Kredite und Krisen
In der deutschen Finanzwirtschaft rücken Kreditrisiken verstärkt ins Blickfeld. Jürgen Sonder, der Präsident der Bundesvereinigung Kreditankauf und Servicing (BKS) und Dr. Ludwig J. Weber von Schultze & Braun erläutern, warum ein funktionierender und professioneller Sekundärmarkt für notleidende Kredite und eine profunde Krisenexpertise daher umso wichtiger sind.
Herr Sonder, Herr Weber, Michael Theurer, Vorstand der Deutschen Bundesbank, hat bei der Vorstellung des Finanzstabilitätsberichts 2024 Ende November des vergangenen Jahres gesagt, dass das Finanzsystem vor akuten Herausforderungen aufgrund geopolitischer Spannungen und einer schwachen Wirtschaft steht. Oberste Priorität müsse daher ein widerstandsfähiges Finanzsystem sein. Wie schätzen Sie die Situation ein?
Weber: Die Stabilität des Finanzmarkts ist aber auch für die Realwirtschaft ein existentieller Faktor zur Bewältigung von Krisen – gerade in wirtschaftlich und politisch unsicheren Zeiten. Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen übertrifft bereits heute das Vor-Corona-Niveau – und der sich auch für 2025 abzeichnende Aufwärtstrend ist ein deutliches Zeichen für die angespannte wirtschaftliche Lage.
Sonder: Die Ergebnisse der aktuellen Ausgabe des NPL-Barometers, das wir als BKS zusammen mit der Frankfurt School of Finance & Management erheben, sprechen eine eindeutige Sprache: Wie auch bei den Insolvenzen dürfte sich bei den notleidenden Krediten der Anstieg fortsetzen – und das in allen Assetklassen, insbesondere aber in den Bereichen Konsumentenkredite, kleine und mittlere Unternehmen sowie Gewerbeimmobilien.
Gewerbeimmobilien sind ein Sektor, dem auch die Bundesbank besondere Aufmerksamkeit widmet. Gibt es hierbei Besonderheiten, die Banken im Blick haben sollten?
Weber: Wenn eine Immobilie finanziell einsturzgefährdet ist, gibt es für gesicherte Gläubiger wie etwa eine Bank mit einem Grundpfandrecht neben einer Insolvenzverwaltung weitere Möglichkeiten, ihr Ausfallrisiko zu minimieren: Die Zwangsverwaltung ist eine Möglichkeit, die darauf abzielt, die Forderungen des oder der gesicherten Gläubiger zu befriedigen – etwa, indem der Zwangsverwalter Erträge wie Mieten und/oder Pacht einzieht und für den oder die Gläubiger sichert.
Wie sehen Sie die Entwicklung bei den notleidenden Krediten?
Sonder: Laut dem aktuellen EBA Risk Dashboard für das dritte Quartal 2024 ist der NPL-Bestand innerhalb eines Jahres von 34 auf 42 Mrd. Euro angestiegen. Auf Jahressicht ist nach unseren Schätzungen bei deutschen Banken branchenübergreifend mit weiteren notleidenden Krediten zu rechnen. Das bedeutet, dass Kreditrisiken für Banken weiter an Brisanz gewinnen. Dabei ist Prävention das A und O, um möglichen Kreditrisiken frühzeitig und proaktiv begegnen zu können. Ein funktionierender und professioneller Zweitmarkt für notleidende Kredite oder auf Englisch Non-performing Loans, abgekürzt NPL, kann die Finanzwirtschaft signifikant unterstützen und eine mögliche selbstverstärkende Abwärtsspirale verhindern.
Welche Rolle spielt dabei aus Ihrer Sicht die EU-Richtlinie über Kreditdienstleister und Kreditkäufer?
