Harte Zeiten für Brauereien, aber keine Insolvenzwelle!

27. Januar 2023 Blog Insolvenzrecht Restrukturierung und Sanierung

Brauereien stehen derzeit vor vielen Herausforderungen. Dr. Jürgen Erbe, der Insolvenzverwalter der Brauerei Bischoff, erläutert, wie Brauereien damit umgehen sollten, warum kleine und mittlere Brauereien besonders betroffen sind und warum das Bier-Glas trotzdem halb voll und nicht halb leer ist.

 

Herr Erbe, Sie sind als Insolvenzverwalter der Privatbrauerei Bischoff tätig. Wie ist es aus Ihrer Sicht aktuell um die Brauereiwirtschaft bestellt?

Erbe: Viele Brauereien stehen seit Jahren vor großen Herausforderungen. Schon seit Jahren ist der Bierkonsum in Deutschland rückläufig. 2012 lag er noch bei rund 96 Millionen Hektolitern, in den vergangenen zehn Jahren ist er auf 85 Millionen Hektoliter zurückgegangen. Die Corona-Pandemie hat den Rückgang noch zusätzlich beschleunigt – durch die Absage von Volksfesten und den Lockdown in der Hotel- und Gastronomiebranche. Das war und ist gerade für kleinere und mittlere Brauereien von besonderer Bedeutung, da bei ihnen der Absatz von Fassbier für Volksfeste und die Gastronomie den entscheidenden Teil des Umsatzes ausmacht. Wird Brauereien dieses Standbein von heute auf morgen weggezogen – wie es bei Corona der Fall war – bringt das die Unternehmen leicht in eine finanzielle Schieflage. Parallel zum sinkenden Absatz ist die Zahl der Brauereien seit 2012 um rund 150 angewachsen, das entspricht einem Anstieg von knapp zehn Prozent. Der Wettbewerb ist somit also angestiegen, wobei die Nachfrage der Konsumenten zurückgeht. Das ist für keine Branche ein gesunder Zustand und macht deutlich, welchen Herausforderungen sich Brauereien auch weiterhin stellen müssen.

 

Inwiefern sind kleine und mittelgroße Brauereien besonders von den aktuellen Herausforderungen betroffen?

Erbe: Aufgrund ihrer Marktposition bezeichne ich diese Brauereien als Sandwich-Brauereien: Sie sind nicht groß genug, um mit den großen Brauereien mithalten zu können, deren Marken bundesweit in nahezu jedem Super- oder Getränkemarkt zu finden sind. Gleichzeitig stehen die kleinen und mittleren Brauereien im Wettbewerb mit den Hausbrauereien, die ihr Bier vor Ort ausschenken und gerade lokal einen festen Kundenstamm haben. Für kleinere und mittlere Brauereien ist der Wettbewerb mit den großen Brauereien zum einen mit Blick auf den Preis pro Kasten Bier von Bedeutung. Sie können die Werbepreise schlicht nicht mitgehen und verlieren daher Marktanteile. Außerdem sind die kleinen und mittleren Brauereien gegenüber dem Handel nicht in der Position, Preiserhöhungen verhandeln zu können. Wäre das nicht schon genug, kommt hinzu, dass kleinere und mittlere Brauereien beim Einkauf von Energie und Rohstoffen nicht die Größe haben, um am Markt günstigere Einkaufspreise für sich durchsetzen zu können. Dass Warsteiner und Karlsberg eine Einkaufskooperation anstreben, macht deutlich, welche Bedeutung die steigenden Rohstoffpreise in der Branche haben.

 

Worauf müssen sich Brauereien mit Blick auf die Inflation, die steigenden Energiekosten und angesichts der hohen Rohstoffpreise aus Ihrer Sicht noch einstellen?

