Wirtschaftliche Schieflage: Krisenanzeichen frühzeitig erkennen

12. Februar 2025 Blog Insolvenzrecht Restrukturierung und Sanierung Wirtschaftsrecht

Unternehmen sehen sich einer Vielzahl an wirtschaftlichen Herausforderungen gegenüber. Fakt ist: Kein Unternehmen ist davor gefeit, in eine wirtschaftliche Schieflage zu geraten. Wenn Krisenanzeichen aber frühzeitig erkannt werden, stehen die Chancen gut, eine Krisensituation zu meistern oder sie sogar komplett zu vermeiden. Stefan Höge und René Schmidt von Schultze & Braun erläutern, worauf Geschäftsleiter dabei achten sollten.

Spätestens mit Beginn des Ukraine-Kriegs und der parallel seit Juni 2023 rollenden Insolvenzwelle mit zweistelligen prozentualen Steigerungsraten haben die finanziellen Risiken für Unternehmen noch einmal stark zugenommen. Wichtig ist, die Augen nicht zu verschließen, wenn ein Unternehmen auf eine Krise zusteuert oder sich bereits in einer befindet, sondern so früh wie möglich mit Gegenmaßnahmen zu beginnen – am besten dann, wenn die Krise noch nicht eingetreten ist und das Unternehmen noch finanzielle Reserven hat. 

Woran eine Krise frühzeitig zu erkennen ist

Doch wie lässt sich eine Krise frühzeitig erkennen? Fakt ist: Ein Unternehmen befindet sich spätestens dann in einer (existenziellen) Krise, wenn es von dritter Seite keinen Kredit mehr zu marktüblichen Bedingungen erhält – wenn also, vereinfacht gesagt, die externen Finanzierer die Versorgung mit Liquidität einstellen. Die gute Nachricht ist aber, dass keine Krise einfach über Nacht kommt (siehe Informationskasten zu den Krisenstadien) und Geschäftsleiter eine Krise frühzeitig anhand bestimmter Anzeichen erkennen können.

Die Anzeichen für eine sich anbahnende Krise sind allerdings vielfältig. Der Vorteil ist, dass dadurch einerseits die Identifikation einer Krise erleichtert wird, jedoch das Auftreten mehrere Krisenanzeichen mitunter auch dazu führt, dass mehrere Gegenmaßnahmen gleichzeitig oder zeitnah nacheinander eingeleitet werden müssen, um die Krise zu vermeiden oder die bereits eingetretene Krise zu meistern. 

Zu den häufigsten und aussagekräftigsten Krisenanzeichen in einem Unternehmen gehören:

  • Umsatzrückgänge im laufenden Geschäftsjahr

  • wiederholter Bestandsaufbau bei niedrigen Erträgen (negativer zahlungsorientierter Cash Flow)

  • durch wiederholte Verluste aufgezehrtes Eigenkapital

  • notwendige Preisanpassungen über den marktüblichen Umfang hinaus

  • lange Zeit ausstehende und/oder nicht mehr einbringliche Forderungen gegenüber Kunden

  • ausgeschöpfte Kreditlinien bei den finanzierenden Banken

  • rückständige Tilgungsraten des Unternehmens bei seinen Krediten

  • Rückgaben von Lastschriften auf dem Unternehmenskonto

  • beim Unternehmen eingehende Mahnungen, Mahn- und Vollstreckungsbescheide

  • unbezahlte Sozialversicherungsbeiträge für die Mitarbeitenden

  • eingeleitete Vollstreckungen durch das Finanzamt

Wenn die Geschäftsleitung hinsichtlich eines oder mehrerer dieser Krisenanzeichen feststellt, dass sie eintreten werden oder bereits vorliegen, sollten sie sich schnell professionelle Hilfe holen. Denn dann steuert ihr Unternehmen absehbar auf eine Krise zu oder steckt sogar bereits in einer solchen. Gerade im akuten Krisenfall lautet die Devise für Geschäftsleiter „Keine Zeit verlieren“, denn seit dem Jahreswechsel 2023/2024 greift die Insolvenzantragspflicht wieder in vollem Umfang und Geschäftsleitern drohen eine finanzielle Haftung sowie mögliche strafrechtliche Folgen wegen Insolvenzverschleppung, wenn sie die gesetzlichen Fristen (bei Zahlungsunfähigkeit drei Wochen bzw. bei Überschuldung sechs Wochen) für einen Insolvenzantrag nicht einhalten (siehe auch Informationskasten „Selbst eine Insolvenz muss nicht das Ende bedeuten“). 

