Die Autoren
Dr. Ludwig J. Weber und Thomas Dömmecke sind Partner von Schultze & Braun und Experten für Sanierungsberatung, Gesellschaftsrecht sowie für die Abwehr von krisen- und insolvenzspezifischen Haftungssachverhalten. Die beiden Rechtsanwälte sind am Bremer Standort der bundesweit vertretenen Kanzlei tätig.