Finanzielle Schieflage: Worauf Banken im Spannungsfeld von steigenden Insolvenzzahlen und zunehmenden Kreditrisiken achten sollten

11. September 2024 Blog Insolvenzrecht Restrukturierung und Sanierung Wirtschaftsrecht

Steigende Insolvenzzahlen bedeuten immer auch eine Zunahme der Kreditrisiken und -ausfälle – und führen damit zu wachsendem Vorsorgebedarf bei Banken. Worauf beim Ausfallrisiko zu achten ist, erläutern Rüdiger Bauch und Martin Kropp von Schultze & Braun auch auf Basis der Untersuchung zur Nachhaltigkeit von Unternehmenssanierungen der Kanzlei.

Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen kennt seit Monaten nur noch eine Richtung – nach oben, teils mit zweitstelligen Anstiegsraten. Und es weist nichts darauf hin, dass sich dieser Trend in irgendeiner Weise abschwächen oder sogar umkehren dürfte, gerade auch angesichts der nach wie vor angespannten wirtschaftlichen Lage. In die gleiche Richtung deuten auch vermehrt auftretende erneute Insolvenzen von Unternehmen, die bereits (mehrfach) erfolgreich ein Regelinsolvenzverfahren, eine Eigenverwaltung oder ein Schutzschirmverfahren durchlaufen haben – so bei Galeria Karstadt Kaufhof, BBS Leichtmetallräder oder Weltbild, um nur drei Beispiele zu nennen.

Mehr Insolvenzen und mehr Kreditausfälle

Mehr Insolvenzen – unabhängig davon, wie oft ein Unternehmen bereits einen Insolvenzantrag gestellt hat – bedeuten aus Bankensicht immer auch mehr Kreditrisiken und -ausfälle und damit eine Zunahme sogenannter Non-Performing Loans (NPL) oder auf Deutsch: notleidende Kredite. Das bestätigt auch die Sommer-Ausgabe 2024 des regelmäßigen NPL-Barometers der Bundesvereinigung Kreditankauf und Servicing (BKS) und der Frankfurt School of Finance & Management, die Mitte Juli 2024 veröffentlicht wurden.

Das Kernergebnis: Wie bei den Insolvenzen dürfte es auch bei den NPL in den kommenden zwölf Monaten einen weiteren Anstieg geben – und das bei Krediten in allen Assetklassen, insbesondere aber in den Bereichen Konsumentenkredite, Corporate Real Estate sowie kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Zudem dürfte es angesichts des aktuellen Gesamtklima-Wertes (0,45), der nur noch knapp unter dem Höchstwert aus dem Herbst 2023 (0,46) liegt, einen neuen Rekordstand bei notleidenden Krediten geben.

Bewertung des Ausfallrisikos mit großer Bedeutung

Der Abbau notleitender Kredite wird für Banken elementar: Grund genug für Banken, sich damit zu beschäftigen, ob der Verkauf von Kreditportfolios eine Lösung für die eigenen NPL darstellen kann und welche Besonderheiten und Erfolgsfaktoren es dabei zu beachten gibt. Bei notleidenden Finanzierungen von Gewerbeimmobilien sollte auch in den Blick genommen werden, welche Vorteile eine Zwangsverwaltung für Banken haben kann.

Zusätzliche Fragen stellen sich mit Blick auf den Fall von Insolvenzverfahren. Gerade mit dem Blick auf die Zweit- und Folgeinsolvenzen – also Unternehmen, die nach einer (Erst)Sanierung erneut einen Insolvenzantrag stellen müssen – liefert die Untersuchung (alle Ergebnise und Erkenntnisse unter www.nachhaltige-unternehmenssanierung.de) von Schultze & Braun zur Nachhaltigkeit von Unternehmenssanierungen anlässlich des zehnten Jubiläums der Insolvenzrechtsreform ESUG aufschlussreiche Erkenntnisse nicht nur für Sanierer und Restrukturierer, sondern auch für Unternehmen und Banken.

In der Untersuchung wurde unter die Lupe genommen, wie erfolgreich und nachhaltig Sanierungen im Rahmen von Regelinsolvenzverfahren, Eigenverwaltungs- und Schutzschirmverfahren sind. Dabei standen sogenannte Zweitinsolvenzen im Fokus – also Unternehmen, die nach einer ersten Sanierung erneut den Gang zum Insolvenzgericht antreten mussten. Die Kernerkenntnis der Untersuchung auf Basis von Daten von STP Business Information ist: Sowohl Regelinsolvenzverfahren als auch sogenannte ESUG-Verfahren (Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren) stehen für erfolgreiche und nachhaltige Sanierungen. In beiden Verfahrens-Gruppen lag die Anzahl der identifizierten Zweitinsolvenzen im neuneinhalb-jährigen Untersuchungszeitraum (1.3.2012 bis 30.9.2021) in einem niedrigen Bereich. 

