Handeln!
Der Online-Handel wächst und wächst – aber das schützt E-Commerce-Unternehmen nicht davor, in eine finanzielle Schieflage zu geraten. Dr. Elske Fehl-Weileder und Volker Böhm von Schultze & Braun erläutern, warum gerade bei der Sanierung von Online-Händlern vor allem schnelles Handeln gefragt ist.
Frau Fehl-Weileder, Herr Böhm, seit Jahren kennt der Umsatz im Online-Handel nur eine Richtung – nach oben. Doch der inflationsbedingten Eintrübung des Konsumklimas kann sich auch der E-Commerce nicht entziehen. Was sollten Geschäftsführer von Online-Händlern beachten, wenn ihr Unternehmen in eine finanzielle Schieflage gerät?
Fehl-Weileder: Zunächst einmal ist es entscheidend, die Liquidität sicherzustellen – das allerdings nicht nur, um das Überleben des Unternehmens zu sichern. Denn in ihrem eigenen Interesse dürfen die Geschäftsführer bei allen Restrukturierungsbemühungen ihre gesetzlichen Pflichten nicht aus den Augen verlieren: Wenn es finanziell eng wird, muss – um eine Haftung zu vermeiden – sichergestellt sein, dass das Unternehmen alle fälligen Verbindlichkeiten pünktlich bezahlen kann.
Böhm: Ist das nicht möglich – droht also die Zahlungsunfähigkeit oder liegt sie bereits vor – müssen Geschäftsführer oder Vorstände rechtzeitig einen Insolvenzantrag stellen. Andernfalls haften sie unter Umständen persönlich für die Schäden, die den Gläubigern dadurch entstehen. Das gilt nicht nur auch bei der Zahlungsunfähigkeit, sondern auch bei einer Überschuldung des Unternehmens. Die Geschäftsführung muss also auch immer prüfen, ob dem Unternehmen eine positive Fortführungsprognose bescheinigt werden kann. Die entsprechende Frist hat der Gesetzgeber unlängst beim Insolvenzgrund der Überschuldung verkürzt.
Sie haben vor Kurzem einen großen Online-Händler für Kfz-Teile durch ein Insolvenzverfahren begleitet. Was waren die Gründe für die finanzielle Schieflage des Unternehmens?
Böhm: Der Händler hatte die IT-Umstellung seines Lagerwirtschaftssystems wegen erheblicher Probleme nicht abschließen können. In der Folge hatten Kunden ihre Bestellungen nur verzögert oder sogar Lieferungen mit falschem Inhalt erhalten. Der Frust der Kunden sorgte für zunehmend schlechte Online-Bewertungen. Es kam zu Umsatzeinbußen, die schließlich in eine Ergebnis- und Liquiditätskrise mündeten. Am Ende stand ein Verlust in zweistelliger Millionenhöhe.
Fehl-Weileder: Die Krise eines Händlers wird online schnell sichtbar. Denn die Schwierigkeiten im Unternehmen haben direkte Auswirkungen auf die Bewertung des Händlers im Internet. Das wiederum beeinflusst natürlich das Geschäft. Hinzu kommt, dass bei einem reinen Online-Handel die Kontaktanbahnung mit den Kunden nahezu ausschließlich über die eigene Homepage und einige Handelsplattformen erfolgt.
Welche Rolle spielen denn Online-Dienstleister wie Handelsplattformen, Zahlungsdienstleister oder Suchmaschinen?
Fehl-Weileder: Sie sind für das Funktionieren des Geschäftsmodells von essentieller Bedeutung – besonders die Handelsplattformen. Der Händler für Kfz-Teile hat mehr als 90 Prozent seines Umsatzes über eine einzelne Plattform generiert. Dort hatte er den Status als sogenannter Power-Seller – ein Status mit Sonderkonditionen und hoher Reputation bei den Kunden.
Böhm: Wir mussten daher alles dafür tun, diesen Status zu erhalten – was uns auch gelungen ist. Zwar sperrte sich die Plattform bei den Sonderkonditionen, den Status als Power-Seller konnten wir über eine Sicherheitsleistung aber erhalten. Das war für die Außenwirkung ganz besonders wichtig.
Wie sah es bei den Versanddienstleistern aus? Die Bestellungen mussten ja weiterhin zu den Kunden kommen.
Böhm: Auch bei der Logistik war Schnelligkeit gefragt: Die Kunden wollen ihre Ware natürlich so bald wie möglich geliefert bekommen. Daher kam dem Versanddienstleister eine entscheidende Rolle zu. Der hatte aber mit dem Insolvenzantrag die Abholungen eingestellt und bestand auf Vorkasse. Insgesamt mussten wir einen Betrag in sechsstelliger Höhe vorab leisten, den wir nicht unterschreiten durften, sonst wären die Abholungen erneut eingestellt worden.
