Soziale Not: Große wirtschaftliche Herausforderungen in der Sozialwirtschaft

Neben Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern stehen derzeit auch Unternehmen und Vereine aus der Sozialwirtschaft vor großen wirtschaftlichen Herausforderungen. Volker Böhm und Dr. Dirk Herzig von Schultze & Braun sprechen im Interview über die Besonderheiten und die Erfolgsfaktoren von Sanierungen im sozialen Bereich.
Herr Böhm, Herr Herzig, Sie haben bereits die Sanierung mehrerer Unternehmen und Vereine aus der Sozialwirtschaft begleitet. Was waren die Besonderheiten dabei?
Herzig: Zunächst einmal würde ich sagen, dass es das Unternehmen oder den Verein aus der Sozialwirtschaft nicht gibt. Der Grund dafür ist, dass die Tätigkeiten der Unternehmen und der eingetragenen Vereine in diesem Bereich so enorm vielschichtig sind. Wenn ich zum Beispiel an das Autismuszentrum Chemnitz denke, dessen Trägerverein ich seit Sommer 2023 als Insolvenzverwalter bei der Sanierung unterstützt und begleitet habe, ging es um die Betreuung von rund 800 Betroffenen, Eltern und Angehörigen mit einem breiten Angebot an Beratung und Maßnahmen in den Bereichen Schule und Ausbildung, Arbeit, Wohnen, Therapie und Freizeit. Man kann die Arbeit, die die Mitarbeitenden dieses Vereins geleistet hat, nicht hoch genug einschätzen. Daher war es mir von Beginn an ein persönliches Anliegen, eine Lösung zu finden, die den Fortbestand gewährleistet, und es freut mich sehr, dass das mit der Übernahme durch das gemeinnützige SFZ Förderzentrum zu Anfang Juni 2024 gelungen ist.
Böhm: Es ist in der Tat immer etwas ganz Besonderes, wenn man eine Fortführungslösung für ein Unternehmen oder einen Verein aus der Sozialwirtschaft finden und umsetzen kann. So war es auch beim ASB-Regionalverband Erlangen-Höchstadt, dessen Sanierung ich als Insolvenzverwalter begleitet und den Insolvenzplan erstellt hatte. Das Verfahren konnte vor wenigen Wochen aufgehoben werden, und der Verband kann sich nun endgültig wieder voll und ganz auf seine Angebote im sozialen und karitativen Bereich fokussieren und nahezu alle Angebote und Tätigkeitsbereiche weiterführen. Die Entwicklung, die der Verband seit dem Insolvenzantrag im September 2019 genommen hat, zeigt, welche Möglichkeiten das Insolvenz- und Sanierungsrecht auch im sozialen und karitativen Bereich bietet – und das auch bei eingetragenen Vereinen, bei denen ein Sanierer die Mitglieder bei der Sanierung mitnehmen muss. Beim ASB-Regionalverband reden wir dabei – wenn auch von einer niedrigen – so doch von einer fünfstelligen Mitgliederzahl.
Was sind denn die Gründe für die finanziellen Schwierigkeiten von Unternehmen oder Vereinen aus der Sozialwirtschaft?
Böhm: Die Corona-Pandemie und ihre Nachwirkungen, aber auch der Fachkräftemangel im sozialen Bereich spielen hier sicherlich eine Rolle. Beim ASB-Regionalverband, der im Herbst 2019 – also noch vor Corona – Insolvenzantrag stellen musste, hatte der Landesverband die Liquidität des Regionalverbandes lange Zeit mit Hilfe von Darlehen sichergestellt. Als diese Unterstützung nicht mehr möglich war, geriet der Regionalverband rasch in eine finanzielle Schieflage. Positiv war jedoch, dass die Verantwortlichen den Antrag frühzeitig gestellt haben, was die Sanierungsmöglichkeiten stark verbessert hat.
Herzig: Letztlich müssen die Vereine auch betriebswirtschaftlich kostendeckend arbeiten. Neben Spenden, die in der Regel bei der Finanzierung aber eine untergeordnete Rolle spielen, sind es die verhandelten Stundensätze mit den Kostenträgern für die jeweils angebotenen Leistungen. Ausfallzeiten, wie zum Beispiel bei der Schuldbegleitung – wenn etwa 20 Prozent der Unterrichtsstunden im Durchschnitt ausfallen, werden hier nur sehr eingeschränkt ausgeglichen. Das Personal muss gleichwohl vorgehalten werden. Kommen dann noch unternehmerische Fehlentscheidungen bei Investitionen hinzu, gerät ein Verein schnell in eine wirtschaftliche Schieflage. Daher bedarf es einer regelmäßigen und frühzeitigen Überprüfung der Stundesätze und konsequenten Verhandlung mit den Kostenträgern. Wir konnten den Geschäftsbetrieb in den Zentren gemeinsam mit der Vereinsgeschäftsführung stabilisieren und neue Stundensätze mit den Kostenträgern vereinbaren. Wichtig war auch hier, dass der Antrag im Juli 2023 frühzeitig gestellt wurde und wir zeitnah danach erste Sanierungsmaßnahmen umsetzen und nach einem Investor suchen konnten. Bereits im August konnte der Trägerverein daher die Löhne und Gehälter der Mitarbeitenden wieder aus eigenen Mitteln bestreiten. Dafür waren aber nicht nur die Sanierungsmaßnahmen, sondern auch die Gespräche mit den Kostenträgern ausschlaggebend, da die Vergütung der Arbeit in den Einrichtungen nicht kostendeckend gestaltet war.
Die Interviewpartner:
Volker Böhm
ist Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht. Er leitet den Standort Nürnberg sowie weitere Niederlassungen in Bayern der bundesweit vertretenen Kanzlei Schultze & Braun. Böhm ist Mitglied im Gravenbrucher Kreis, in dem die führenden deutschen Insolvenzverwalter zusammengeschlossen sind.