Das halb volle Bier-Glas: Wirtschaftliche Herausforderungen in der Brauereiwirtschaft

Ein seit mehreren Jahren sinkender Bierabsatz, die wirtschaftlichen Nachwehen der Corona-Pandemie und hohe Herstellungskosten: Die Liste der Herausforderungen für die deutsche Brauwirtschaft ist nach wie vor lang. Dr. Jürgen Erbe und Rüdiger Bauch erläutern, warum gerade kleine und mittelgroße Brauereien unter Druck stehen und welche Möglichkeiten es gibt, damit für sie das finanzielle Glas trotz aller Herausforderungen halb voll und nicht halb leer ist.
Herr Erbe, Herr Bauch, Sie haben bereits mehrere Unternehmen aus der Brauwirtschaft in Krisensituationen begleitet. In Deutschland wird immer weniger Bier verkauft und getrunken. Gleichzeitig leidet die Brauwirtschaft unter hohen Produktionskosten und den Nachwehen der Corona-Pandemie. Wie schätzen Sie die Situation der Brauwirtschaft ein?
Erbe: Zunächst einmal kann man auf jeden Fall sagen, dass die Brauwirtschaft mit ihren überwiegend handwerklichen und mittelständischen Unternehmen immer wieder in unterschiedlichen Krisen Resilienz bewiesen hat. Allerdings ist der Absatz der Brauereien in Deutschland seit 2014 um fast 14 Prozent zurückgegangen. Und allein im Jahr 2024 gab es erneut einen Rückgang um gut zwei Prozent – und das trotz der Fußball-Europameisterschaft im eigenen Land. Betrachtet man die reine Menge., wirken die rund 8,3 Milliarden Liter, die das statistische Bundesamt für 2024 ermittelt hat, immer noch sehr stattlich. Allerdings bedeutet dieser Wert einen erneuten Minusrekord und den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung. Aber nicht nur in Deutschland, geht der Bierabsatz seit Jahren zurück, auch im Ausland ist deutsches Bier nicht mehr so gefragt wie noch vor zehn Jahren. 2024 wurden nach den Berechnungen des statistischen Bundesamtes 1,45 Milliarden Liter Bier ins Ausland exportiert. Das ist immer noch eine stolze Menge, aber rund sechs Prozent weniger als 2014, als noch 1,54 Milliarden Liter hierzulande gebrautes Bier ins Ausland verkauft worden sind.
Bauch: Wesentliche Gründe für den Rückgang beim Bierabsatz sind neben den steigenden Preisen – die Brauereien versuchen nachvollziehbarerweise ihre höheren Kosten bei der Herstellung an die Kunden weiterzugeben – auch der Trend zu einem gesünderen Lebensstil mit weniger Alkohol sowie der demographische Wandel. Viele Stammkunden – gerade für althergebrachte Sorten wie Pils oder Export – sind inzwischen in einem Alter, in dem sie kein Bier mehr trinken sollten oder wollen. Überkapazitäten führen daher bei einer gleichzeitigen Kostenexplosion und einem mitunter vorhandenen Investitionsstauin der Herstellung eben auch dazu, dass sich die wirtschaftlichen Schieflagen in der Branche häufen.
Gibt es Beispiele, an die Sie denken?
