Finanzielle Schieflage und Haftungsrisiken: Welche Punkte Geschäftsleiter bei der Zahlungsunfähigkeit beachten sollten

10. Oktober 2024 Blog Insolvenzrecht Restrukturierung und Sanierung Wirtschaftsrecht

Angesichts der gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der Vielzahl an Krisen, die sich seit bald fünf Jahren als Multi-Dauerkrise die Klinke in die Hand geben, der inzwischen durchaus restriktiveren Kreditvergabe der Banken und der allgemeinen Preissteigerung sollten sich Geschäftsleiter – so hart das zunächst klingen mag – regelmäßig mit der Frage `Ist mein Unternehmen noch zahlungsfähig?´ befassen.

Bislang der mit Abstand häufigste Grund für Insolvenzanträge

Die Antwort darauf hat nicht nur für Unternehmen, sondern gerade auch für Geschäftsleiter in Bezug auf ihre persönliche Haftung eine große Bedeutung. Grundsätzlich gilt: Kann ein Unternehmen seine fälligen Verbindlichkeiten nicht mehr begleichen, liegt die Zahlungsunfähigkeit – bislang der mit Abstand häufigste Grund für Insolvenzanträge – vor. In einem solchen Fall greift die Insolvenzantragspflicht und ein Geschäftsleiter ist dazu verpflichtet, innerhalb der gesetzlichen Frist – in der Regel drei Wochen – einen Insolvenzantrag zu stellen. Hinzu kommt, dass die Insolvenzantragspflicht seit dem Jahreswechsel 2023/2024 auch bei Überschuldung wieder in vollem Umfang greift (siehe auch Kastentext – Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung: Wie Unternehmen sicherstellen, zwölf Monate durchfinanziert zu sein – am Ende dieses Beitrags).

Definition der Zahlungsfähigkeit – Ab wann ist ein Unternehmen zahlungsunfähig?

Doch ab wann ist ein Unternehmen aus rechtlicher Sicht zahlungsunfähig? Zahlungsunfähigkeit liegt nach Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor, wenn das Unternehmen zu einem Stichtag zehn Prozent oder mehr seiner fälligen Verbindlichkeiten mit den präsenten liquiden Mitteln nicht begleichen kann und diese Lücke auch nicht innerhalb von drei Wochen unter Beachtung der in dieser Zeit fällig werdenden Verbindlichkeiten mit den in diesem Zeitraum zusätzlich verfügbar werdenden liquiden Mitteln schließen kann. Ob ein Unternehmen zahlungsunfähig ist oder nicht, lässt sich für den jeweils aktuellen Tag mit der sogenannten erweiterten Liquiditätsbilanz feststellen, die als Methode seit inzwischen fast 20 Jahren etabliert ist und deren Berechnung in zwei Schritten erfolgt. Die beiden Schritte der erweiterten Liquiditätsbilanz sind:

  • Zu einem Betrachtungsstichtag werden die vorhandenen Geldmittel und die noch an diesem Tag zufließenden Gelder aus dem Einzug von Forderungen des Unternehmens den zu diesem Stichtag fälligen Verbindlichkeiten gegenübergestellt.
  • Decken die vorhandenen Geldmittel die fälligen Verbindlichkeiten nicht zu mindestens 90 Prozent, muss im zweiten Schritt geprüft werden, ob diese Unterdeckung innerhalb der folgenden drei Wochen beseitigt werden kann. Dazu werden die voraussichtlichen Einnahmen der nächsten drei Wochen und die Verbindlichkeiten, die in diesem Zeitraum fällig werden und daher bedient werden müssen, jeweils zu den Stichtagswerten hinzugerechnet. Wichtig ist allerdings, dass Warenvorräte und teilfertige Leistungen bei der Berechnung erst dann berücksichtigt werden dürfen, wenn diesbezüglich einzugsfähige Forderungen einem Kunden in Rechnung gestellt worden sind und eine Zahlung des Kunden in den drei Wochen zu erwarten ist.

