Ein Insolvenzverwalter ist ein Manager

04. Oktober 2023 Blog Insolvenzrecht Restrukturierung und Sanierung

Bei der Sanierung eines Unternehmens spielt der Insolvenzverwalter eine maßgebliche Rolle. Im Interview erläutert Tobias Hartwig, wie ein managementorientierter Insolvenzverwalter die Kenntnisse und Rollen eines Controllers, Organisators, Strategen und Unternehmensführers in einer Person vereint.

 

Herr Hartwig, eine Krise kommt selten allein – die meisten Unternehmen werden diesen Satz angesichts der derzeitigen weltwirtschaftlichen Sondersituation wohl unterschreiben. Worauf müssen sich Unternehmen angesichts dessen einstellen?

Hartwig: Die immer schnellere Folge von Herausforderungen zeigt einmal mehr: Kein Unternehmen ist davor gefeit, in eine wirtschaftliche Schieflage zu geraten. Das deutsche Insolvenzrecht bietet Unternehmen jedoch vielfältige Möglichkeiten, Krisensituationen zu meistern und sich im Zuge einer Sanierung neu aufzustellen. Hier gilt die Devise: Je früher eine wirtschaftliche Schieflage erkannt wird, desto größer sind die Erfolgschancen der Gegenmaßnahmen.

 

Sie werden regelmäßig als Insolvenzverwalter bestellt und haben mit Ihrem Team bereits zahlreiche Unternehmen unterschiedlicher Größe erfolgreich bei ihren Sanierungsverfahren begleitet. Wie sehen Sie die Rolle des Insolvenzverwalters?

Hartwig: Bei der Sanierung eines Unternehmens mit Hilfe des Insolvenzrechts spielt der Insolvenzverwalter eine maßgebliche Rolle. Er hat mit seinem Handeln großen Anteil am Gelingen der Sanierung. Seine Aufgabe ist es, die vorhandenen Werte zu sichern, Potenziale zu erkennen und – wann immer möglich – das Unternehmen zu sanieren. Ein moderner Insolvenzverwalter muss daher nach seinem Selbstverständnis ein Manager sein – und zwar sowohl innerhalb seines eigenen Teams, als auch im zu sanierenden Unternehmen.

 

Sanierungen sind immer auch Sondersituationen, in denen unter großem Zeitdruck Entscheidungen getroffen werden müssen. Über welche Fähigkeiten muss ein Insolvenzverwalter verfügen?

Hartwig: Ein Insolvenzverwalter muss die Strukturen des zu sanierenden Unternehmens schnell durchdenken, anhand der gegebenen Umstände zu verändern und für eine wirtschaftliche Perspektive neu auszurichten. Dabei helfen ihm betriebswirtschaftlichen Fachkenntnisse. Und da ein Insolvenzverwalter in der Tat regelmäßig unter hohem Zeitdruck arbeiten muss, sollte er es gewohnt sein, die Antwort auf die Frage „Wer bin ich und wenn ja wie viele?“ schnell parat zu haben. Fakt ist: Ein managementorientierter Insolvenzverwalter nimmt bei seiner Tätigkeit viele Rollen ein. Er ist Stratege, Organisator, Unternehmensführer und Controller in einer Person.

 

Welche Rolle spielt bei der Arbeit eines Insolvenzverwalters der Faktor Erfahrung?

Hartwig: Erfahrung spielt eine wichtige Rolle, allerdings sammelt sie ein Insolvenzverwalter ja nicht erst bei seiner ersten Bestellung. In der Regel arbeiten junge Kollegen zunächst einige Jahre im Team eines erfahrenen Verwalters und lernen dabei bereits sehr viel – gerade auch durch die Einsätze in unterschiedlichen Branchen. Ein Insolvenzverwalter kann also die Ursachen für die wirtschaftliche Schieflage eines Unternehmens schnell identifizieren und analysieren. Auf Basis dieser Analyse kann er dem Management des zu sanierenden Unternehmens dann aufzeigen, welche Möglichkeiten und Instrumente erfolgsversprechend sind und gemeinsam mit dem Management Strategien und Maßnahmen entwickeln und umsetzen. Wichtig ist: Bei der Beratung und der Umsetzung steht immer im Fokus, die Handlungsfähigkeit des Unternehmens zu erhalten und zu stärken.

 

Wie geht ein Insolvenzverwalter dabei vor?

Hartwig: Damit ein Unternehmen eine wirtschaftliche Schieflage meistern kann, sind neben der insolvenzrechtlichen Spezialisierung, betriebswirtschaftliches Fachwissen und umfangreiche Spezialkenntnisse gefragt. Daher arbeitet ein Insolvenzverwalter mit einem qualifizierten Team aus Rechtsanwälten, Wirtschaftsprüfern und Betriebswirten zusammen, welches er für jede Sanierung und die anstehenden Aufgaben individuell zusammenstellt. Durch diese Kombination aus unterschiedlichen Disziplinen kann der Insolvenzverwalter als Leiter der Sanierung gemeinsam und in Abstimmung mit den Beteiligten Antworten auf die existenziellen Fragen finden – auf die des zu sanierenden Unternehmens, aber auch auf die der Gläubiger. Eine Insolvenz bedeutet ja nicht automatisch das Ende eines Unternehmens, sondern kann die Chance auf einen nachhaltigen Neustart darstellen.

 

Wie wird dieses Ziel aus Ihrer Sicht am besten erreicht?

Hartwig: Indem alle Beteiligten wissen, was sie zu tun haben und in welche Richtung es geht. Essentiell dafür ist eine transparente Kommunikation des Insolvenzverwalters. Dadurch werden zudem Effizienz und Vertrauen innerhalb der Belegschaft und auf der Entscheidungsebene des zu sanierenden Unternehmens gefördert sowie die Motivation hoch gehalten, die Krise zu meistern.

 

Gilt das auch für den Faktor Führung?

Hartwig: Auf jeden Fall! Eine effiziente und motivierende Führung des Insolvenzverwalters spielt eine maßgebliche Rolle. Seine Autorität übt ein managementorientierte Verwalter idealerweise nicht nur von Amts wegen aus, sondern auch, weil er die notwendige Fachkompetenz mitbringt. Dazu zählt gleichermaßen ein kooperativer Führungsstil – gerade auch bei der Zusammenarbeit mit dem Management und der Belegschaft des zu sanierenden Unternehmens. Die Insolvenzverwaltung muss mit der Zeit gehen, so wie das unternehmerische Geschäft. Denn nur bei einer vertrauensvollen Zusammenarbeit auf fachlicher und wirtschaftlicher Augenhöhe, kann das bestmögliche Ergebnis erzielt werden – für das zu sanierende Unternehmen und die Gläubiger.

Der Interviewpartner

Diplom-Wirtschaftsjurist (FH) Tobias Hartwig, MBA, leitet die Standorte Hannover und Braunschweig von Schultze & Braun. Er wird regelmäßig von Gerichten in Niedersachsen, Brandenburg und Berlin als Insolvenzverwalter bestellt und hat mit seinem Team bereits zahlreiche Unternehmen unterschiedlicher Größe erfolgreich bei ihren Sanierungsverfahren begleitet. Außerdem ist Tobias Hartwig Lehrbeauftragter für Insolvenzrecht an der HR Nord Hochschule für Rechtspflege Hildesheim.