„Können wir die Sanierung des Unternehmens unterstützen?“

Für Banken ist diese Kernerkenntnis für die Bewertung ihres Ausfallrisikos von besonderer Bedeutung. Sie müssen für sich bei einer Sanierung oftmals eine Antwort auf die Frage „Können wir die Sanierung des Unternehmens unterstützen?“ finden. Natürlich gilt dabei das gleiche wie bei der Wahl des Sanierungsinstruments: Auch das Risiko sollte immer individuell geprüft werden. Allerdings sprechen die hohen Nachhaltigkeits-Quoten grundsätzlich für eine positive Finanzierungsentscheidung.

Bei der Bewertung des Ausfallrisikos von Banken spielt zudem der Zeitraum der ersten fünf Jahre nach der ersten Insolvenz eine wichtige Rolle. Für die Nachhaltigkeit einer Sanierung ist dieser Zeitraum von entscheidender Bedeutung. Denn die Untersuchung zeigt, dass der überwiegende Anteil der identifizierten Zweitinsolvenzen innerhalb von fünf Jahren nach der ersten Insolvenz eingetreten ist.

Banken sollten die Geschäfts- und Finanzplanung eines sanierten Unternehmens daher auch vor dem Hintergrund der Fünf-Jahres-Erkenntnis der Untersuchung betrachten. Im Umkehrschluss besteht mehr als fünf Jahre nach der ersten Insolvenz in der Regel kein signifikant erhöhtes Risiko mehr für eine Zweitinsolvenz, für Banken und Unternehmen gleichermaßen eine wichtige Erkenntnis.  

Mehr Zweitabwicklungen als -sanierungen

Die fünf Jahre sind aber auch in einem weiteren Zusammenhang für Banken wie für Unternehmen relevant. Die Untersuchung zeigt, dass Unternehmen, die innerhalb von fünf Jahren nach einer Sanierung in der Erstinsolvenz erneut einen Insolvenzantrag stellen müssen, fast 1,5-mal häufiger abgewickelt als saniert werden. Das Verhältnis von sogenannten Zweitabwicklungen – also einer Abwicklung in der zweiten Insolvenz – zu Zweitsanierungen unterstreicht, wie wichtig es für Banken ist, bei der Kreditgewährung auf eine ausreichende Besicherung zu achten, um im Fall einer Abwicklung den Schaden zu begrenzen.

Zudem zeigt diese Erkenntnis, welch große Bedeutung es hat, dass direkt bei der ersten Sanierung die Ursachen nachhaltig angegangen werden, die zur Insolvenz geführt haben, gerade auch mit dem Blick auf die Corona-Pandemie. Im Zeitraum 1. März 2020 bis zum 1. September 2021 („während Corona“) gab es drei Mal so viele Zweitabwicklungen wie Zweitsanierungen. „Vor Corona“ lag das Verhältnis nur bei rund 1,3. 

Rückgang der Zweitinsolvenzen während Corona

Die Zahl der Zweitinsolvenzen an sich ist hingegen während der Corona-Pandemie bis September 2021 stark zurückgegangen. Die überwiegende Anzahl der 114 indentifizierten Zweitinsolvenzen (101) gab es „vor Corona“ (1.3.2012-1.3.2020). „Während Corona“ (1.3.2020-1.9.2021) waren es hingegen nur 13. Betrachtet man die Jahre 2012 bis 2021 einzeln nacheinander, zeigt sich zudem ein weiterer „Corona-Effekt“: In den Jahren 2017, 2018 und besonders in 2019 (jeweils 1.3. bis 28./29.2.) stieg die Anzahl der Zweitinsolvenzen stark an. Im ersten „Corona-Jahr“ (1.3.2020 bis 28.2.2021) wurde diese „Zweitinsolvenzen-Welle“ allerdings gebrochen.

Diese an sich positive Nachricht hat jedoch auch eine Kehrseite, die nun auch ein Faktor für den Anstieg der Insolvenzzahlen ist: Die staatlichen Finanzhilfen, die Ausweitung des Kurzarbeitergeldes und der leichte Zugang zu zinsgünstigem Fremdkapital haben dafür gesorgt, dass erforderliche Sanierungen während der Pandemiezeit nicht angegangen wurden und eigentlich insolvenzreife Unternehmen mit staatlichen Hilfen fortgeführt wurden. Diese „Zombifizierung“ einzelner Marktteilnehmer trägt nun nach dem starken Rückgang „während Corona“ zum erneuten deutlichen Anstieg auch der Zweitinsolvenzen bei, der bereits im untersuchten Zeitraum des Jahres 2021 (1.3.-1.9.) erkennbar war. Auch diesem Punkt soll in angedachten Folgeuntersuchungen auf den Grund gegangen werden. 

Die Autoren

Rüdiger Bauch

ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht bei der bundesweit vertretenen Kanzlei Schultze & Braun. Er wird in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Thüringen an verschiedenen Gerichten bestellt und hat bereits zahlreiche Unternehmen bei ihren Sanierungen begleitet.

Martin Kropp

ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht am Bremer Standort der bundesweit vertretenen Kanzlei Schultze & Braun. Zu seinen Spezialgebieten zählen das Kreditrecht und insolvenznahe Themen für Banken.