Drei Wochen-Frist mit großer Bedeutung

Wenn klar ist, dass die Geldmittel zum Betrachtungsstichtag und auch perspektivisch in den nächsten drei Wochen die fälligen Verbindlichkeiten nicht vollständig abdecken, ist das Unternehmen bereits zum Betrachtungsstichtag zahlungsunfähig. Die beiden dargestellten Schritte der etablierten erweiterten Liquiditätsbilanz zeigen, wie wichtig einerseits die zügige Rechnungstellung für erbrachte Leistungen und gelieferte Waren ist und dass andererseits bei der Antwort auf die Frage „Ist mein Unternehmen noch zahlungsfähig?“ durchaus professionelle Hilfe zu Rate gezogen werden sollte, damit Geschäftsleiter das Risiko einer persönlichen Haftung für sich reduzieren.

Vereinfachte Methode mit Risiken

Daran ändert auch nichts, dass der Bundesgerichtshof im Sommer 2022 in einer Leitsatzentscheidung eine vereinfachte Methode zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit ermöglicht hat, die jedoch für Unternehmen und gerade auch für Geschäftsleiter durchaus mit Risiken verbunden ist. Nach der BGH-Entscheidung ist es möglich, an mehreren Stichtagen innerhalb eines dreiwöchigen Zeitraumes jeweils einen vereinfachten Liquiditätsstatus zu erstellen. In diesem vereinfachten Status, der dem ersten Schritt der erweiterten Liquiditätsbilanz entspricht, werden die am jeweiligen Stichtag konkret vorhandenen Geldmittel (Kasse, Bank und an dem Tag zufließende Gelder aus dem Einzug von Forderungen) und die konkret zum jeweiligen Stichtag fälligen und unbezahlten Verbindlichkeiten einander gegenübergestellt. Wenn sich an drei weiteren aufeinanderfolgenden Stichtagen innerhalb eines drei Wochen-Zeitraumes bei dieser Gegenüberstellung herausstellt, dass die Liquiditätslücke jeweils zehn Prozent oder mehr beträgt, gilt das Unternehmen sogar rückwirkend ab dem ersten Stichtag als zahlungsunfähig.

Ungewollte Insolvenzverschleppung und das Damoklesschwert der Haftung

Für Geschäftsleiter erhöht die vereinfachte Methode das Risiko einer ungewollten, aber gleichwohl strafbaren Insolvenzverschleppung. Sie stellen dabei erst mit dem letzten Liquiditätsstatus nach drei Wochen fest, ob ihr Unternehmen bereits zum ersten Stichtag, also drei Wochen zuvor, zahlungsunfähig war. Es ist damit bereits ein beträchtlicher Zeitraum mit eingetretener Zahlungsunfähigkeit vergangen. Hinzu kommt, dass die Frist für die Stellung eines Insolvenzantrages lediglich drei Wochen ab dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit beträgt. Es kann daher sein, dass ein Geschäftsleiter erst am letzten Tag der Frist erfährt, dass er zur Vermeidung von strafrechtlicher und zivilrechtlicher Haftung noch an diesem Tag einen Insolvenzantrag stellen muss, was angesichts der dafür notwendigen Zeit quasi unmöglich ist.

Wird ein Insolvenzantrag allerdings zu spät gestellt, können dem Geschäftsleiter aufgrund der Haftungsregeln des Insolvenzrechts erhebliche finanzielle Konsequenzen drohen – etwa für Auszahlungen nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit. Abhängig vom finanziellen Volumen der Zahlungen und dem Zeitraum der Insolvenzverschleppung hängt in einer solchen Situation über so manchem Geschäftsleiter ein mitunter Millionen Euro schweres Damoklesschwert. Gegebenenfalls sind allerdings im Zusammenhang stehende Kriterien wie ernsthafte Sanierungsbestrebungen und der Masse zugeflossene Gegenleistungen zu berücksichtigen.

Das Risiko der vereinfachten Methode liegt zudem darin, dass sie tendenziell zu verkürzten Berechnungen führt, zukunftsgerichtete Finanzpläne als Instrumente des in der Krise gebotenen verschärften Controllings nicht einbezieht, einen Überhang an zukünftig fällig werdenden Verbindlichkeiten nicht erkennen lässt und darüber hinaus kurzfristige Zahlungsstockungen nicht abbilden kann. Geschäftsleiter sollten daher auf der Grundlage der ordnungsgemäßen Buchführung weiterhin die erweiterte Liquiditätsbilanz einsetzen und die Finanzpläne berücksichtigen – gerade auch, um bei der Antwort auf die Frage „Zahlungsunfähig oder (noch) nicht?“ für ihr Unternehmen und sich selbst auf der sicheren Seite zu sein.

