Leitzinsentscheidungen der Zentralbanken: Handlungsbedarf für Unternehmen bei den Pensionsverpflichtungen

05. Juni 2024 Blog Insolvenzrecht Restrukturierung und Sanierung Wirtschaftsrecht

Die wahrscheinlichen Leitzinssenkungen der Zentralbanken haben große Auswirkungen auf die Pensionsverpflichtungen von Unternehmen. Alexander von Saenger von Schultze & Braun ordnet im Interview ein, warum niedrigere Zinsen erhöhte finanzielle Aufwendungen für die Unternehmen bedeuten, und er erläutert den Handlungsbedarf und die Möglichkeiten für Unternehmen.

 

Herr von Saenger, es deutet sich an, dass die Europäische Zentralbank, EZB, aber auch die US-amerikanische FED die Leitzinsen zum ersten Mal seit zwei Jahren senken. Was bedeutet das für Unternehmen und ihre Pensionsverpflichtungen?

von Saenger: Nachdem die EZB den Leitzins zuletzt fünf Mal in Folge unverändert gelassen hat, ist es in der Tat gut möglich, dass mit der nächsten Leitzinssitzung im Juni 2024 eine Zeit der sinkenden Zinsen anbricht. Für Unternehmen ist das von großer Bedeutung, da diese Änderung für sie wirtschaftlich von Nachteil sein kann. Denn durch niedrigere Zinsen steigen die finanziellen Aufwendungen für die Verpflichtungen, mit denen sie die Pensionszusagen für ihre Mitarbeitenden abdecken – eine Entwicklung, die wir bereits aus der Niedrigzinsphase zwischen 2008 und 2022 kennen.

 

Weshalb sind die wahrscheinlichen Leitzinssenkungen der FED und der EZB mit Blick auf die Pensionsverpflichtungen von besonderer Bedeutung für Unternehmen?

von Saenger: Das liegt daran, dass beim sogenannten Rechnungszins, anhand dessen die notwendigen Rückstellungen für die Pensionszusagen berechnet werden, der durchschnittliche Marktzinssatz der vergangenen zehn Geschäftsjahre eine wichtige Rolle spielt. Der Großteil des Zehnjahres-Zeitraums war geprägt von niedrigen Zinsen, die Leitzinserhöhungen der letzten zwei Jahre fallen dabei nur wenig ins Gewicht, und nun dürfte der kurze Zinsanstieg auch schon wieder vorbei sein. Hinzu kommt, dass die Finanzmärkte die Zinssenkungen von FED und EZB zum Teil bereits vorweggenommen haben. Der Rechnungszins sinkt also bereits und wird das auch im Laufe des Jahres weiter tun. Das führt dazu, dass die künftigen Verpflichtungen der Unternehmen – etwa für die betriebliche Altersversorgung ihrer Mitarbeitenden –mit einem niedrigeren Zins in die Gegenwart abgezinst werden und die Unternehmen daher mehr Rückstellungen bilden müssen.

 

Das klingt zunächst einmal abstrakt. Lässt sich sagen, was das konkret bedeutet?

von Saenger: Die Unternehmensberatung Willis Towers Watson hat in einer aktuellen Untersuchung gezeigt, dass die Pensionsverpflichtungen der 40 im Deutschen Aktienindex notierten Unternehmen vor allem aufgrund der gesunkenen Zinsen um 18 Milliarden Euro gestiegen sind, auf in Summe 326 Milliarden Euro.

 

Nun sind natürlich nicht alle Unternehmen mit Pensionsverpflichtungen im Deutschen Aktienindex gelistet.

von Saenger: In der Tat stellen die Dax-Unternehmen nur ein Ausschnitt der Unternehmen mit Pensionsverpflichtungen dar, und die Rückstellungssummen bewegen sich bei den meisten Unternehmen sicherlich nicht im Millionen- oder gar Milliarden-Bereich. Jedoch können etwa bei kleineren und mittelständischen auch schon wenige zehn- oder hunderttausend Euro mehr für die Pensionsrückstellungen die Liquiditätsplanung vor eine große Herausforderung stellen. Im Fall der Fälle können die Pensionsrückstellungen sogar zu einer bilanziellen Überschuldung des Unternehmens führen. Da die Insolvenzantragspflicht seit Jahresbeginn wieder voll greift, ist die Geschäftsleitung dann verpflichtet, innerhalb der gesetzlichen Fristen einen Insolvenzantrag zu stellen.

 

Gibt es weitere Besonderheiten, die Unternehmen mit Pensionsverpflichtungen im Blick haben sollten?

von Saenger: Bei Unternehmen, die ihren Mitarbeitenden bereits seit vielen Jahren eine Alters-, Invaliden- oder Hinterbliebenenversorgung anbieten, kommt eine zusätzliche Herausforderung hinzu. Es kann es sein, dass das Verhältnis zwischen der Zahl der Betriebsrentner und der Zahl der aktiven Mitarbeitenden über die Jahre in Schieflage gerät – etwa, wenn das Unternehmen sein Geschäftsmodell anpassen oder sich aus anderen Gründen verkleinern muss.

 

Wie beim Modelleisenbahn-Hersteller Fleischmann.

von Saenger: Ja, nach Angaben des Unternehmens waren die verbliebenen 33 Mitarbeitenden 2015 nicht mehr in der Lage, die Pensionsverpflichtungen von mehr als 600 ehemaligen Mitarbeitenden zu erwirtschaften. Die Geschäftsleitung stellte einen Insolvenzantrag. Im Zuge des Verfahrens wurde für die Sanierung des Unternehmens ein Insolvenzplan erstellt und mit den Gläubigern abgestimmt. Ein wichtiger Bestandteil der Sanierung war, dass der Pensions-Sicherungs-Verein, kurz PSVaG, auf einen Großteil seiner Forderungen verzichtet hat, und die Pensionsverpflichtungen für die ehemaligen Mitarbeitenden des Unternehmens übernahm.

 

Was raten Sie Unternehmen beim Thema Pensionsverpflichtungen?

von Saenger: Unternehmen sollten das Thema Pensionsverpflichtungen gerade vor dem Hintergrund der wahrscheinlichen Leitzinssenkungen im Blick haben und diese zum Anlass nehmen, ihre aktuelle Situation zu prüfen. Bei den Pensionsverpflichtungen gilt die Devise: Je früher eine Schieflage erkannt wird, desto größer sind die Chancen, eine Lösung zu finden.

Alexander von Saenger

ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei Schultze & Braun. Er ist unter anderem an den Standorten in Bremen und Nürnberg der bundesweit vertretenen Kanzlei tätig. Seine Spezialgebiete sind das Sanierungsarbeitsrecht und die Beratung von Unternehmen rund um das Thema Leiharbeit.