Sonder: Sie war und ist ein wichtiger Schritt, um einen europaweit einheitlichen Rechtsrahmen für den Sekundärmarkt zu schaffen. Die Richtlinie wurde 2021 verabschiedet, und ist in Deutschland in das Kreditzweitmarktgesetz überführt worden, das am 30. Dezember 2023 in Kraft getreten ist. Das Gesetz regelt unter anderem neue Pflichten für Kreditinstitute und Käufer notleidender Kredite, Anforderungen an Kreditdienstleister sowie deren Beaufsichtigung durch die BaFin. Im Zentrum stehen die Kreditdienstleister, die für ihre Tätigkeiten auf dem Zweitmarkt nun eine Erlaubnis der BaFin benötigen. Zugelassene Dienstleister können damit auch EU-weit als Kreditdienstleister tätig werden. Die Mitglieder der BKS, die bezogen auf das Transaktionsvolumen den größten Teil des deutschen Sekundärmarktes für NPLs widerspiegeln, haben bereits im Sommer 2024 alle Anforderungen des Kreditzweitmarktgesetzes erfüllt.
Weber: Durch den Verkauf von notleidenden Darlehensforderungen hilft der Zweitmarkt Banken, Sparkassen und Landesbanken, ihre Bilanzen zu bereinigen, Risikostrukturen zu verbessern, Liquidität zu sichern und letztlich Neukredite an Darlehensnehmer zu vergeben. Für Investoren sind NPL-Portfolios durch den möglichen Discount auf die notleidenden Forderungen attraktiv, den sie am Ende in eine risikoadäquate Rendite wandeln wollen. Sie haben aber auch die Möglichkeit sich zum Beispiel über einen Debt-Equity-Swap und/oder einen Insolvenzplan am schuldnerischen Unternehmen zu beteiligen.
Welches sind die ausschlaggebenden Erfolgsfaktoren bei solchen Transaktionen?
Weber: Der ausschlaggebende Erfolgsfaktor bei NPL-Transaktionen für Verkäufer und Käufer sind die Recovery-Chancen für die entsprechenden Portfolios. Um die Ertragschancen und darauf basierend den Preis für die NPL-Portfolios zu ermitteln, ist eine umfassende Due Diligence-Prüfung sinnvoll. So können die Forderungen an sich und die aus ihnen resultierenden finanziellen und rechtlichen Chancen und Risiken bewertet werden. In diesem Zusammenhang spielt eine fundierte Krisenexpertise eine gewichtige Rolle. Diese ist für Banken aber auch für die Bewertung ihres Ausfallrisikos von besonderer Bedeutung – gerade bei Unternehmens- und Immobilienfinanzierungen, bei denen es in der Regel um hohe Beträge geht. Gerät ein Kreditnehmer in eine finanzielle Schieflage, müssen die Institute für sich oftmals eine Antwort auf die Frage „Können wir die Sanierung des Unternehmens unterstützen?“ finden. Das Risiko, aber auch die Wahl des passenden Sanierungsweges sollten dabei immer individuell geprüft werden.
Sonder: Bei der Sanierung von Unternehmen ist es wie bei der Bearbeitung von notleidenden Krediten: Experten arbeiten Hand in Hand – und das sehr erfolgreich. So konnten die NPL-Bestände europäischer und deutscher Kreditinstitute nach der Finanzkrise sukzessive abgebaut werden: ein wichtiger Beitrag zur Finanzmarktstabilität und sicherlich ein Faktor, der dazu beigetragen hat, dass das Finanzsystem nach der Pandemie auch die Phase außergewöhnlich stark steigender Zinsen gut verkraftet hat.
Die Interviewpartner
Jürgen Sonder
ist Präsident der Bundesvereinigung Kreditankauf und Servicing (BKS), Vorsitzender des Senior Advisory Board der Intrum Gruppe in Deutschland und Mitglied des Beirats des Frankfurter Instituts für Risikomanagement und Regulierung (FIRM). Er ist seit über 35 Jahren in der Finanzdienstleistungsbranche tätig und initiierte und verantwortete Transaktionen über mehrere Milliarden Euro.