Kein Schema F – unterschiedliche Sanierungsoptionen prüfen

Grundsätzlich gilt: Geschäftsleiter sollten eine notwendige Restrukturierung oder Sanierung rechtzeitig angehen, wenn ihr Unternehmen noch Reserven hat. Wenn Gegenmaßnahmen rechtzeitig eingeleitet werden, bestehen bessere Chancen auf einen erfolgreichen und nachhaltigen Ausgang. Einfach abzuwarten und auf eine baldige Besserung der Konjunktur und der wirtschaftlichen Gesamtlage zu setzen, ist keine sinnvolle Strategie. Geschäftsleiter, deren Unternehmen sich in einer Krise befindet oder absehbar darauf zusteuert – was unter anderem an der zunehmenden Ausschöpfung der gewährten Kontokorrentlinien erkennbar ist – sollten auch eine Neuaufstellung mit Hilfe der Instrumente des Sanierungsrechts zumindest als Option ansehen.

Bei finanziellen Schwierigkeiten ist zunächst immer der Versuch einer außergerichtlichen Sanierung sinnvoll. Dies erfordert jedoch oft schwierige Verhandlungen mit den Gläubigern, die in der Regel sämtlich dem Sanierungskonzept zustimmen müssen. Stimmt auch nur ein Gläubiger nicht zu, kann es schwierig werden, auf diesem Weg eine Lösung zu finden. Im deutschen Sanierungs- und Insolvenzrecht stehen Geschäftsleitern gleichwohl verschiedene weitere Möglichkeiten und Verfahren zur Verfügung.

  • StaRUG (vorinsolvenzlich): Ist die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens gesichert, gibt es seit dem 1. Januar 2021 die Möglichkeit einer Restrukturierung nach dem Unternehmensstabilisierungs- und -Sanierungsgesetz, kurz StaRUG. Dies kann ein erfolgversprechender Schritt sein, da im StaRUG-Verfahren nur noch drei Viertel der betroffenen Gläubiger dem Restrukturierungsplan zustimmen müssen. Mit dem StaRUG kann ein Unternehmen sich mit einem angepassten Finanzplan außerhalb eines Insolvenzverfahrens und unter Ausschluss der Öffentlichkeit neu ausrichten.
  • Schutzschirmverfahren, Eigenverwaltung, Regelinsolvenzverfahren: Kommt das StaRUG nicht in Betracht, weil das Unternehmen seine Zahlungsfähigkeit absehbar nicht (mehr) sicherstellen kann, stehen mit dem Schutzschirmverfahren, der Eigenverwaltung (Sanierung in eigener Regie), aber auch mit der Regelinsolvenz weitere Sanierungsverfahren zur Verfügung. Allerdings ist die Antwort auf die Frage „Ist mein Unternehmen noch zahlungsfähig?“ nicht nur mit dem Blick auf eine mögliche Haftung, sondern insbesondere bei einer vorinsolvenzlichen StaRUG-Restrukturierung und bei einem Schutzschirmverfahren von Belang. Beide Verfahren können Unternehmen nur dann beantragen, wenn einem Unternehmen die Zahlungsunfähigkeit nur droht, sie aber noch nicht eingetreten ist.

„Es zeigt sich: Geschäftsleiter, deren Unternehmen aufgrund der Multi-Dauerkrise in eine wirtschaftliche Schieflage geraten sind oder absehbar geraten werden, haben mehrere Möglichkeiten und Verfahren, um Krisen zu meistern: Dieses Ziel wird am besten erreicht, wenn alle Beteiligten wissen, was sie zu tun haben, und wenn frühzeitig, schnell und konsequent gehandelt wird“, fasst Schmidt zusammen. „So hart es klingt: Zu spät kann in diesen Zeiten das `totale Aus´ bedeuten!“

Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung: Wie Unternehmen sicherstellen, zwölf Monate durchfinanziert zu sein

