Sanierung 2.5: Nichts ist so beständig wie der Wandel

22. Februar 2024 Blog Insolvenzrecht Restrukturierung und Sanierung Wirtschaftsrecht

In diesem Jahr jährt sich das Inkrafttreten der Insolvenzordnung zum 25. Mal. Die InsO bildet das rechtliche Fundament für Unternehmenssanierungen. Doch die Tätigkeit von Saniererinnen und Sanierern umfasst noch viel mehr und wandelt sich immer weiter. Im Interview sprechen Dr. Elske Fehl Weileder und Kristin Winter von Schultze & Braun über die Fähigkeiten Probleme zu lösen, das Treffen von Entscheidungen und vermeintliche Schwächen.

Frau Fehl-Weileder, Frau Winter, Sie sind als Saniererinnen tätig. Wie ändert sich Ihrer Erfahrung nach die Herangehensweise an Unternehmenssanierungen?

Fehl-Weileder: Der Umgang mit den Beteiligten in einer Sanierung abseits der rein rechtlichen Parameter spielt eine immer größere Rolle. Man muss aus meiner Sicht unbedingt im Blick haben, dass eine Insolvenz – unabhängig davon, in welchem Verfahren sie abläuft – für alle Beteiligten eine Sondersituation darstellt. Das reicht vom Unternehmer, der eventuell sein berufliches Lebenswerk in Gefahr sieht, über die Arbeitnehmer, die sich Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen bis zu den Kunden und Lieferanten, die wissen wollen, welche Auswirkungen die Insolvenz ihres Geschäftspartners auf ihr Unternehmen hat oder den Finanzierern, die ihr Investment sichern wollen. Um die unterschiedlichen Interessen auf das zu lenken, was im Normalfall das Beste für alle ist – die Fortführung des Unternehmens und der Erhalt möglichst vieler Arbeitsplätze – muss man als Verwalterin oder Verwalter die Beteiligten mitnehmen. Und das funktioniert nur mit einer gewissen Empathie und nicht einfach „kraft Amtes“.

Winter: Dem stimme ich voll und ganz zu. Die Insolvenzordnung oder das StaRUG bilden zwar den rechtlichen Rahmen und wir brauchen die Fähigkeit, dieses Wissen anzuwenden. Aber auch Soft Skills sind wichtig, also auch mal kreativ bei der Lösungsfindung zu sein und eine Sache mit Engagement anzupacken. Zudem finde ich Empathie und einen offenen und fairen zwischenmenschlichen Umgang wichtig und wertschätzend. Auch die beste Saniererin oder der beste Sanierer kann ohne ein Team – und damit meine ich seine Mitarbeitenden, aber auch die Führungskräfte und die Belegschaft im insolventen Unternehmen – nur wenig erreichen. Es geht in Sanierungen also immer auch darum, in dieser besonderen Situation zu einem neuen Team zusammenzuwachsen.

 

Wenn Sie zum ersten Mal in ein Unternehmen in finanzieller Schieflage kommen. Wie ist dann die Reaktion? Hat sich die Sichtweise auf die Insolvenz geändert?

Winter: Ja, sie hat sich geändert, aber da ist immer noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten. Und ich meine damit nicht nur die Unternehmen, die sich in einer Krise befinden, sondern generell. Vielfach sind die Möglichkeiten, die wir als gerichtlich bestellte Verwalter haben, um ein Unternehmen wieder in die Spur zu bringen, überhaupt nicht bekannt. Eine Insolvenz wird immer noch zu oft mit dem automatischen Ende des Unternehmens in Verbindung gebracht. Das führt mitunter auch dazu, dass einem Arbeitnehmer oder Lieferanten – um zwei Beispiele zu nennen – zunächst ablehnend gegenüber stehen. Wenn ich aber authentisch und transparent vermitteln kann, dass es eine reelle Chance gibt, das Unternehmen, die Arbeitsplätze oder die Geschäftsbeziehung zu erhalten, dann ändert sich das meist ziemlich schnell. Die Überzeugungsarbeit ist aber immer noch essentiell.

Fehl-Weileder: Die Sichtweise auf die Insolvenz ändert sich in der Tat leider nur sehr langsam. In vielen insolventen Unternehmen herrscht bereits Endzeitstimmung, wenn wir eintreffen. Da spielen Motivation, aber auch Offenheit und Transparenz eine große Rolle. Wenn zum Beispiel die schwierige wirtschaftliche Situation und der Insolvenzantrag von der Geschäftsführung bereits gegenüber den Mitarbeitenden kommuniziert wurde – wozu ich immer raten würde – ist das ein wichtiger erster Schritt. Zudem müssen Ansatzpunkte für positive Botschaften und berechtigte Hoffnungen gefunden werden, um zu vermitteln, dass die Insolvenz und eine Sanierung zwar kein Selbstläufer ist, aber gleichwohl eine Chance auf einen Neuanfang darstellt. Ich stelle immer wieder fest, dass die Mitarbeitenden dankbar sind und damit sehr gut umgehen können, wenn man ihnen gegenüber die Situation des Unternehmens realistisch darstellt und nichts beschönigt. Das bedeutet aber auch, dass man auch transparent ist, wenn es trotz aller Anstrengungen keine Optionen mehr für eine wirtschaftliche Fortführung gibt.