Erbe: Brauereien sollten sich auf harte Zeiten vorbereiten. Ich bin mir sicher, dass wir auch die eine oder andere Insolvenz erleben werden. Dabei sind wir aber von einem Brauerei-Sterben zum Glück noch weit entfernt. Das zeigen auch die Zahlen von STP Business Information: Während der Corona-Pandemie hat es im Brauerei-Bereich nicht mehr Insolvenzen gegeben als vor der Pandemie. Das belegt eindrucksvoll, wie anpassungsfähig die Brauereien sind, und dass sie es immer wieder schaffen, neue Wege aus der Krise zu finden. Allerdings hängt eine positive Entwicklung im Brauwesen davon ab, wie lange die Belastungen noch andauern – gerade angesichts der hohen Energiepreise. Die Herstellung von Bier ist sehr energie- und damit kostenintensiv. Es muss erhitzt und dann wieder abgekühlt werden. Wer also in der Vergangenheit in eine energiesparende Produktion investiert hat, ist heute klar im Vorteil.  Allerdings sind die Rohstoffpreise ebenfalls signifikant gestiegen – dazu zählen die für Brauereien entscheidenden Zutaten Malz und Kohlensäure. Letztere war vor einem Jahr sehr günstig und im Übermaß verfügbar. Inzwischen ist Kohlensäure nicht nur teurer, sondern durch die Auswirkungen der Gaskrise auch rar und mitunter überhaupt nicht mehr verfügbar. Sie wollen also Bier brauen, können es aber nicht abfüllen und verkaufen, weil ihnen die Kohlensäure fehlt – eine bis vor kurzem noch undenkbare Situation. Für kleinere und mittlere Brauereien ist sie aber zur Realität geworden. Als bei Bischoff deutlich wurde, dass es nicht weitergehen kann, haben wir unseren Kohlensäure-Vertrag an eine befreundete Brauerei verkauft, damit sie das Kontingent nutzen kann.

 

Sie sprechen die Privatbrauerei Bischoff an, bei der Sie im Sommer 2022 zum Insolvenzverwalter bestellt wurden, eine mittelgroße Brauerei. Den Geschäftsbetrieb am Stammsitz im rheinland-pfälzischen Winnweiler mussten sie inzwischen einstellen. Was waren die Gründe für die Insolvenz?

Erbe: Bei Bischoff mussten die Produktionskapazitäten und die Belegschaft bereits vor der Pandemie an den sinkenden Bierabsatz angeglichen werden, was zusätzliche Kosten mit sich gebracht hat. Die Brauerei hatte auch dadurch bereits vor der Pandemie wirtschaftliche Schwierigkeiten, weshalb Bischoff auch keine Corona-Hilfen erhalten hat. Das hat die Situation für die Brauerei natürlich nicht einfacher gemacht. Unternehmen aus dem Brauwesen sollten eine Restrukturierung oder Sanierung auch vor diesem Hintergrund immer besser dann angehen, wenn sie noch Reserven haben. Denn eine notwendige Anpassung an veränderte Marktbedingungen ist immer mit Kosten verbunden – und dabei muss es sich nicht immer um eine Anpassung der Produktionskapazitäten oder der Belegschaft handeln. Auch die Einführung einer neuen Marke oder Bierart ist sehr aufwändig und teuer.

 

Was hatte Bischoff in dieser Richtung unternommen?

Erbe: Bischoff hatte es zum Beispiel mit Craftbieren und einem Pfälzer Hell als Ergänzung zum traditionellen Pils versucht. Allerdings setzen immer mehr Brauereien auf Trendbiere wie Helles. Wenn sie heute in einen Supermarkt gehen, ist es gut möglich, dass sie Helles von gleich mehreren Brauereien im Regal stehen sehen. Das zeigt, dass der Platz im Einkaufswagen der Biertrinker hart umkämpft ist.

 

Bischoff hat Ende 2020 einen Insolvenzantrag in Eigenverwaltung gestellt. Sie wurden im Sommer 2022 als Insolvenzverwalter bestellt und hatten zur Betriebsstillegung keine Alternative. Wie kam es dazu?

