Sozialversicherungsbeiträge sind keine Steuern

27. Januar 2023 Blog Insolvenzrecht Steuerberatung Restrukturierung und Sanierung Wirtschaftsrecht

Das AG Ludwigshafen hat mit einer aktuellen Entscheidung ein Schlaglicht auf das Minenfeld der Geschäftsleiterhaftung für Zahlungen nach Insolvenzreife geworfen. Thomas Dömmecke ordnet die Entscheidung ein, mit der das Gericht eine erste Richtung bei der Anwendbarkeit des § 15b Abs. 8 InsO vorgibt.

 

Herr Dömmecke, das Amtsgericht Ludwigshafen hat mit seiner Entscheidung (3a IN 389/22) bei der wichtigen Frage nach der Anwendbarkeit des § 15b Abs. 8 InsO auf die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen zumindest eine erste Richtung vorgegeben. Wie sieht diese aus?

Dömmecke: Diese Frage hat unter Juristen zu angeregten Diskussionen geführt. Daher ist die Entscheidung – auch wenn es sich „nur“ um eine Amtsgerichts-Entscheidung handelt – von großer Bedeutung. Denn anders als von vielen angenommen, stellt das Amtsgericht in seiner Entscheidung vom 12. Dezember 2022 klar, dass die gesetzliche Ausnahmeregelung für Steuerzahlungen in § 15b Abs. 8 InsO nicht auch für Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung gilt – und das nicht obwohl, sondern gerade weil der Gesetzgeber aus Sicht des Amtsgerichts von dem Dilemma wusste, vor dem Geschäftsleiter einer insolvenzreifen Gesellschaft in Bezug auf Steuern und Sozialversicherungsbeiträge stehen. Oder anders formuliert: Sozialversicherungsbeiträge sind keine Steuern.

 

Was bedeutet das?

Dömmecke: Der Gesetzgeber – so das AG Ludwigshafen – wollte das Problem der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung mit dem steuerrechtlichen Ausweg des § 15b Abs. 8 InsO offenbar gerade nicht mitregeln. Damit besteht aber für eine entsprechende Anwendung des Ausnahmetatbestandes kein Raum. Der Geschäftsleiter sitzt, was die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung betrifft, also immer noch zwischen den Stühlen und steht weiterhin vor dem Sozialversicherungs-Haftungsdilemma.

 

Wie sieht dieses Dilemma aus?

Dömmecke: Da muss ich zunächst kurz auf die grundsätzlichen Haftungsrisiken für Geschäftsleiter in der Krise des Unternehmens eingehen: Wie schon zuvor nach den spezialgesetzlichen Regelungen, beispielsweise § 64 GmbHG, haften Geschäftsleiter nach § 15b InsO grundsätzlich für Zahlungen der Gesellschaft nach Insolvenzreife. Begleicht die insolvente Gesellschaft also eine berechtigte offene Verbindlichkeit, kann ein später eingesetzter Insolvenzverwalter vom Geschäftsleiter verlangen, dass er den Betrag erstattet – und das aus eigener Tasche. Eine solche Haftung kann sehr schnell existenzbedrohende Ausmaße annehmen. Nun kommen wir zum Sozialversicherungs-Haftungsdilemma: Einerseits darf der Geschäftsleiter nach § 15b InsO wie gerade erläutert keine Zahlungen mehr ausführen oder ausführen lassen. Andererseits ist er jedoch nach Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht für die pünktlichen Abgaben an Fiskus und Sozialversicherung verantwortlich und auch hierfür persönlich haftbar.

 

Was droht über die finanzielle Haftung hinaus noch?

Dömmecke: Wenn ein Geschäftsleiter Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung nicht abführt, droht ihm sogar ein Strafverfahren. Bei der Verletzung steuerrechtlicher Abführungspflichten drohte ihm zudem ein Ordnungswidrigkeitsverfahren. Im steuerlichen Bereich ist die Vergangenheitsform „drohte“ allerdings bewusst gewählt. 

 

Wieso?

Dömmecke: Der Gesetzgeber hat 2022 mit § 15b Abs. 8 InsO zumindest einen steuerrechtlichen Ausweg geschaffen. Danach haftet der Geschäftsleiter dann nicht nach steuerrechtlichen Vorschriften, wenn er fällige Zahlungen an den Fiskus unterlässt, aber noch rechtzeitig Insolvenzantrag stellt. Da läge es doch nahe, diese Ausnahme zugunsten des Geschäftsleiters auch auf seine sozialversicherungsrechtlichen Pflichten anzuwenden, mochte manch einer meinen. Dem hat nun aber das Amtsgericht Ludwigshafen mit seiner Entscheidung eine Absage erteilt. Es verweist auf den eindeutigen Gesetzeswortlaut.

 

Was raten Sie Geschäftsleitern mit dem Blick auf die Entscheidung, aber auch die finanziellen Haftungsrisiken in einer Krise des Unternehmens?

Dömmecke: Grundsätzlich gilt: Geschäftsleiter sind gut beraten, sich professionelle Hilfe zu holen, wenn ihr Unternehmen in einer Krise steckt oder darauf zusteuert – für ihr Unternehmen, aber auch, um sich vor einer möglicherweise existenzbedrohenden Haftung zu schützen.

Der Interviewpartner

Thomas Dömmecke

ist Rechtsanwalt bei Schultze & Braun. Er ist Experte für Sanierungs- und Insolvenzberatung sowie für die Abwehr von krisen- und insolvenzspezifischen Haftungssachverhalten.