Insolvenz! Und jetzt?
Fakt ist: Jeder kann von der Insolvenz seines Arbeitgebers betroffen sein. Gleichzeitig haben Arbeitnehmer in der Insolvenz eine Sonderstellung. Dr. Elke Trapp-Blocher ordnet die arbeitsrechtlichen Auswirkungen einer Insolvenz ein – für Mitarbeitende, aber gerade auch für Personalverantwortliche.
Grundsätzlich gilt: Egal, ob es sich um einen Konzern oder ein kleines Unternehmen handelt – mit dem Insolvenzantrag beginnt für die Mitarbeitenden regelmäßig die Angst um den Arbeitsplatz: Gilt mein Arbeitsvertrag noch? Kann ich jetzt leichter gekündigt werden? Bekomme ich noch mein Gehalt?
Hochbetrieb in der Personalabteilung
Diese und andere Fragen führen bei Personalverantwortlichen dann regelmäßig zu Hochbetrieb. Vielfach ist ihnen jedoch nicht klar, welche konkreten arbeitsrechtlichen Auswirkungen es für die Mitarbeitenden hat, wenn der Arbeitgeber einen Insolvenzantrag stellt. Die Folge: Die Verunsicherung steigt und wichtige Mitarbeiter verlassen das Unternehmen, weil sie keine Perspektive sehen.
Personalverantwortliche sollten sich daher rechtzeitig – auch wenn sich das Unternehmen noch nicht in einer finanziellen Schieflage befindet – mit den wichtigsten arbeitsrechtlichen Auswirkungen einer Insolvenz befassen. Sie können dann ihre Kolleginnen und Kollegen schnell und umfassend informieren – und so ihren Teil zur Sanierung des insolventen Unternehmens beitragen. Denn so hart es klingt: Es geht auch um die Jobs in der Personalabteilung.
Personaler sollten daher die Antworten auf die häufigsten und wichtigsten arbeitsrechtlichen Fragen in einer Insolvenz kennen. Diese betreffen die nachfolgenden zehn Punkte:
- Der Insolvenzverwalter wird zum Arbeitgeber
Ein Insolvenzverfahren besteht in der Regel aus zwei Phasen: dem vorläufigen und dem eröffneten Verfahren. Im vorläufigen Verfahren, das in den meisten Fällen drei Monate dauert, gibt es zwei Möglichkeiten:
- Der vorläufige Insolvenzverwalter übernimmt als sogenannter „starker“ vorläufiger Verwalter die Stellung und die Befugnisse des Arbeitgebers bereits kurz nach dem Insolvenzantrag. Dies ist der Fall, wenn dem insolventen Unternehmen ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt wird. Der vorläufige Verwalter kann dann zum Bei- spiel schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens Kündigungen aussprechen.
- Wurde ihm vom Gericht kein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt, bleibt das (insolvente) Schuldnerunternehmen zunächst der Arbeitgeber. Der – in diesem Fall „schwache“ – vorläufige Insolvenzverwalter muss dann zum Bei- spiel Kündigungen zustimmen.
Wird das Insolvenzverfahren eröffnet, geht die Arbeitgeberstellung normalerweise komplett auf den Insolvenzverwalter über. Sonderfälle sind die sogenannte Eigenverwaltung und das Schutzschirmverfahren, die Sanierung in eigener Regie. Wurde sie vom Gericht angeordnet, behält der Schuldner seine Stellung als Arbeitgeber. Er verwaltet die Insolvenzmasse dann in eigener Regie und kann über sie verfügen. Beaufsichtigt wird er von einem Sachwalter, einer Art Aufsichtsrat.
- Die Frage des Geldes: Vergütungsansprüche vor Insolvenzeröffnung
Zu den wichtigsten Fragen nach dem Stellen des Insolvenzantrags gehört die nach Gehalt oder Lohn. Im Insolvenzverfahren haben Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenzgeld der Agentur für Arbeit – allerdings erst, nachdem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Sie erhalten das Insolvenzgeld dann drei Monate rückwirkend.
Da aber kaum ein Arbeitnehmer drei Monate auf seine Vergütung warten kann, da er regelmäßige Ausgaben wie etwa Miete hat, kümmern sich vorläufige Insolvenzverwalter in der Regel um eine Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes. Dafür kann der vorläufige Insolvenzverwalter bei einer Bank ein sogenanntes Massedarlehen aufnehmen, um alle Nettovergütungen zu bezahlen. Die Arbeitnehmer treten im Gegenzug ihre Ansprüche auf das Insolvenzgeld an die Bank ab. Gedeckelt ist das Insolvenzgeld durch die Beitragsbemessungsgrenze der Renten- beziehungsweise Arbeitslosenversicherung in Höhe von 7.550 Euro brutto (West) und 7.450 Euro brutto (Ost). Folgende Lohn- und Gehaltsanteile sind insolvenzgeldfähig:
- Nettogehalt sowie Überstunden aus dem Insolvenzgeldzeitraum;
- Nettoanteil der Zuschläge gemäß Tarif- oder Arbeitsvertrag;
- Fahrgeld;
- vermögenswirksame Leistungen des Arbeitsgebers;
- unter bestimmten Voraussetzungen auch Sonderzahlungen, wie zum Beispiel Weihnachtsgeld, 13. Monatsgehalt oder Provisionen.