 

Krisenstadien

Natürlich ist es am besten, wenn ein Unternehmen erst gar nicht in eine Krise gerät. Geschieht dies doch, sollten frühzeitig Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Denn je früher eine notwendige Restrukturierung beginnt, desto größer sind die Chancen für einen erfolgreichen Abschluss. Treten Krisenanzeichen auf, muss sich die Geschäftsleitung so schnell wie möglich ein umfassendes Bild vom wirtschaftlichen und operativen Status Quo machen. Dies gilt unabhängig davon, in welcher Stufe einer Krise sich ein Unternehmen befindet. Selbst wenn sich herausstellt, dass bereits das vierte Krisenstadium der Erfolgskriseerreicht ist, das Eigenkapital annähernd aufgezehrt ist und die Liquidität schwindet, gibt es weiterhin vielfältige Möglichkeiten der Restrukturierung und Sanierung, um die Fortführung des Geschäftsbetriebs zu sichern. Nachfolgend werden beispielhaft (branchenübergreifend) die sechs relevanten Krisenstadien aufgezeigt.

 

Stakeholder-Krise: Mangelndes Vertrauen im Gesellschafterkreis, in der Unternehmensführung, bei Aufsichtsgremien und Mitarbeitenden.

Anzeichen:

  • Nachlässiges Führungsverhalten
  • Konflikte auf Ebene der Stakeholder
  • Kein erkennbares Unternehmensleitbild
  • Geringe Motivation bei Mitarbeitenden, schwindende Unternehmenskultur
  • Ignorierung der Auswertungen des Controllings

Gegenmaßnahmen:

  • Erarbeitung eines Konzepts zur transparenten Kooperation zwischen den Stakeholdern
  • Anpassung des Unternehmensleitbildes unter Beachtung der Marktanforderungen
  • Schaffung von Anreizsystemen für Mitarbeitende

 

Strategiekrise: Wegfall der betrieblichen Erfolgsfaktoren ohne Ersatz durch innovative Erfolgspotentiale.

Anzeichen:

  • Viele ältere Produkte/Dienstleistungen im Reifestadium
  • Wenige neue Produkte/Dienstleistungen in der Entwicklungsphase
  • Mangelnde Wettbewerbsfähigkeit mit schrumpfenden Marktanteilen
  • Stagnierung der Nachfrage
  • Fehlende Investitionen

Gegenmaßnahmen:

  • Analyse der Zukunftsfähigkeit der bestehenden Absatzfelder
  • Fokussierung auf das Kerngeschäft
  • Aufnahme neuer Geschäftsfelder
  • Anpassung des Produkt-/Dienstleistungssortiments
  • Neudefinition der strategischen Ziele mit Benennung konkreter Maßnahmen
  • Prüfung von Synergieeffekten mit Mitbewerbern

 

Produkt- und Absatzkrise: Stark rückläufige Nachfrage nach den Hauptumsatzträgern.

Anzeichen:

  • Unzureichendes Marketingkonzept
  • Qualitätsmängel in der Leistungserbringung sowie im Service
  • Preispolitik ohne Kalkulation
  • Aufbau von Lager- und Vorratsbestand
  • Wegfall von Stammkunden bei unzureichender Neukundenakquise

Gegenmaßnahmen:

  • Anpassung des Marketing- und Vertriebskonzeptes
  • Planung von Verkaufs- und Rabattaktionen
  • Eliminierung der Mängel in Leistungserbringung und Service
  • Verbesserung der bestehenden Produkte/Dienstleistungen und Neuausrichtung am Kundenbedarf

 

Erfolgskrise: Wiederholte Verluste mit drohender Aufzehrung der Eigenkapitals.

Anzeichen:

  • mangelnde Umsatzrendite bzw. Verluste
  • Anstieg von Material- und/oder Personalkosten
  • Eigenkapitalverzehr
  • Kapitalnot bei geringem Kontokorrent-Spielraum

Gegenmaßnahmen:

  • Einkaufskooperationen
  • Reduzierung nicht zwingend notwendiger Betriebskosten
  • Vermeidung betrieblicher Doppelprozesse
  • Neukalkulation der Produkt-Dienstleistungspreise
  • Optimierung der Produktions-/Dienstleistungsverfahren
  • Make-or-buy-Analyse

 

Liquiditätskrise: Mangelnde Liquidität in Euro und in Prozent als Folge der bisherigen Krisenstadien.

Anzeichen:

  • Überschreitung der Zahlungsziele der Gläubiger
  • Wiederholt unpünktliche Lohnzahlungen
  • Zunahme der Mahnungen
  • Rückgaben von Lastschriften
  • Überziehungen der Kontokorrent-Linien

Gegenmaßnahmen:

  • Bareinlagen der Gesellschafter
  • Akquise von Beteiligungskapital
  • Veräußerung von nicht betriebsnotwendigem Vermögen
  • Verkürzung eigener Zahlungsziele
  • Stundungen seitens der Hauptlieferanten
  • Stundungen von Tilgungsleistungen
  • Ausweitung bestehender Kontokorrent-Linien
  • Umschuldung durch Bankdarlehen
  • Rückforderung eigener Darlehen an Gesellschafter
  • Beitreibung offener Altforderungen
  • Factoring
  • Sale-and-Lease-back

 

Insolvenzreife: Eingetretene Überschuldung (mit negativer Fortführungsprognose über 12 Monate) bzw. eingetretene Zahlungsunfähigkeit (Unterschreitung des Liquiditätsgrenzwertes von 90 Prozent ohne Schließung binnen drei Wochen). 