Erbe: Grundsätzlich ist es so, dass auch ein Insolvenzantrag nicht automatisch das Ende eines Unternehmens bedeutet. Vielmehr bietet das deutsche Sanierungsrecht verschiedene Instrumente und Verfahren, mit denen eine Brauerei eine finanzielle Krise meistern kann – und das durchaus auch ohne ein Insolvenzverfahren. Die Gründe, die bei Bischoff zum Insolvenzantrag Ende 2020 geführt haben, konnten im Eigenverwaltungsverfahren nicht nachhaltig beseitigt werden – auch aufgrund der ja mitunter heute noch andauernden Auswirkungen der Corona-Pandemie und die durch den Krieg in der Ukraine gestiegenen Preise für Energie und Rohstoffe – wenn diese überhaupt noch verfügbar sind wie etwa Kohlensäure. In den anderthalb Jahren des Eigenverwaltungsverfahrens waren in der Hoffnung auf die Übernahme durch einen Investor die finanziellen Reserven der Brauerei komplett aufgebraucht worden. Es gab daher im Sommer 2022 ohne Investoren keine Alternative dazu, den Geschäftsbetrieb von Bischoff einzustellen.

 

Das fällt einem sicherlich nicht leicht.

Erbe: Ich versichere Ihnen: So gerne wir diesen Schritt vermieden hätten – in diesem Fall war er leider unumgänglich. Entscheidend waren letztlich die stark gestiegenen Energiepreise und die Schwierigkeiten bei der Verfügbarkeit von CO2. Hinzu kamen technische Probleme, die die Produktion drosselten. Die notwendigen Investitionen, um den Brauereibetrieb wieder wirtschaftlich aufnehmen zu können, waren am Ende allen potenziellen Investoren zu hoch. Durch das kontrollierte Herunterfahren der Brauerei konnten wir zumindest die Verluste minimieren, die das Unternehmen auch im Eigenverwaltungsverfahren erwirtschaftet hat. Wenn eine Fortführung des Unternehmens wirtschaftlich nicht möglich ist, ist es meine Aufgabe als Insolvenzverwalter, die Rechte der Gläubiger zu schützen und die Insolvenzmasse zu sichern, aus der die Forderungen der Gläubiger befriedigt werden.

 

Warum fand sich für Bischoff kein Investor?

Erbe: Man stand zwei Mal kurz vor dem Abschluss eines Übernahmevertrags. In der Eigenverwaltung war zunächst geplant gewesen, dass ein Investor das Grundstück kauft, auf dem unter anderem die Brauerei steht. Die Brauerei hätte diesen Teil des Grundstücks dann wiederum vom Investor zurück pachtet. Dieses sogenannte Sale-and-Lease-back-Geschäft hätte dem Unternehmen den finanziellen Spielraum für die Neuaufstellung für die Zukunft verschaffen können. Die übrigen Teile des Grundstücks hätte der Investor als Bauland erschlossen und verkauft. Im März 2022 hatten die Gläubiger einem Insolvenzplan zugestimmt, der den Einstieg eines solchen Investors vorsah. Kurz nach dem positiven Gläubigervotum zog sich der Investor jedoch zurück – unter anderem, da die steigenden Zinsen das Investment unrentabel machen würden. Daraufhin starteten Verhandlungen mit einem potenziellen Investor für den Kauf des Grundstücks und die Übernahme der Brauerei. Der Investor zog aber im Sommer 2022 kurzfristig seine Interessensbekundung für das Grundstück zurück. Das war kurz nach meiner Bestellung zum Insolvenzverwalter. Das zuständige Amtsgericht Kaiserslautern mich Ende Juli 2022 zunächst zum Sachwalter und im August 2022 zum Insolvenzverwalter bestellt.

