Ist ein Startup insolvent, muss das nicht automatisch in einer Abwicklung enden
Große Ambitionen und eine besondere Gründeridee – so beginnt bei vielen Startups ihre Unternehmensgeschichte. Manche finden sich aber in finanzieller Hinsicht schnell und mitunter unerwartet auf dem harten Boden der Tatsachen wieder. Im Interview erläutern Dr. Elske Fehl-Weileder und Rüdiger Bauch von Schultze & Braun, was Geschäftsführer von Startups in einem solchen Fall machen können und worauf sie achten sollten.
Frau Fehl-Weileder, Herr Bauch, Startups sind von ihren Finanzierern weitaus stärker abhängig als ältere Unternehmen. Was bedeutet das für die Geschäftsführer?
Bauch: Als junge Unternehmen haben Startups häufig nur geringe oder sogar überhaupt keine Liquiditätspolster, wenn sie in eine finanzielle Schieflage geraten. Dieses mangelnde Eigenkapital kann bei jeder negativ verlaufenden Finanzierungsrunde kurzfristig dazu führen, dass ein Startup insolvent wird, weil es seine Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen kann. Vor diesem Hintergrund sollten sich Geschäftsführer frühzeitig mit den möglichen Konsequenzen und dem Ablauf einer Insolvenz befassen und dabei die rechtlichen Fristen im Blick haben – auch, um sich vor einer persönlichen Haftung zu schützen.
Welche Fristen sind relevant?
Fehl-Weileder: Wenn die Zahlungsunfähigkeit bereits eingetreten ist, hat ein Geschäftsführer drei Wochen, um diese zu beseitigen. Bei einer Überschuldung räumt der Gesetzgeber dafür sechs Wochen ein. Es ist wichtig, dass die Geschäftsführer die ihnen zur Verfügung stehende Zeit sinnvoll nutzen: Sie sollten überprüfen, ob sich die Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit mit den vorhandenen Instrumenten abwenden lässt und dafür alles Notwendige in die Wege leiten. Ergibt ihre Analyse, dass dies nicht mehr möglich ist, bleibt nur eine Möglichkeit: der Insolvenzantrag. Für eine Sanierung ist es aber sinnvoller und erfolgversprechender, bereits bei drohender Zahlungsunfähigkeit die Nutzung der Optionen des Sanierungsrechts in Erwägung zu ziehen.
Welche Möglichkeiten gibt es, ein Startup im Rahmen einer Insolvenz zu sanieren?
Bauch: Die wichtigste Botschaft für Geschäftsführer von Startups ist, dass die Story ihres Unternehmens bei einer Insolvenz nicht automatisch in einer Abwicklung endet. Vielmehr gibt es verschiedene Möglichkeiten, das Unternehmen auch im Rahmen einer Insolvenz zu sanieren. Da ist zum einen die sogenannte übertragende Sanierung. Dabei werden die wesentlichen materiellen und immateriellen Vermögenswerte des insolventen Startups auf eine neue schuldenfreie Auffanggesellschaft – ein neues Unternehmen – übertragen.
Was bedeutet das für das Startup?
Fehl-Weileder: Die Auffanggesellschaft erwirbt vom Insolvenzverwalter des Startups alle Vermögenswerte, während die Verbindlichkeiten bei der alten Gesellschaft verbleiben. Mit dem für die Vermögenswerte erzielten Kaufpreis werden die Gläubiger des Startups befriedigt. Der große Vorteil an der übertragenden Sanierung ist, dass das Startup, seine Geschäftsidee und sein Vorhaben damit in einer neuen Gesellschaft weitergeführt werden, die finanziell neu starten kann. Das Startup lebt somit weiter.
Sie beide haben bereits mehrere Startups durch Krisensituationen begleitet. Gibt es ein Beispiel für eine gelungene Sanierung?
Bauch: Ein gutes Beispiel für den Neustart ist Infinite Devices aus Magdeburg, bei dem wir mit einer übertragenden Sanierung binnen vier Wochen eine Fortführungslösung erreicht haben. Das Team des 2020 gegründeten Unternehmens verbindet künstliche Intelligenz, also Artificial Intelligence, kurz AI, und das Internet der Dinge, Internet of Things, kurz IoT, zu AIoT – etwa mit einer selbst entwickelten Open-Source-Plattform, über die IoT-Geräte und Sensoren gesteuert, verwaltet und ausgewertet werden können. Das prädestiniert die Plattform unter anderem für den Einsatz in der Industrie 4.0.
Das klingt doch nach absoluter Zukunftstechnologie. Wie gerät ein solches Unternehmen in eine Krise?
Bauch: Infinite Devices geriet in eine finanzielle Schieflage, nachdem fest eingeplante Fördergelder zunächst ausgeblieben waren. Kurzfristig fiel damit die Finanzierung des Startups für ein halbes Jahr weg. Als trotz aller Bemühungen absehbar war, dass das Geld nur noch wenige Monate reichen würde, entschied sich der Gründer und Geschäftsführer von Infinite Devices dazu, bereits bei drohender Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzantrag zu stellen.