Erbe: Im Januar hat die Kieler Bauerei Lille einen Insolvenzantrag gestellt. Die beiden Gründer gaben an, dass sie bereits seit der Corona-Krise mit finanziellen Problemen kämpfen. Während die Inhaber von Abonnementverträgen, sogenannten Bierpapieren und Genussrechten aller Voraussicht nach auf dem Trockenen sitzen, sieht es so aus, als ob der Erhalt der Brauerei möglich ist. Anfang Februar hat das Frankfurter Bier-Startup Knärzje Insolvenz angemeldet. Das Unternehmen nannte die wirtschaftlich schwierigen Zeiten und infolgedessen eine „gewisse Nachhaltigkeitsmüdigkeit“ bei den Kunden als Grund für die Insolvenz. Knärzje warb damit, dass sein Zero-Waste-Bier unter anderem aus Brotendstücken hergestellt wird. Die wirtschaftlichen Herausforderungen stellen aber auch traditionsreiche Brauereien vor große Herausforderungen. Ende Februar hat die über 150 Jahre alte Rosenbrauerei Pößneck aus Thüringen ein Insolvenzverfahren begonnen. Bereits Ende Januar hatte die Rosenbrauerei angekündigt, ihre Produktionsstätte in Weimar zu schließen und ihr Bier nur noch in Pößneck zu brauen. Als Gründe wurden hohe Herstellungskosten und ein sinkender Bierabsatz genannt. Das waren auch die Gründe für die Insolvenz der Privatbrauerei Bischoff, bei der ich 2022 als Insolvenzverwalter tätig war. Man kann also durchaus davon sprechen, dass die Krise in der Brauwirtschaft bereits einige Jahre andauert. Aufgrund der Vorgeschichte im Verfahren von Bischoff gab es im Sommer 2022 ohne Investoren leider keine Alternative dazu, den Geschäftsbetrieb der Brauerei einzustellen.
Bauch: Hinzu kommt, dass große Brauereien Restaurants, Clubs und Bars mit langfristigen Verträgen an sich binden, was den Absatz für handwerkliche und mittelständische zusätzlich erschwert. Dabei hat die Corona-Pandemie und die Erfahrungen mit Lockdowns und ihren Marktverlusten für das Fassbiergeschäft, bei gleichzeitigem Boom der Flaschenbierabsätze, ohnehin schon zu neuen strategischen Ansätzen geführt. So wächst der Absatz von alkoholfreiem Bier zum Beispiel kontinuierlich. Seit 2007 hat sich die Produktion alkoholfreier Biersorten in Deutschland mehr als verdoppelt, von 329 Millionen Liter auf rund 700 Millionen Liter im Jahr 2024. Im Handel macht das Alkoholfreie bereits neun Prozent aller Biere aus, in der Beliebtheitsskala steht es nach Pils und Hellbieren auf Platz drei.
Bereits die Pandemie zwang viele Brauereien, ihre Strategie anzupassen und neue Wege zu gehen.
Bauch: Ja. 2019, ein Jahr vor der Pandemie, rechnete die deutsche Brauwirtschaft mit einem rund einprozentigen Rückgang beim Absatzvolumen, das war planbar. Dann kam Corona und alles wurde anders. Es war eine Art Katalysator, der jede Brauerei unabhängig von ihrer Größe einem Stresstest unterzog. Viele kleine Unternehmen bis zu einer Produktion von bis zu 100.000 Hektolitern wurden mit existenziellen Problemen konfrontiert. Zwar half die Bundesregierung zwischenzeitlich mit Ausgleichszahlungen über die lange Durststrecke hinweg, doch vor allem die vom Fassbierverkauf abhängigen Regionalbrauer mussten erkennen, dass ihr angestammtes Geschäft nicht in der gewohnten Größenordnung zurückkommen würde. Eine Abfüllungsquote von gut 80 Prozent im traditionellen Fassbiergeschäft im Vergleich zu 2019 gilt heute als erfolgreich, viele Betriebe blieben und bleiben jedoch darunter. Gleichzeitig herrscht nach wie vor an Kapazitäten in regionalen Brau- und Abfüllbetrieben kein Mangel.
Bei sinkendem Bierabsatz und hohen Herstellungskosten nehmen der Marktdruck und die Wettbewerbsintensität nochmals zu. Inwiefern sind kleine und mittelgroße Brauereien davon besonders betroffen?