 

Viele kleine und mittelgroße Brauereien stehen wie Bischoff für regionale Identität und Tradition. Reichen diese Faktoren auf dem Markt heute allein nicht mehr aus? 

Erbe: Ab einer bestimmten Größe treten Brauereien aus dem Schutz ihrer regionalen oder durch die Tradition entstandenen Nische heraus und müssen sich dann im Vertrieb und bei den Preisen mit den großen Marktteilnehmern messen. Zudem haben sich zusätzlich zum Rückgang beim Bierkonsum pro Kopf auch die Trinkgewohnheiten geändert. So wird in gewissen Bereichen heute – sinnvollerweise – kein Bier mehr konsumiert. Früher war es zum Beispiel bei Bischoff so, dass ein Teil des gebrauten Bieres in Flaschen und Kästen auf Baustellen verkauft wurde. Und wir sprechen hier nicht über alkoholfreies Bier – heute unvorstellbar. Was vor einige Jahrzehnten ebenfalls unvorstellbar war ist ein Rückgang bei der Markentreue. Gerade junge Menschen sind bei der Frage „Welches Bier soll es sein?“ flexibler geworden und Klassiker wie das Pils haben durchaus ein Imageproblem. Hinzu kommt, dass in Zeiten hoher Inflation auch Biertrinker stärker als bislang auf den Preis achten. So hart das ist: Allein mit Tradition und regionaler Identität können kleine und mittelgroße Brauereien heute im Markt nicht mehr bestehen.

 

Viele Brauereien müssen nun unter Umständen auch noch Corona-Hilfen zurückzahlen. Was droht aus Ihrer Sicht den besonders gefährdeten Brauereien in der Größe von Bischoff?

Erbe: Die staatlichen Hilfspakete während der Corona-Krise haben viele Unternehmen aus unterschiedlichen vor einer existenziellen finanziellen Schieflage gerettet und die Insolvenzen auf einem niedrigen Niveau gehalten. Knapp zweieinhalb Jahre nach dem Start der Überbrückungshilfe I steht nun allerdings bei vielen Unternehmen die Rückzahlung von gewährten Überbrückungshilfen an. Bis spätestens 30. Juni 2023 müssen die Unternehmen eine Schlussabrechnung einreichen. Die grundsätzlich richtige Überprüfung und mögliche Rückzahlung von Corona-Hilfen wird jedoch dazu führen, dass einige Unternehmen in eine finanzielle Schieflage geraten und die Zahl der Insolvenzen stark zunimmt – gerade, da viele Unternehmen immer noch mit den wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie zu kämpfen haben und in der aktuellen und auf absehbare Zeit andauernden Krisensituation – anders als bei den Überbrückungshilfen gedacht – die wirtschaftliche und finanzielle Erholungsphase weiter auf sich warten lässt. Angesichts der Multi-Dauerkrise kommen die Überprüfungen für die Unternehmen zur denkbar ungünstigsten Zeit. Über so manchem Unternehmen hängt damit ein mitunter Millionen Euro schweres Corona-Hilfen-Damoklesschwert. Die Frist für die Schlussrechnung einfach zu ignorieren oder zurückgeforderte Überbrückungshilfen nicht zurückzuzahlen ist aber auch keine Lösung – den Unternehmern und Geschäftsführern drohen in solchen Fällen strafrechtliche Konsequenzen. Eine pragmatische Lösung – zum Beispiel eine Stundung der Rückzahlung durch die zuständigen Stellen, die von Bundesland zu Bundesland variieren – würde allen Beteiligten helfen.

Der Interviewpartner

Dr. Jürgen Erbe, MBA

ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenzrecht. Er ist seit 2015 bei Schultze & Braun tätig und wird im Raum Mannheim und Frankfurt an verschiedenen Gerichten als Insolvenzverwalter bestellt. In dieser Position hat er bereits zahlreiche Unternehmen bei ihrer Sanierung begleitet.