Sie haben das Startup während der Sanierung als Insolvenzverwalter begleitet. Mit welchem Ergebnis?
Bauch: Wir haben den Geschäftsbetrieb im vorläufigen und eröffneten Insolvenzverfahren insgesamt rund vier Monate fortgeführt und damit die Möglichkeit geschaffen, dass das Startup seine Kernkompetenzen im AIoT-Bereich erhalten kann. Besonders kritisch ist bei Startups im technologieintensiven Sektor ist es, die maßgeblichen Mitarbeiter im Unternehmen zu halten. Im Zuge der Sanierung fanden wir einen neuen Investor, der den Geschäftsbetrieb zusammen mit dem Gründer und dem gesamten Team übernommen hat. Der Neustart ist geglückt, und es freut mich sehr, dass mein Team und ich dazu beitragen konnten. Ich wünsche allen Beteiligten viel Erfolg für diese Zukunft!
Für ein HealthTech-Startup aus München, bei dem Sie, Frau Fehl-Weileder, als Insolvenzverwalterin tätig waren, haben Sie eine Fortführungslösung erreicht. Wie ist das abgelaufen?
Fehl-Weileder: Wir haben es geschafft, dass ein namhafter Risikokapitalgeber den Geschäftsbetrieb des 2018 gegründeten HealthTech Smart4Diagnostics Unternehmens mit der neu gegründeten Auffanggesellschaft S4DX erworben und auch die gesamte Belegschaft übernommen hat. Damit gibt es nun vier Monate nach dem Insolvenzantrag eine Zukunftsperspektive für die Mitarbeitenden und das Produkt des Unternehmens, dem weltweit ersten digitalen und automatisierten Tool für die Qualitätssicherung bei menschlichen Blutproben.
Das klingt wie bei Infinite Devices nach Zukunftstechnologie mit großem Potential. Wie kam es zur Krise des Startups?
Fehl-Weileder: Smart4Diagnostics war gemeinsam mit namhaften Partnern aus dem medizinischen Bereich an mehreren internationalen Ausschreibungen mit einem Volumen von mehreren Millionen Euro beteiligt. Die Ausschreibungen haben sich jedoch zeitlich nach hinten verschoben, und das Startup konnte die laufenden Kosten und die Investitionen in die Weiterentwicklung der Software bis zu den Entscheidungen nicht aus dem laufenden Geschäftsbetrieb erwirtschaften. Die bisherigen Gesellschafter waren nicht bereit, weitere Mittel in das Unternehmen zu investieren. Daraufhin hat die Geschäftsleitung frühzeitig einen Insolvenzantrag gestellt, sodass im Rahmen eines Insolvenzverfahrens ein neuer Investor gesucht und gefunden werden konnte.
Welche weiteren Sanierungsinstrumente gibt es?
Fehl-Weileder: Die Alternative zur übertragenden Sanierung ist der Insolvenzplan. Mit diesem Instrument saniert sich das Unternehmen quasi aus sich selbst heraus. Im laufenden Insolvenzverfahren verhandelt die Geschäftsleitung unter Beteiligung des Insolvenzverwalters mit dem Insolvenzplan einen Vergleich mit den Gläubigern, der meist einen Teilverzicht vorsieht – mitunter unter Einbindung von Drittmitteln. Der Vorteil: Beim Insolvenzplan bleibt die Gesellschaft erhalten und auch die Gesellschaftsanteile des Startups bleiben potentiell werthaltig. Dass sie so von einer Sanierung mit Insolvenzplan ebenfalls profitieren, ist wiederum grundsätzlich ein Anreiz für die Gesellschafter, dieses Verfahren anzugehen und zu unterstützen.
Das klingt so, als ob der Insolvenzplan die bessere Alternative wäre?
Fehl-Weileder: Das passende Sanierungsinstrument sollte für jedes Startup immer individuell geprüft werden. So gibt es seit Januar 2021 zum Beispiel auch die Möglichkeit einer vorinsolvenzlichen Restrukturierung. Mit dem Blick auf den Insolvenzplan ist es so, dass die meisten Startups nicht die Liquidität haben, um einen normalen Geschäftsbetrieb aufrecht erhalten zu können, bis der Plan ausverhandelt ist. Deshalb ist für die meisten Startups in der Praxis eher die übertragende Sanierung das Sanierungsinstrument der ersten Wahl. Fakt ist jedoch: Eine Krise oder finanzielle Schieflage nach der Unternehmensgründung muss jedenfalls nicht das Ende eines Startups sein.
Die Interviewpartner
Dr. Elske Fehl-Weileder und Rüdiger Bauch sind Fachanwälte für Insolvenz- und Sanierungsrecht bei Schultze & Braun. Sie sind unter anderem an den Standorten in Leipzig, Magdeburg, Nürnberg und München der bundesweit vertretenen Kanzlei tätig. Beide haben bereits mehrere Startups durch Krisensituationen begleitet.