Erbe: Aufgrund ihrer Marktposition bezeichne ich diese Brauereien als Sandwich-Brauereien: Sie sind nicht groß genug, um mit den großen, überregional oder bundesweit aktiven Brauereien mithalten zu können, deren Marken bundesweit in nahezu jedem Super- oder Getränkemarkt zu finden sind. Gleichzeitig stehen die kleinen und mittleren Brauereien im Wettbewerb mit den Hausbrauereien, die ihr Bier vor Ort ausschenken und gerade lokal einen festen Kundenstamm haben. Sie können im Wettbewerb mit den großen Brauereien die Werbepreise pro Kasten Bier schlicht nicht mitgehen und verlieren daher Marktanteile. Außerdem sind die kleinen und mittleren Brauereien gegenüber dem Handel nicht in der Position, Preiserhöhungen verhandeln zu können und haben beim Einkauf von Energie und Rohstoffen nicht die Größe, um am Markt günstigere Einkaufspreise für sich durchsetzen zu können.
Bauch: Der kostenintensive Transformationsprozess für die Energienutzung wird die große Herausforderung für alle Brauereien bleiben. Ohne Investitionen in naher Zukunft geht es nicht – sei es in der Produktion, aber auch mit dem Blick auf neue Sorten, um neue Zielgruppen zu erschließen. Gleichzeitig ist aber bei vielen Brauer angesichts der inzwischen bereits Jahre andauernden Krise das finanzielle Glas eher halb leer als halb voll. Kräfte bündeln und Innovationen vorantreiben – das ist aber auf Dauer der einzige Zukunftsweg in diesem wettbewerbsintensiven Biermarkt.
Viele kleine und mittelgroße Brauereien stehen wie Bischoff für regionale Identität und Tradition. Reichen diese Faktoren auf dem Markt heute allein nicht mehr aus?
Erbe: Ab einer bestimmten Größe treten Brauereien aus dem Schutz ihrer regionalen oder durch die Tradition entstandenen Nische heraus und müssen sich dann im Vertrieb und bei den Preisen mit den großen Marktteilnehmern messen. Zudem haben sich zusätzlich zum Rückgang beim Bierkonsum pro Kopf auch die Trinkgewohnheiten geändert. So wird in gewissen Bereichen heute – sinnvollerweise – kein Bier mehr konsumiert. Früher war es zum Beispiel durchaus bei vielen Brauereien so, dass ein Teil des gebrauten Bieres in Flaschen und Kästen auf Baustellen verkauft wurde. Und wir sprechen hier nicht über alkoholfreies Bier – heute unvorstellbar. Was vor einige Jahrzehnten ebenfalls unvorstellbar war ist ein Rückgang bei der Markentreue. Gerade junge Menschen sind bei der Frage „Welches Bier soll es sein?“ flexibler geworden und Klassiker wie das Pils haben durchaus ein Imageproblem. Hinzu kommt, dass in Zeiten hoher Inflation auch Biertrinker stärker als bislang auf den Preis achten. So hart das ist: Allein mit Tradition und regionaler Identität können kleine und mittelgroße Brauereien heute im Markt nicht mehr bestehen.
Seit Anfang Februar ist das Pfand für einen Kasten Bier in Österreich 3,90 Euro höher als in Deutschland. Warum?
Erbe: Leergut und Kästen kosten in der Beschaffung längst sehr viel mehr als das Pfand widerspiegelt. 20 Cent pro Flasche wie in Österreich liegen nach den Berechnungen des bayerischen Brauerbundes sehr viel näher an den echten Kosten, als etwa die acht Cent in Deutschland. Eine Pfanderhöhung scheuen die deutschen Brauereien aber vor allem aus drei Gründen: dass eine Erhöhung Kunden verschrecken könnte, die Kosten von geschätzt mehreren hundert Millionen Euro und mögliche Leergutengpässe. Denn Kunden könnten vor einer Umstellung Pfand horten - um es später für mehr Geld zurückgeben zu können.
