Wie Geschäftsleiter im Krisenfall finanzielle Haftungsrisiken vermeiden
Angesichts der anhaltenden wirtschaftlichen Herausforderungen sollten sich Geschäftsleiter regelmäßig mit der Frage befassen, ob ihr Unternehmen unter Umständen insolvenzreif ist – gerade auch, um Haftungsrisiken zu vermeiden. Denn seit dem 1. Januar 2024 gilt die Insolvenzantragspflicht wieder in vollem Umfang.
Vor rund drei Jahren, zum Jahreswechsel 2020/2021, wurden die Haftungsvorschriften für Geschäftsleiter im § 15 b der Insolvenzordnung zusammengefasst. Sie waren zuvor in unterschiedlichen Gesetzen enthalten: § 64 GmbH-Gesetz, § 92 Absatz 2 Aktiengesetz sowie im Handelsgesetzbuch und dem Genossenschaftsgesetz.
Die Vorschriften des § 15 b der Insolvenzordnung haben für Geschäftsleiter mit dem Blick auf eine mögliche finanzielle Haftung eine große Bedeutung. Wer sich bislang noch nicht mit diesen Regelungen befasst hat, für den lohnt sich angesichts der anhaltenden wirtschaftlichen Herausforderungen und der wieder in vollem Umfang geltenden Insolvenzantragspflicht ein Blick in die Insolvenzordnung auf jeden Fall. Dies gilt erst recht für Geschäftsleiter, deren Unternehmen sich in einer Krise befinden oder absehbar auf eine solche zusteuern. Aber auch Rechtsanwälte und Steuerberater, die Unternehmen beraten, sowie Aufsichtsräte sollten das Risiko einer persönlichen Haftung nicht unterschätzen.
Haftung für Zahlungen nach der Insolvenzreife
Kurz zusammengefasst geht es in § 15 b der Insolvenzordnung um die Haftung des Geschäftsleiters für Zahlungen, durch die einer Gesellschaft, die eigentlich insolvent ist, nach Eintritt der Insolvenzreife Vermögen entzogen wird – mit der also die Gläubiger der Gesellschaft geschädigt werden, da durch die Zahlung die Insolvenzmasse geschmälert wird. So einfach, so klar, könnte man denken. Eine maßgebliche Besonderheit ist jedoch, dass die Frage, was eigentlich unter einer Zahlung zu verstehen ist, im Gesetz nicht definiert ist. Da hat sich schon nach altem Recht eine durchaus verwirrende Handhabung durch die Gerichte etabliert, die einem Geschäftsleiter zum Verhängnis werden kann. So sollten es Geschäftsleiter zum Beispiel vermeiden, in die sogenannte Kontofalle zu tappen, die bei einem Zahlungseingang auf dem debitorischen, also im Minus befindlichen Konto als Zahlung an die Bank zuschnappen kann.
Wann ist ein Unternehmen insolvenzreif?
Ein Unternehmen ist insolvenzreif, wenn einer oder beide zwingenden Insolvenzgründe vorliegen. Dabei handelt es sich um die bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit sowie die Überschuldung. Bei der Überschuldung hat sich zum Jahreswechsel 2023/2024 einiges geändert, und es sind Erleichterungen weggefallen. So muss eine Gesellschaft mit Unterbilanz seit dem 1. Januar 2024 grundsätzlich wieder für zwölf Monate durchfinanziert sein. Ist das nicht der Fall, ist das Unternehmen in der Regel insolvenzreif, und die Geschäftsleitung muss innerhalb der gesetzlichen Fristen einen Insolvenzantrag stellen. Die Zahlungsunfähigkeit wird aber auch weiterhin der mit Abstand häufigste Grund für Unternehmensinsolvenzen bleiben.
Welche Zahlungen sind erlaubt und welche nicht?
Die gute Nachricht ist: Auch wenn ein Unternehmen in eine finanzielle Schieflage gerät oder zu geraten droht, ist ein Geschäftsleiter angesichts der drohenden Haftungsrisiken aus § 15 b der Insolvenzordnung nicht dazu verdammt, wie das Kaninchen vor der Schlange tatenlos und gelähmt vor Angst zu verharren. Es ist aber wichtig, sich im Fall einer Krise frühzeitig fachliche Expertise ins Unternehmen zu holen – und das nicht nur, weil durchaus nicht immer sofort ersichtlich ist was alles unter den Begriff „Zahlung“ fällt, sondern weil der vorgelagerte Punkt „Ist mein Unternehmen unter Umständen bereits insolvenzreif und, wenn ja, seit wann?“ von großer Relevanz ist. Denn daran lässt sich festmachen, ob und -wenn ja – welche Zahlungen in einem solchen Fall noch erlaubt wären und welche nicht.
Gerade im Krisenfall und besonders, wenn die Insolvenzreife bei einem Unternehmen bereits eingetreten ist, sollte daher jede Zahlung individuell überprüft werden, um auf der sicheren Seite zu sein – auch Lohnzahlungen, Mietzahlungen oder Warenbestellungen stellen dabei keine Ausnahme dar.
Als Anhaltspunkt kann grundsätzlich die Rolle eines objektiv denkenden Gläubigers dienen: Hätte dieser der Zahlung im Interesse einer vorläufigen, die Werte des Unternehmens erhaltenden Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs zugestimmt? Der Geschäftsleiter muss sich diese Frage also für eine Vielzahl von Zahlungen stellen. Dabei verschärft sich der Prüfungsmaßstab nochmals, wenn die Frist zur rechtzeitigen Stellung des Insolvenzantrages abgelaufen ist. Dann sind Zahlungen nur noch im absoluten Ausnahmefall erlaubt.
Die Autoren:
Dr. Ludwig J. Weber und Thomas Dömmecke sind Partner von Schultze & Braun und Experten für Sanierungsberatung, Gesellschaftsrecht sowie für die Abwehr von krisen- und insolvenzspezifischen Haftungssachverhalten. Die beiden Rechtsanwälte sind am Bremer Standort der bundesweit vertretenen Kanzlei tätig.