Fehl-Weileder: Ein ähnliches Bild bot sich bei den Dienstleistern für Onlineanzeigen und die besonders wichtigen Gütesiegel für Online-Händler, die den Kunden signalisieren, dass sie es mit einem seriösen Anbieter zu tun haben. Auch hier mussten wir hohe Sicherheitsleistungen hinterlegen, um die teilweise bereits deaktivierten Siegel weiter nutzen zu können.
Wie haben Sie es geschafft, die finanziellen Mittel dafür zu beschaffen?
Böhm: Da Kunden von Online-Händlern etwa mit Kreditkarte oder Zahlungsdienstleister wie Paypal ihre Bestellungen in der Regel sofort bezahlen, kann man in einem Insolvenzverfahren schnell Liquidität aufbauen. Insbesondere in dem Zeitraum, in dem das Unternehmen wegen des Insolvenzgeldes keine Löhne und Gehälter bezahlen muss. Voraussetzung ist allerdings, dass die Lieferfähigkeit des Unternehmens erhalten bleibt und die Zahlungsdienstleister mitmachen. Gerade Letzteres war bei der Sanierung des Kfz-Teile-Händlers eine große Herausforderung.
Fehl-Weileder: Weil viele Online-Zahlungsdienstleister ihren Sitz in Irland haben, ist es enorm wichtig, sich frühzeitig um einen Ansprechpartner zu kümmern, der idealerweise für den deutschsprachigen Raum zuständig ist und sich insbesondere im deutschen Recht auskennt. Das macht es einfacher, in der gebotenen Eile eine tragfähige Lösung abzustimmen.
Das schnelle Handeln und der Aufwand haben sich aber am Ende ausgezahlt. Sie konnten den Online-Händler an einen Investor verkaufen. Wie sah diese Lösung aus?
Böhm: Mit dem letztlichen Erwerber hatte der Online-Händler schon vor der Insolvenzantrag Gespräche geführt. Zu dem Abschluss eines Kaufvertrags war es aber nicht mehr gekommen. Wir haben die Gespräche wieder aufgenommen und parallel einen M&A-Prozess initiiert. Dabei standen wir unter Zeitdruck, da es absehbar notwendig war, in größerem Umfang Ware einzukaufen, um weiterhin das gesamte Sortiment anbieten zu können und lieferfähig zu bleiben. Letztlich hat der ursprüngliche Interessent das beste Angebot abgegeben und den Online-Händler nach nur drei Monaten im Insolvenzverfahren im Rahmen einer sogenannten übertragenden Sanierung übernommen. Das Unternehmen ist nun wieder neu aufgestellt und am Markt erfolgreich.
Welche Sanierungsinstrumente gibt es neben der übertragenden Sanierung?
Fehl-Weileder: Mit einem Insolvenzplan saniert sich das Unternehmen quasi aus sich selbst heraus. Die Geschäftsleitung verhandelt dabei – unter Beteiligung eines Insolvenzverwalters oder eines Sanierungsexperten – einen Vergleich mit den Gläubigern. Ein Insolvenzplan sieht meist einen Verzicht der Gläubiger auf einen Teil ihrer Forderungen vor – mitunter unter Einbindung von Drittmitteln.
Böhm: Der Vorteil ist, dass bei einem Insolvenzplan die Gesellschaft des insolventen Unternehmens erhalten wird. Dadurch bleiben auch die Gesellschaftsanteile des Online-Händlers potentiell werthaltig. Dass sie so von einer Sanierung mit Insolvenzplan ebenfalls profitieren ist wiederum grundsätzlich ein Anreiz für die Gesellschafter, eine Sanierung mit diesem Sanierungsinstrument anzugehen und zu unterstützen.
Erklärfilme: Weitere Informationen zur übertragenden Sanierung und dem Insolvenzplan gibt es auch in den Erklärfilmen auf unserem YouTube-Kanal.
Die Interviewpartner
Volker Böhm
ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht bei Schultze & Braun. Er ist Mitglied des Gravenbrucher Kreises, des Zusammenschlusses der führenden, überregional tätigen Insolvenzverwalter und Sanierungsexperten Deutschlands. Zu seinen Fachgebieten zählen Unternehmenssanierung und das Insolvenz- und Sanierungsrecht sowie das Gesellschaftsrecht.
Dr. Elske Fehl-Weileder
ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Insolvenz- und Sanierungsrecht bei Schultze & Braun. Zu Ihren Spezialgebieten gehören die Insolvenzverwaltung, die Begleitung von Eigenverwaltungen und Schutzschirmverfahren sowie die Erstellung und Umsetzung von Insolvenz- und Restrukturierungsplänen.