Welche Haftungsrisiken Aufsichtsräten bei Pflichtverletzungen drohen und wie sie sich schützen können
Gerade in einer Krise des Unternehmens gibt es für Aufsichtsräte zahlreiche Haftungsrisiken, wenn sie ihren Überwachungs- und Kontrollpflichten nicht oder nur unzureichend nachkommen. Im Interview erläutert Thomas Dömmecke die Punkte, die Aufsichtsräte in diesem Zusammenhang im Blick haben sollten.
Herr Dömmecke, welche Haftungsrisiken drohen Aufsichtsräten bei Pflichtverletzungen?
Dömmecke: Wenn Mitglieder eines Aufsichtsrats ihre Pflichten schuldhaft verletzen, haften sie über den Verweis in § 116 des Aktiengesetzes wie die Mitglieder des Vorstandes nach § 93 Absatz 2 Aktiengesetz persönlich, also mit ihrem eigenen Vermögen.
Da stellt sich direkt die Frage, wann überhaupt eine Pflichtverletzung durch einen Aufsichtsrat vorliegt?
Dömmecke: Um diese Frage zu beantworten, muss man zunächst den Blick auf die Pflichten richten, die ein Aufsichtsratsmitglied hat. In § 111 Absatz 1 Aktiengesetz ist die Überwachung und Kontrolle der Geschäftsführung des Vorstandes als zentrale Aufgabe des Aufsichtsrats festgelegt. Dabei geht es darum, dass der Aufsichtsrat Leitungsmaßnahmen des Vorstandes daraufhin zu kontrollieren hat, ob sie zweckmäßig, rechtmäßig und wirtschaftlich sind – präventiv, aber auch im Nachgang mit einem vergangenheitsbezogenen Blick.
Wie lässt sich die Kontrolle der Geschäftsführung des Vorstands gewährleisten?
Dömmecke: Dazu kann nach § 111 Absatz 4 Satz 2 Aktiengesetz in der Satzung ein Katalog von Geschäftsführungsmaßnahmen vorgesehen sein, die der Vorstand nicht ohne Zustimmung des Aufsichtsrates vornehmen darf. Dabei handelt es sich regelmäßig um Entscheidungen, die für das Unternehmen grundlegende Bedeutung haben oder ein besonderes Risiko mit sich bringen.
Kann der Aufsichtsrat einen solchen Maßnahmen-Katalog auch selbst festlegen?
Dömmecke: Ja, das kann er – und gegebenenfalls muss er dies sogar von sich aus tun. Wichtig ist: Indem er seine Vorbehalte äußert, kann der Aufsichtsrat – wenn auch nur indirekt über ein Vetorecht – aktiv in die Führung der Gesellschaft eingreifen. Die Mitglieder des Aufsichtsrats machen sich neben dem Vorstand haftbar, wenn sie ihr Vetorecht bei einer Entscheidung nicht ausüben, dies jedoch bei pflichtgemäßem Handeln hätten tun müssen. In einem solchen Fall haften die Aufsichtsratsmitglieder für den entstandenen Schaden mit ihrem Privatvermögen.
Wie erhält der Aufsichtsrat Kenntnis von den Maßnahmen des Vorstands?
Dömmecke: Der Vorstand ist dem Aufsichtsrat gegenüber zu einer regelmäßigen Berichterstattung verpflichtet. Zusätzlich kann der Aufsichtsrat nach § 90 Absatz 3 Aktiengesetz über die Angelegenheiten der Gesellschaft sogenannte Ad hoc-Berichte verlangen. Darüber hinaus kann der Aufsichtsrat nach § 111 Absatz 2 Satz 1 Aktiengesetz die Bücher, Schriften und Vermögensgegenstände der Gesellschaft einsehen und prüfen – auch mit Hilfe von Sachverständigen.
Was geschieht, wenn die Aufsichtsratsmitglieder die ihnen zur Verfügung stehenden Instrumente nicht oder nur unzureichend nutzen?
Dömmecke: Die Aufsichtsratsmitglieder sind dazu verpflichtet, sich eine ausreichend Wissensgrundlage für die Erledigung ihrer Aufgaben zu verschaffen, stellt auch diese Pflichtverletzung ein Haftungsrisiko dar.
Woran orientieren sich die Anforderungen an die Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats?
Dömmecke: Die wirtschaftliche Lage des Unternehmens stellt den Maßstab dar. So sind die Anforderungen in der Krise zum Beispiel deutlich höher als im „Normalbetrieb“. In einer solchen Situation müssen die Mitglieder von Aufsichtsräten nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs alle ihnen zur Verfügung stehenden Informationsquellen nutzen. Erhöhte Anforderungen an die Überwachungstätigkeit können aber auch dann vorliegen, wenn ein Mitglied über besondere Sachkenntnis verfügt oder eine besondere Funktion ausübt.
Sie sprechen davon, dass die Anforderungen an die Informations- und Sorgfaltspflicht im Krisenfall besonders hoch sind und die Begründungen für eine Inanspruchnahme vielschichtig sein können. Können Sie das anhand von Beispielen verdeutlichen?
