Finanzielle Schieflage: Regulierter Marktaustritt für Unternehmen aus der Finanzwirtschaft

12. September 2024 Blog Insolvenzrecht Restrukturierung und Sanierung Wirtschaftsrecht

Geraten Banken oder Versicherer in eine wirtschaftliche Schieflage, kommen branchenspezifische Besonderheiten zum Tragen. Die EU hat nun neue Regeln für die Sanierung und Abwicklung von Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen auf den Weg gebracht.

Als das damalige Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen, eine Vorgängerbehörde der BaFin, vor 50 Jahren, am Nachmittag des 26. Juni 1974, das Kölner Bankhaus I. D. Herstatt KGaA von jetzt auf gleich schloss, war das so etwas wie der Hallo Wach-Moment der Bankenregulierung – in Deutschland, aber auch in Europa.

Zentrale und systemrelevante Bedeutung

Bis heute ist die Regulierung des Bankensektors regelmäßig erweitert worden – gerade auch mit dem Blick auf die mögliche Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten. Denn wohl kaum ein anderer Sektor hat für Volkswirtschaften und Finanzmärkte eine derart zentrale und systemrelevante Bedeutung, und die Auswirkungen einer wirtschaftlichen Schieflage einer oder sogar mehrerer Kreditinstitute stellen für alle Beteiligten ein Worst Case-Szenario dar – Stichwort Bankrun. Gleiches gilt für die Versicherungswirtschaft, auch wenn hier nicht der finanzielle Aspekt für den einzelnen Bankkunden, sondern der Schutz des einzelnen Versicherungsnehmers im Vordergrund steht.

Mit diesem Schutz als Ziel hat die EU den Aufsichtsrahmen Solvency II auf den Weg gebracht, der Ende April 2024 vom Europäischen Parlament verabschiedet wurde. Zu Solvency II gehört auch die IRRD-Richtlinie mit Regeln für die Sanierung und Abwicklung von Versicherern und Rückversicherern in der EU. Nun haben die EU-Mitgliedsstaaten zwei Jahre Zeit zur Umsetzung der Regelwerke in nationales Recht. Maßgeblicher Teil der IRRD-Richtlinie ist die EU-weite Harmonisierung der Vorgaben zu Sanierungs- und Abwicklungsplänen. Die Richtlinie ergänzt dabei das bestehende Regelwerk. Die nationalen Aufsichtsbehörden – in Deutschland die BaFin – sollen künftig sicherstellen, dass eine Mindestanzahl von Versicherungsunternehmen in jedem Mitgliedsstaat der EU dazu verpflichtet wird, präventive Sanierungspläne aufzustellen.

Ein guter und wichtiger Schritt

Die Verabschiedung der IRRD-Richtlinie und die damit verbundene Vorbereitung auf eine mögliche wirtschaftliche Schieflage von Versicherern ist per se ein guter und wichtiger Schritt – gerade auch angesichts der neuen Risiken, die sich etwa aus dem Klimawandel und Naturkatastrophen ergeben. Laut Munich Re belaufen sich die Gesamtschäden durch Naturkatastrophen allein im Jahr 2023 auf 250 Milliarden US-Dollar. Gleichwohl befindet sich die Kapitalausstattung deutscher Versicherer nach Angaben des Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft auf einem hohen Niveau. Im Branchenmittel betrug sie zum Jahresende 2023 305 Prozent. Das zeige, wie solide das Geschäftsmodell der Versicherer sei, sagte GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen Anfang Juli bei der Versicherungsregulierungskonferenz des Verbandes.

Im Bankenumfeld noch nicht zum Einsatz gekommen

Im Bankenumfeld ist die Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten schon seit 2015 in Kraft. Zum Einsatz gekommen ist sie in Deutschland bislang jedoch noch nicht. Bei den wenigen Banken, die hierzulande in den vergangenen Jahren in eine wirtschaftliche Schieflage geraten sind, wurde ein geordneter Marktaustritt im Rahmen einer Liquidation der Gesellschaft oder mit den Instrumenten des deutschen Insolvenzrechts erreicht. In diesem Zusammenhang lohnt sich der Blick auf die Besonderheiten solcher Fälle.

Insolvenz-Monopol der BaFin

Oftmals verhängt die BaFin gegen Banken in einer wirtschaftlichen Schieflage zunächst ein Moratorium, durch das die Bank ihren Geschäftsbetrieb einstellen muss. Die Bank darf in einem solchen Fall zum Beispiel nur noch Zahlungen entgegennehmen, die von Dritten zur Tilgung von Verbindlichkeiten geleistet wurden. Durch das Moratorium ist es möglich, zu prüfen, ob das Institut wirtschaftlich noch gesund genug ist, um seinen Betrieb gegebenenfalls mit Unterstützung Dritter wieder aufnehmen zu können – und das ohne (zusätzlichen) Druck des abfließenden Vermögens.

Ist die Fortführungsprognose für die Bank negativ, kommt es nach einem Moratorium in der Regel zur anschließenden Insolvenz des Instituts. Dabei ist es bei Banken und Versicherern so, dass ausschließlich die BaFin als Aufsichtsbehörde eine Bank schließen oder einen Insolvenzantrag gegen sie stellen kann. Im Fokus eines möglichen geordneten gesetzlichen Insolvenzverfahrens steht in einem solchen Fall stets die Sicherung des vorhandenen Vermögens der Bank. Die Einlagen der Kunden selbst sind durch die gesetzliche Einlagensicherung abgesichert, und die Kunden werden – nach Feststellung des sogenannten Entschädigungsfalls durch die BaFin – entsprechend bis zu einer Summe von 100.000 Euro pro Kunde entschädigt. Darüber hinaus bestehen freiwillige Einlagensicherungssysteme, die (der Höhe nach allerdings begrenzt) auch größere Einlagen absichern.

Deutschland ist gut aufgestellt

Insgesamt zeigen die bisherigen Erfahrungen, dass Deutschland mit den Maßnahmen auf EU-Ebene sowie den Möglichkeiten und gesetzlichen Regelungen einer Gesellschafts-Liquidation und des nationalen Insolvenzrechts für mögliche wirtschaftliche Schieflagen von Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen, aber auch von Kreditinstituten gut aufgestellt ist.

Der Autor

Dr. Dietmar Haffa ist am Stuttgarter Standort der bundesweit vertretenen Kanzlei Schultze & Braun tätig. Der Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht und Diplom-Betriebswirt wurde Anfang 2023 nach dem Insolvenzantrag der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) vom Amtsgericht Mainz zum Insolvenzverwalter der North Channel Bank bestellt.