Wichtig ist, dass der Arbeitnehmer den Insolvenzgeldantrag innerhalb von zwei Monaten nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellt. Ansonsten verliert er seinen Anspruch.
Ansprüche des Arbeitnehmers, die nicht durch das Insolvenzgeld gedeckt sind, muss er als Forderung zur Insolvenztabelle anmelden. Darunter fallen etwa Tantiemen, Abfindungen oder – sofern das Arbeitsverhältnis vor Insolvenzeröffnung endet – auch Urlaubsabgeltungen.
- Gehalt als Masseverbindlichkeit: Vergütungsansprüche nach Insolvenzeröffnung
Ab dem Zeitpunkt, an dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, gelten alle Gehalts- und Lohnansprüche als sogenannte Masseverbindlichkeiten. Der Arbeitnehmer hat dann normalerweise die Sicherheit, dass seine Forderung, also sein Arbeitsentgelt, in voller Höhe aus der Insolvenzmasse bedient wird. Dies gilt unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer beschäftigt werden kann oder freigestellt werden musste. Für den Fall, dass die Insolvenzmasse nicht ausreicht, um die Masseverbindlichkeiten zu erfüllen, zeigt der Insolvenzverwalter Masseunzulänglichkeit an. Er muss dann die Arbeitnehmer, deren Leistung er nicht in Anspruch nimmt, ohne Bezahlung der Vergütung freistellen. Diese Arbeitnehmer können dann bei der Bundesagentur für Arbeit einen Antrag auf Arbeitslosengeld im Sinne der Gleichwohlgewährung stellen. Ihnen droht dann ein finanzieller Verlust.
- Drohender finanzieller Verlust: Arbeitszeitguthaben bei Insolvenzeröffnung
Ein Arbeitszeitkonto drückt den Vergütungsanspruch und damit Forderungen des Arbeitnehmers an seinen Arbeitgeber aus. Forderungen aus der Zeit vor der Insolvenzeröffnung – soweit sie nicht vom Insolvenzgeld gedeckt sind – können Arbeitnehmer lediglich zur Insolvenztabelle anmelden – dies gilt auch für Guthaben aus Altersteilzeit. Da die Arbeitnehmer auf diese Forderungen nur die Insolvenzquote erhalten, bedeutet dies für sie oftmals einen finanziellen Verlust.
- Bleiben grundsätzlich erhalten: Urlaubsansprüche in der Insolvenz
Ähnlich große Bedeutung wie die Frage nach dem Gehalt hat die Frage nach dem Urlaub. In der Insolvenz bleiben Urlaub und Urlaubsentgelt grundsätzlich erhalten. Sie werden dem Zeitraum zugeordnet, in dem der Urlaub genommen wird. Urlaubsabgeltungsansprüche entstehen hingegen generell erst, wenn das Arbeitsverhältnis beendet wird. Geschieht dies nach der Insolvenzeröffnung, gelten die Ansprüche als Masseverbindlichkeiten. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Zeit zwischen Insolvenzeröffnung und dem Ende des Arbeitsverhältnisses ausgereicht hätte, den Urlaub zu nehmen.
- Einen Kündigungsgrund „Insolvenz“ gibt es nicht: Arbeitsverhältnisse in der Insolvenz
Vorab: Einen selbstständigen Kündigungsgrund „Insolvenz“ gibt es nicht. Auch ein Insolvenzverwalter kann ein Arbeitsverhältnis nur kündigen, wenn dafür ein Kündigungsgrund vorliegt – etwa die Stilllegung des Geschäftsbetriebs. Der Insolvenzantrag und die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hingegen haben als solche grundsätzlich keinen Einfluss auf Fortbestand und Inhalt des Arbeitsverhältnisses. Konkret heißt das, dass Arbeitsverträge in der Insolvenz zunächst weiterhin gültig sind. Sie können allerdings nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit einer Kündigungsfrist von maximal drei Monaten zum Monatsende gekündigt werden – eine im Arbeitsvertrag vereinbarte längere Kündigungsfrist ist dann aufgehoben. Hintergrund ist, dass damit Kündigungen, die für den Erhalt des Unternehmens notwendig sind, schneller wirksam werden.