Bauch: Die Herstellung von Bier ist sehr energie- und damit kostenintensiv. Der Sud muss erhitzt und dann wieder abgekühlt werden. Wer also bereits in der Vergangenheit in eine energiesparende Produktion investiert hat, ist heute klar im Vorteil. Allerdings sind die Rohstoffpreise zwischenzeitlich ebenfalls signifikant gestiegen – dazu zählen die für Brauereien entscheidenden Zutaten, aber auch das Glas für die Flaschen und Gläser. Gleichzeitig gibt es aber auch eine gegenläufige Entwicklung. So sinken etwa die Preise beim Hopfen, was dazu führt, dass die Anbaufläche in Deutschland inzwischen reduziert wird, weil sich der Anbau wirtschaftlich nicht mehr lohnt. Neben der eher schwachen Biernachfrage tragen auch Änderungen in den Rezepturen bei großen Brauereien dazu bei, dass die Nachfrage nach Aromahopfen sinkt. Zum Teil wird der Aromahopfen durch Sorten mit besonders hohem Alphasäuregehalt ersetzt. Dieser Bestandteil des Hopfens gibt dem Bier die bittere Note, und die Bittersorten sind teilweise ertragreicher als der Aromahopfen.
In absehbarer Zeit werden dieEnergiekosten voraussichtlich nicht sinken, die Wettbewerbsintensität in der Brache nicht nachlassen. Was sollten Brauereien tun, wenn die Rendite sinkt?
Bauch: Brauereien, die sich in einer Krise befinden oder absehbar auf eine zusteuern, sollten Krisenanzeichen möglichst früh wahrnehmen und eine Restrukturierung oder Sanierung besser frühzeitig und dann angehen, wenn sie noch Reserven haben. Denn eine notwendige Anpassung an veränderte Marktbedingungen ist immer mit Kosten verbunden – und dabei muss es sich nicht immer um eine Anpassung der Produktionskapazitäten oder der Belegschaft handeln. Auch die Einführung einer neuen Marke oder Biersorte ist sehr aufwändig und teuer. Derzeit setzen immer mehr Brauereien auf Trendbiere wie Helles oder eben das Alkoholfreie. Der Platz im Einkaufswagen der Biertrinker ist hart umkämpft, wie auch der Markteintritt in die Regale des Einzelhandels.
Kein Unternehmen stellt gerne einen Insolvenzantrag.
Erbe: Ein Insolvenzantrag bedeutet nicht automatisch das Ende eines Unternehmens. Vielmehr bietet das deutsche Sanierungsrecht verschiedene Instrumente und Verfahren, mit denen eine Brauerei eine finanzielle Krise meistern kann. Aber seit dem Jahreswechsel 2023/2024 gilt die Insolvenzantragspflicht wieder in vollem Umfang. Vereinfacht dargestellt gilt: Kann ein Unternehmen seine fälligen Verbindlichkeiten nicht mehr begleichen, liegt die Zahlungsunfähigkeit vor – bislang der mit Abstand häufigste Grund für Insolvenzanträge. Das sollten Verantwortliche in den Brauereien im Blick haben, auch um sich vor den Haftungsrisiken zu schützen.
Die Interviewpartner
Rüdiger Bauch
ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht bei der bundesweit vertretenen Kanzlei Schultze & Braun. Er wird in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Thüringen an verschiedenen Gerichten bestellt und hat bereits zahlreiche Unternehmen bei ihren Sanierungen begleitet - derzeit auch eine Mikrobrauerei bei Dresden.
Dr. Jürgen Erbe
ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht bei Schultze & Braun. Er wird bundesweit an verschiedenen Gerichten bestellt und hat bereits zahlreiche Unternehmen in ihren Insolvenz-, Eigenverwaltungs- oder Schutzschirmverfahren begleitet – als Insolvenzverwalter, Sachwalter und als CRO. Bei der Privatbrauerei Bischoff gab es im Sommer 2022 aufgrund der Vorgeschichte im Verfahren ohne Investoren keine Alternative dazu, den Geschäftsbetrieb der Brauerei einzustellen.