 

Sie sprechen die Information der Mitarbeitenden an. Wie gehen sie dabei vor, wenn es in einem Unternehmen zum Beispiel mehrere Standorte gibt, oder die Mitarbeitenden im Home Office arbeiten und es gar keinen Unternehmenssitz im klassischen Sinn mehr gibt?

Fehl-Weileder: Bei der Kommunikation in einem insolventen Unternehmen gilt das Gleiche wie bei der Auswahl des Sanierungsinstruments oder dem Vorgehen beim Investorenprozess: Das sollte immer individuell entschieden werden. Bei einem klassischen Produktionsunternehmen wird es auch weiterhin die Belegschaftsversammlung und den Aushang am Schwarzen Brett geben – gerade, wenn nicht alle Mitarbeitende einen digital ausgestatteten Arbeitsplatz haben. Wenn wir hingegen von Unternehmen sprechen, deren Mitarbeitende digital an unterschiedlichen Standorten arbeiten, dann nutzen wir natürlich die vorhandenen Kommunikationskanäle wie etwa Videotelefonie. Bei einem Start-up aus dem Medizinbereich, für das wir nach einer Fortführungslösung suchen, haben wir das Kennenlernen und die ersten Besprechungen persönlich vor Ort gemacht und stimmen uns nun im weiteren Verlauf des Verfahrens digital ab. Der persönliche Austausch – gerade zu Beginn des Verfahrens – ist nach wie vor sinnvoll und wichtig.

Winter: Es hat in der Tat viele Vorteile, sich persönlich zu besprechen. Das umfasst nicht nur die festen Termine in den Unternehmen, sondern auch das Gespräch mit den Mitarbeitenden, wenn wir ohne fixen Termin durch die Gänge oder Hallen laufen. So ergeben sich durchaus auch Gespräche und Ansätze, die im besten Videotelefonat nicht so einfach zustande kommen. Und wir bekommen einen Eindruck davon, welche Sorgen die Belegschaft hat oder welche Vorschläge es vielleicht aus ihren Reihen gibt. Zudem ist es gerade in einer Sondersituation wie einer Insolvenz wichtig, Präsenz zu zeigen und zu vermitteln, dass wir als Insolvenzverwalterinnen und Insolvenzverwalter zwar einen Auftrag zu erfüllen haben, aber trotzdem Ansprechpartner sind und ein offenes Ohr haben.

 

Sie sind als Frauen in einer immer noch sehr männerlastigen Branche tätig. Stellen Sie fest, dass sich hier ein Wandel vollzieht?

Fehl-Weileder: Inzwischen gibt es weitaus mehr Insolvenzverwalterinnen und Saniererinnen als noch vor einigen Jahren. Und auch der Austausch untereinander ist viel intensiver geworden – etwa bei den Distressed Ladies, einem Expertinnen-Netzwerk für Unternehmensrestrukturierung, -sanierung und Insolvenz, bei dem ich auch Mitglied bin. Man kann also durchaus sagen, dass sich die Branche in diesem Zusammenhang wandelt, und ich bin mir sicher, dass sich dieser Wandel fortsetzen wird. Gleichwohl ist die Branche historisch bedingt immer noch männlich geprägt. Das führt dazu, dass gerade bei größeren Verfahren immer noch eher ein Verwalter als eine Verwalterin bestellt wird – und das auch, weil es mehr bewährte Verwalter als Verwalterinnen gibt, da früher nur wenige Frauen in die Insolvenzverwaltung und die Sanierung gegangen sind. Aber das ändert sich wie gesagt inzwischen, und es gibt immer mehr Verwalterinnen, die für Unternehmen aus Branchen bestellt werden, die gemeinhin vielleicht eher männlich zugeordnet werden – etwa Speditionen oder Maschinenbauer. Ich erlebe aber immer wieder, dass ich als Frau gerade in solchen Branchen einen nicht zu unterschätzenden Vorteil habe: Eine Frau wird von der Geschäftsleitung weniger als Wettbewerber gesehen – vielleicht wegen des in der Regel weniger „hemdsärmeligen“ Auftretens. Daher ist die Hürde für eine konstruktive Zusammenarbeit zum Wohle des Unternehmens oftmals niedriger.