  • eine einmal eingetretene Zahlungsunfähigkeit wird regelmäßig erst beseitigt, wenn die geschuldeten Zahlungen an die Gesamtheit der Gläubiger im Allgemeinen wieder aufgenommen werden und wenn die „Altverbindlichkeiten“ durch die Besserung überwiegend getilgt werden

Eine Krise überwinden

Ob ein Unternehmen eine Krise überwinden kann, hängt in der Praxis nicht nur davon ab, ob eine obligatorische realistische Fortführungsprognose erstellt werden kann und die Gegenmaßnahmen zur Beseitigung der Krise wie geplant umgesetzt werden können. Hinzu kommen auch weitere Aspekte, die bei der Erstellung der Fortführungsprognose für das Unternehmen beachtet werden müssen. Die wichtigsten sind dabei:

  • Die Bereitschaft der Gesellschafter, selbst weitere (wirtschaftliche) Risiken einzugehen: Neben der Bereitstellung weiterer Sicherheiten oder zusätzlicher Einlagen können die Gesellschafter auch ihr Entnahmeverhalten aus dem Unternehmen ändern, zu persönlichen Einschränkungen und gegebenenfalls Veränderungen in der Gesellschafterstruktur bereit sein.

  • Beziehungen zu den finanzierenden Banken: Eine freiwillige Informationsbereitstellung – etwa durch Weitergabe betriebswirtschaftlicher Auswertungen und Offene-Posten-Listen – sowie eine regelmäßige Kontaktpflege durch das Unternehmen können dazu beitragen, dass die finanzierenden Banken auch in einer (drohenden) Krise die zugesagten Kreditlinien zumindest aufrechterhalten.

  • Realistische Bewertung der wirtschaftlichen Situation durch die Führungskräfte: Neben einem ungeschönten Blick auf den (möglichen) Ernst der Lage ist zum Beispiel die Bereitschaft zu einer Veränderung von Führungsstrukturen erforderlich, die gegebenenfalls auch in einem (teilweise) Austausch des Managements besteht. 

Es zeigt sich: Geschäftsleiter, deren Unternehmen in eine wirtschaftliche Krise geraten sind oder absehbar geraten werden, können dies anhand mehrerer Anzeichen erkennen und Gegenmaßnahmen einleiten. Wichtig ist dabei, dass Geschäftsleiter die finanzielle Situation ihres Unternehmens immer im Blick haben und bei Bedarf wöchentlich eine sogenannte Liquiditätsbilanz mit Einbeziehung der innerhalb von drei Wochen zufließenden Einnahmen und der fällig werdenden Verbindlichkeiten erstellen.

Das Ziel der Krisenprävention wird am besten erreicht, wenn klar ist, worauf zu achten und was – im Krisenfall – zu tun ist, damit frühzeitig, schnell und konsequent gehandelt wird. Einfach abzuwarten und auf eine baldige Besserung der wirtschaftlichen Lage des eigenen Unternehmens und der wirtschaftlichen Gesamtlage zu setzen, ist keine sinnvolle Strategie. 

Selbst eine Insolvenz muss nicht das Ende bedeuten

Wichtig ist: Selbst eine Insolvenz muss nicht das Ende eines Unternehmens bedeuten, ganz im Gegenteil: Ein frühzeitig eingeleitetes, professionell vorbereitetes und erfolgreich absolviertes Insolvenzverfahren kann die Basis für einen nachhaltigen Neuanfang sein. Sowohl das Regelinsolvenzverfahren als auch die Eigenverwaltung und das Schutzschirmverfahren – zwei Verfahren, bei denen sich Unternehmen in eigener Regie sanieren können – stehen für nachhaltige Unternehmenssanierungen bereit. Das zeigt die Untersuchung, für die Schultze & Braun im Frühjahr 2022 einen Zeitraum von fast zehn Jahren (Frühjahr 2012 bis Herbst 2021) unter die Lupe genommen hat. 

In der Praxis werden Insolvenzanträge leider oft zu spät gestellt. Dies einerseits, weil (nachvollziehbar) die Hoffnung zuletzt stirbt und mit allen Mittel versucht wird, eine Insolvenz zu vermeiden. Andererseits auch, weil frühe Krisenanzeichen nicht als solche erkannt werden. Dadurch sinken jedoch – unabhängig davon, ob für die Sanierung ein gerichtliches Insolvenzverfahren genutzt wird oder nicht – die Chancen für eine dauerhafte Fortführung und den Erhalt des Unternehmens.  


Die Autoren

Stefan Höge

ist Diplom-Kaufmann (FH) und Kreditanalyst, seit 1994 mit der Erstellung von Zahlungsunfähigkeitsgutachten befasst und seit 2004 bei Schultze & Braun. Er ist am Standort Hannover der bundesweit vertretenen Kanzlei tätig.

René Schmidt

ist Rechtsanwalt. Er ist seit 2018 am Leipziger Standort von Schultze & Braun in der vorinsolvenzlichen Beratung und als Prozessanwalt tätig.