Dömmecke: Die besonderen Ansprüche und die vielschichtigen Begründungen lassen sich gut an zwei Beispielen aus meiner Praxis zeigen. Im ersten hatte der Insolvenzverwalter eines Industrieunternehmens gegen den Aufsichtsratsvorsitzenden eine Haftungsklage mit der Begründung angestrengt, der Aufsichtsratsvorsitzende habe Risiken für die Gesellschaft prüfen, erkennen und abwenden müssen, die angeblich in der Kalkulation und der Vertragsgestaltung eines Großprojekts angelegt waren. Trotz des akuten Krisenstadiums der Gesellschaft habe er es aber unterlassen, Aufsichtsratssitzungen einzuberufen und dort das Projekt zur Diskussion zu stellen. Auch wäre der Aufsichtsrat verpflichtet gewesen, einen Zustimmungskatalog für die Geschäftsführung zu implementieren und dessen Beachtung durchzusetzen. Da es einen solchen nicht gegeben habe, sei das Großprojekt ohne Beteiligung des Aufsichtsrates eingegangen worden und habe durch sein vorhersehbares Scheitern die Insolvenz des Industrieunternehmens herbeigeführt.
Das Beispiel zeigt bereits die zahlreichen Facetten der Thematik. Worum ging es beim zweiten Fallbeispiel?
Dömmecke: Ein Insolvenzverwalter einer Aktiengesellschaft hat Aufsichtsratsmitglieder mit der Begründung in Anspruch genommen, dass diese überhöhte Tantiemenzahlungen an Vorstandsmitglieder gebilligt hätten. Problematisch war hier insbesondere, dass die entsprechenden Beschlüsse des Gesamtaufsichtsrates nicht gerichtsfest dokumentiert waren und so der Eindruck entstand, die Zahlungen seien von einzelnen Mitgliedern ohne Beschluss freigegeben worden.
Die Bandbreite der Anforderungen und der möglichen Inanspruchnahmen ist also sehr groß. Wie kann sich ein Aufsichtsratsmitglied schützen?
Dömmecke: In diesem Zusammenhang ist zunächst ein Blick darauf wichtig, was Aufsichtsratsmitglieder nicht unterlassen sollten: Nach § 93 II Aktiengesetz hat jedes Mitglied eines Aufsichtsrats seine Tätigkeit mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Aufsichtsratsmitglieds zu erledigen. Der Bundesgerichtshof hat in diesem Zusammenhang festgelegt, dass jedes Aufsichtsratsmitglied verpflichtet ist, sich die Fähigkeiten anzueignen, die notwendig sind, um die normalerweise anfallenden Geschäftsvorgänge verstehen und beurteilen zu können. Das bedeutet für Aufsichtsräte, dass in bestimmten Situationen – etwa im Krisenfall – erhöhte Anforderungen an ihre Sorgfaltspflichten gelten, es jedoch nicht haftungsmildernd ins Gewicht fällt, wenn sie es versäumt haben, sich notwendige Fähigkeiten rechtzeitig anzueignen. Ansonsten ist es ratsam, sachkundige Berater hinzuzuziehen.
Welche Rolle spielt bei den Haftungsrisiken für Aufsichtsratsmitglieder die Beweislastumkehr des § 93 Aktiengesetz?
Dömmecke: Sie spielt eine wichtige Rolle. Denn jedes in Anspruch genommene Aufsichtsratsmitglied steht dadurch in der Pflicht zu beweisen, dass es nicht pflichtwidrig gehandelt hat. In der Praxis stellt dies oftmals eine große Herausforderung dar – gerade auch für ehemalige Mitglieder des Aufsichtsrats. Die Haftung eines Aufsichtsrats verjährt erst nach fünf Jahren, bei Börsennotierung sogar erst nach zehn Jahren.
Was raten Sie Aufsichtsräten vor diesem Hintergrund?
Dömmecke: Aufsichtsräte sollten ihre Informationsbemühungen und Tätigkeiten gerade in einer Krisensituation der Gesellschaft dokumentieren. Ein solches Vorgehen kann ihnen getreu dem Motto „Wer schreibt, der bleibt!“ helfen, wenn sie sich mit Haftungsansprüchen konfrontiert sehen und darlegen und beweisen müssen, dass sie pflichtgemäß gehandelt haben oder – falls nicht – der Schaden auch bei pflichtgemäßem Handeln entstanden wäre.
Kann eine solche Dokumentation auch darüber hinaus hilfreich sein?
Dömmecke: Ja, sie kann unter Umständen auch die Basis einer Haftungs-Entlastung nach der sogenannten Business-Judgement Rule bilden. Diese greift, wenn es sich um eine unternehmerische Entscheidung handelte, die auf einer angemessenen Informationsbasis erfolgte und von der das Aufsichtsmitglied frei von Interessenskonflikten annehmen durfte, dass sie zum Wohle der Gesellschaft sei.
Welche Bedeutung hat das Thema Haftung des Aufsichtsrats für D&O-Versicherer?
Dömmecke: Das Thema ist für die D&O-Versicherer von großer Bedeutung – gerade auch, da es in solchen Fällen in der Regel um hohe Schadenssummen geht und die Versicherer daher mitunter die einzige Partei sind, die diese überhaupt bezahlen könnte. Daher nehmen D&O-Versicherer in Organhaftungsprozessen oftmals eine zentrale Rolle ein.