Winter: Als Insolvenzverwalterin ist es meine Aufgabe, Entscheidungen zu treffen. Dies mache ich hauptsächlich auf Basis von Informationen aus dem insolventen Unternehmen. Da ist es hilfreich, wenn die Geschäftsführung kooperativ ist – und wenn es dabei hilft, dass ich als Frau weniger als Wettbewerber gesehen werde, als ein Mann, dann kann das im Fall der Fälle zum Gelingen einer Sanierung beitragen. Ich würde mir wünschen, dass hier stärker ein Umdenken stattfindet und Sanierungen branchenunabhängig gesehen werden. Und eine Sichtweise, in der es vermeintliche Frauenbranchen wie Schuhläden oder Kosmetikstudios und vermeintliche Männerbranchen wie die schon erwähnten Speditionen oder Bauunternehmen gibt, der Vergangenheit angehören. Wichtig ist: Wenn eine Verwalterin oder ein Verwalter Erfahrungen in einer bestimmten Branche hat, ist das auf jeden Fall von Vorteil, aber man sollte keine Branchen von vorneherein ausschließen.

 

Unternehmen sehen sich derzeit einer Vielzahl von Herausforderungen gegenüber. Eine davon ist der Fachkräftemangel, der inzwischen nahezu jede Branche betrifft. Wie äußert sich dieser Aspekt bei Ihrer Sanierungstätigkeit?

Winter: Die Auswirkungen, die der Fachkräftemangel für Unternehmen hat, gehen mittlerweile längst über Einschränkungen der Leistungsfähigkeit hinaus. Es geht bei immer mehr Unternehmen darum, dass ihre Existenz bedroht ist, weil sie keine oder nicht in ausreichendem Maße qualifizierte Arbeitskräfte finden. Gerade daher ist zum Beispiel eine gezielte Zuwanderung – die zum Beispiel mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz von der Bundesregierung gefördert wird – sinnvoll und wichtig, um dieser wirtschaftlichen, aber gleichzeitig auch gesellschaftlichen Herausforderung zu begegnen. Denn die Auswirkungen des Mangels an Mitarbeitenden – und ich würde diesen Mangel nicht auf Fachkräfte fokussieren, sondern auf Arbeitskräfte per se beziehen –bleiben ja nicht auf die Wirtschaft beschränkt. So haben etwa die Insolvenzen, die es zuletzt auch aufgrund des Fach- und Arbeitskräftemangels im Bereich der Altenpflege gegeben hat, eben auch große Auswirkungen auf die Bewohner der Einrichtungen und damit auf die Gesellschaft als Ganzes. Ich habe es bei meiner Tätigkeit selbst erlebt, dass ein Pflegeheim trotz vorhandener Infrastruktur und hoher Nachfrage von der Schließung betroffen war, weil die notwendige Personalquote nicht erreicht werden konnte.

Fehl-Weileder: Auch in nicht regulierten Branchen können Unternehmen inzwischen Aufträge nicht mehr bearbeiten oder Stellen von Mitarbeitenden, die das Unternehmen verlassen oder in den Ruhestand gehen, nicht mehr nachbesetzen. Sie geraten dadurch nicht automatisch in wirtschaftliche Schwierigkeiten, aber das Risiko nimmt natürlich zu, dass eine Krise eintritt. Und auch in Insolvenzverfahren zeigen sich die Auswirkungen des Fach- und Arbeitskräftemangels – allerdings in einer anderen Ausprägung: Es ist für uns Sanierer weitaus wichtiger geworden, den Mitarbeitenden realistisch und ehrlich die Perspektiven für ihr Unternehmen und ihre Arbeitsplätze aufzuzeigen und sie bei den Sanierungsbemühungen mitzunehmen. Denn die Mitarbeitenden haben zum einen mehr Möglichkeiten, schneller einen neuen Job zu finden. Zum anderen gehen etwa Wettbewerber dazu über, die Belegschaft eines insolventen Unternehmens gezielt abzuwerben – und das auf allen Hierarchieebenen. Ich habe es zum Beispiel schon erlebt, dass vor dem Unternehmenssitz oder in den Filialen mit der Aussage „Kommt doch lieber zu uns, ihr seid ja insolvent“ Visitenkarten verteilt und zum Wechsel aufgefordert wurde. Da hilft es, wenn ein Unternehmen bereits seit Längerem offen und transparent mit seinen Mitarbeitenden kommuniziert und sie mehr mit ihrem Arbeitsplatz verbinden, als die monatliche Gehaltszahlung.

Information

Auf den 2. Bodensee Rechtstagen wird sie die Podiumsdiskussion zum Thema „Elektronischer Rechtsverkehr und Steuern“ moderieren. Die Fachtagung und das Branchentreffen der südwestdeutschen Insolvenz- und Sanierungsbranche findet am 13. und 14. Mai 2024 in Konstanz statt.

Die Interviewpartnerinnen:

Dr. Elske Fehl-Weileder ist Fachanwältin für Insolvenz- und Sanierungsrecht, Kristin Winter ist Wirtschaftsjuristin (LL.M.). Beide sind unter anderem an den Standorten in Nürnberg, München, Braunschweig und Hannover der bundesweit vertretenen Kanzlei Schultze & Braun tätig. Fehl-Weileder und Winter haben bereits mehrere Unternehmen durch Krisensituationen begleitet.