Seit dem 1. Januar 2024 gilt die Insolvenzantragspflicht wieder in vollem Umfang, und die Erleichterungen beim Insolvenzgrund der Überschuldung sind ersatzlos ausgelaufen. Das bedeutet: Ein Unternehmen muss nun nachweisen können, dass es die nächsten zwölf Monate durchfinanziert ist, um keinen Insolvenzantrag wegen Überschuldung stellen zu müssen. Daher ist es für Geschäftsleiter wichtig, die insolvenzrechtlichen Anforderungen zu kennen und zu wissen, wie sie Haftungsrisiken und strafrechtliche Konsequenzen durch eine (unbeabsichtigte) Insolvenzverschleppung vermeiden.

Was bedeutet zwölf Monate durchfinanziert?

Die Anforderung, zwölf Monate durchfinanziert zu sein, betrifft Kapitalgesellschaften – also etwa eine GmbH, UG oder AG – sowie den Insolvenzgrund Überschuldung (nicht Zahlungsunfähigkeit). Überschuldet ist ein Unternehmen dann, wenn seine Verbindlichkeiten höher als sein Vermögen sind – es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.

Um eine Überschuldung festzustellen, wird das Vermögen den Verbindlichkeiten gegenübergestellt. Inwieweit eine Fortführung den Umständen nach überwiegend wahrscheinlich ist, hängt maßgeblich davon ab, ob das Unternehmen die nächsten zwölf Monate durchfinanziert ist. Dies wird im Rahmen einer sogenannten Fortführungsprognose dokumentiert. Die Basis der Prognose bildet ein Dreiklang aus Unternehmenskonzept, Finanzplan und Fortführungsprognose:

  • Unternehmenskonzept: Das Unternehmenskonzept sollte aussagekräftig sein und den Sollverlauf darstellen.
  • Finanzplan: Der Finanzplan basiert auf dem Sollverlauf, der durch Erfahrungswerte der Vergangenheit, zukünftige erwartete und abrechnungsfähige Auftragseingänge sowie erwartete und zur Zahlung fällig werdende eigene Bestellungen und Kosten bestimmt wird.
  • Fortführungsprognose: Die Fortführungsprognose resultiert wiederum aus dem Finanzplan mit den Wahrscheinlichkeiten für Finanzplanüberhänge bzw. -defizite. 

Wenn die wirtschaftlichen Grundlagen und Prämissen stabil sind, können als Grundlage für die Fortführungsprognose die Durchschnittswerte der wöchentlichen Ein- und Auszahlungen aus den vergangenen Jahren genutzt werden. Wichtig ist jedoch, dass Geschäftsleiter die drei aufeinander aufbauenden Punkte – also Unternehmenskonzept, Finanzplan und Fortführungsprognose – in regelmäßigen Abständen überprüfen und diese Überprüfungen dokumentieren.

Kapitalgesellschaften: (Unbeabsichtigte) Insolvenzverschleppung droht

Doch was, wenn einem Unternehmer oder Geschäftsleiter Fortführungsprognosen schwerfallen, weil Aufträge nicht so wie bislang oder nur in Teilen hereinkommen? Falls von den drei Punkten Unternehmenskonzept, Finanzplan und Fortführungsprognose einer ins Wanken gerät, sollten sich Unternehmer oder Geschäftsleiter schnell professionelle Hilfe holen und gegebenenfalls rechtzeitig innerhalb der gesetzlichen Fristen einen Insolvenzantrag wegen Überschuldung stellen. Andernfalls könnten eine finanzielle Haftung und mögliche strafrechtliche Folgen wegen Insolvenzverschleppung drohen, insbesondere, wenn das Finanzamt oder die Krankenkasse einen Insolvenzantrag gegen das Unternehmen stellen.

Die Autoren

Stefan Höge

ist Diplom-Kaufmann (FH) und Kreditanalyst, seit 1994 mit der Erstellung von Zahlungsunfähigkeitsgutachten befasst und seit 2004 bei Schultze & Braun.

René Schmidt

ist Rechtsanwalt bei Schultze & Braun. Er ist in der vorinsolvenzlichen Beratung und als Prozessanwalt tätig.