Das Insolvenzrecht gilt zudem auch für Arbeitsverhältnisse, die erst in der Insolvenz – also vom Insolvenzverwalter – begründet wurden. Tarifliche Fristen oder einzelvertraglich vereinbarte Kündigungsfristen, die kürzer sind als die insolvenzspezifische Frist, werden weiterhin angewandt. Vertragliche, gesetzliche oder tarifliche Kündigungsfristen, die länger als drei Monate sind, werden auf die insolvenzspezifische Höchstfrist verkürzt.
- Gleiches Recht für beide Seiten: Wenn der Arbeitnehmer kündigt
Was für den Arbeitgeber im Eigenverwaltungsverfahren oder den Insolvenzverwalter gilt, gilt auch für den Arbeitnehmer. Bei einer Kündigung gilt auch für den Arbeitnehmer die Höchstfrist von drei Monaten zum Monatsende. Und ohne, dass ein wichtiger Grund vorliegt, kann auch der Arbeitnehmer nicht fristlos kündigen.
- Ansprüche in bestimmten Fällen: Schadensersatz bei Kündigung mit verkürzter Frist
Wird ein Arbeitnehmer mit der verkürzten Frist des Insolvenzrechts gekündigt, kann er seinen finanziellen Schaden als Insolvenzforderung zur sogenannten Insolvenztabelle anmelden. Er erhält dann wie alle anderen Gläubiger auch einen Anteil gemäß der Quote im Insolvenzverfahren. Angerechnet wird aber nur der tatsächliche Lohnausfall, jeder anderweitig erzielte oder erzielbare Verdienst verringert die Forderung, die der Arbeitnehmer zur Tabelle anmelden kann. Einen Anspruch auf Schadensersatz hat ein Arbeitnehmer grundsätzlich aber nur dann, wenn in seinem Arbeitsverhältnis eine ordentliche Kündigung ausgeschlossen ist oder seine Kündigungsfrist länger als die Drei-Monats-Frist gewesen wäre.
- Nicht wahllos: Freistellung in der Insolvenz
Der Insolvenzverwalter kann Arbeitnehmer aus insolvenzspezifischen Gründen freistellen – etwa bei reduziertem Beschäftigungsbedarf und zur Schonung der Masse. Jedoch kann er bei der Freistellung nicht wahllos vorgehen. Er ist dabei wie jeder andere Arbeitgeber an die Grenzen des sogenannten billigen Ermessens gebunden: Das heißt, dass soziale Gesichtspunkte – wie zum Beispiel Alter, Betriebszugehörigkeit oder Unterhaltspflichten – in der Regel eine gewisse Rolle spielen. Spart der Arbeitnehmer durch die Freistellung Geld oder verdient er in seiner „freien“ Zeit etwas dazu, werden diese Beträge von seiner Vergütung abgezogen.
- Möglich, aber zumeist begrenzt: Sozialplan in der Insolvenz
Ein Sozialplan, der vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, jedoch nicht früher als drei Monate vor dem Antrag auf Insolvenzeröffnung abgeschlossen wurde, kann sowohl vom Insolvenzverwalter als auch vom Betriebsrat widerrufen werden. Ohne Widerruf werden die Ansprüche aus einem solchen Sozialplan zu Insolvenzforderungen – es sei denn, ein starker vorläufiger Insolvenzverwalter hat den Sozialplan abgeschlossen. Dann werden sie zu Masseverbindlichkeiten.
Wird ein Sozialplan nach Insolvenzeröffnung abgeschlossen, ist er auf ein Drittel der Insolvenzmasse und auf einen Gesamtbetrag von maximal 2,5 Bruttomonatsverdiensten der von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmer begrenzt. Dies bedeutet aber nicht, dass jeder dieser Arbeitnehmer diesen Betrag als Sozialplanleistung bekommen muss. Die Abfindung des einzelnen Arbeitnehmers kann durch Kriterien wie Alter, Betriebszugehörigkeit oder Schwerbehinderung darüber oder darunter liegen.
Zusammengefasst gilt über die aufgeführten zehn Punkte hinweg der Grundsatz, dass Arbeitnehmer in der Insolvenz eine Sonderstellung haben. Einerseits wird ihr Arbeitsverhältnis grundsätzlich fortgesetzt, andererseits sind sie etwa durch den Anspruch auf Insolvenzgeld gegenüber der Bundesagentur für Arbeit in gewisser Weise gegenüber den anderen Gläubigern bevorrechtigt. Gleichwohl sind aber auch sie davon betroffen, dass sich die arbeitsrechtliche Situation in den unterschiedlichen Phasen eines Insolvenzverfahrens ändert – etwa mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Für Personalverantwortliche ist es daher wichtig, dass sie diese Veränderungen kennen und ihre Kolleginnen und Kollegen schnell und umfassend informieren können.