Worauf Arbeitgeber bei Kündigungen achten müssen

07. November 2024 Blog Insolvenzrecht Restrukturierung und Sanierung Wirtschaftsrecht

Die zahlreichen wirtschaftlichen Herausforderungen sorgen dafür, dass für Unternehmen mitunter kein Weg an der Kündigung von Mitarbeitenden vorbeiführt. Franz Orth, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei Schultze & Braun, erläutert, worauf Unternehmen in einem solchen Fall achten müssen, welche Möglichkeiten es gibt, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden und warum ein Interessensausgleich zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern eine wichtige Rolle spielt.

 

Herr Orth, die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland kennt seit Monaten nur einer Richtung – nach oben. Zudem ist die wirtschaftliche Lage aufgrund der zahlreichen Herausforderungen für die Unternehmen weiterhin angespannt. Wie sieht Ihrer Meinung nach die Entwicklung in den nächsten Monaten aus?

Franz Orth: Ich bin mir leider ziemlich sicher, dass sich die ökonomische Lage nicht so schnell verbessern wird, und ich erwarte eher einen weiteren Anstieg an Insolvenzen. Die Gründe sind vielfältig: Das nach wie vor hohe Zinsniveau und die zahlreichen wirtschafts- und geopolitischen Unsicherheiten belasten derzeit die Investitionsentscheidungen vieler Unternehmen. Zudem sind die Personalkosten im internationalen Vergleich sehr hoch. Mitunter der stärkere internationale Wettbewerb, beispielweise mit Unternehmen aus China, löst strukturelle Anpassungsprozesse in Deutschland aus, die die Wachstumsaussichten für die deutsche Wirtschaft dämpfen.

 

Würden Sie die These bestätigen, dass neben der konjunkturellen Schwäche auch der strukturelle Wandel die deutsche Wirtschaft belastet?

Orth: Ja, unsere Wirtschaft, aber auch die Arbeitswelt befinden sich in einem rasanten strukturellen Wandel. Insbesondere die digitale Transformation, der demographische Wandel und der damit verbundene Generationenwechsel auf dem Arbeitsmarkt stellen Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen. Einige Unternehmen versuchen durch ein agiles Arbeitsumfeld, den Wandel vom Top-down-Management hinzu zu Matrix-Strukturen oder den Einsatz effizienter Technologien nicht nur gute Arbeitskräfte langfristig an ihr Unternehmen zu binden, sondern auch ihre Produktivität und ihre Innovationskraft zu verbessern. Dabei führt die Restrukturierung von Produktions- und Verwaltungsprozessen oft auch zu veränderten Qualifikationsanforderungen für Mitarbeitende und, soweit Einsparpotenziale realisiert werden, auch dazu, dass Kündigungen nicht zu vermeiden sind.

 

Wie sollten sich Unternehmen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten verändern?

Orth: Bei Unternehmen, deren Geschäftsmodell unter Druck gerät und es deshalb auf den Prüfstand gestellt wird, werden idealerweise nicht nur einzelne Unternehmenseinheiten verkleinert oder Strukturen gestrafft, sondern auch die Unternehmensorganisation gänzlich neu `outside of the box´ gedacht und aufgesetzt. Oftmals wird nach der Analyse und der Bewertung der gesamten betrieblichen Einheiten nicht nur eine Abteilung, sondern eine Vielzahl von Abteilungen entsprechend der zukunftsorientierten Verbesserungsmöglichkeiten sowie der wechselseitig wirkenden Zusammenhänge reorganisiert.

 

Welche Handlungsmöglichkeiten stehen Unternehmen zur Verfügung, um bei veränderten Anforderungen und sinkenden Umsätzen wettbewerbsfähig zu bleiben?

Orth: Das hängt stark vom Einzelfall ab. Die unternehmerische Kunst liegt darin, das Maßnahmenbündel zu schnüren, das für das konkrete Unternehmen am besten geeignet ist. Neben einem stärkeren Fokus auf strategische Wachstumsbereiche kann es erst mal auch darum gehen, die operative Struktur umzugestalten, organisatorische Synergieeffekte zu nutzen, Effizienzsteigerungen durch KI zu erzielen oder sicherzustellen, dass die Qualifikationen und Ressourcen des Unternehmens auch an zukünftige Geschäftsanforderungen angepasst werden. Gleichzeitig können Freiwilligenprogramme, wie Fort- und Weiterbildungen von Angestellten, und Umschulungsmaßnahmen genutzt werden. Die normale Fluktuation durch Eigenkündigungen, Befristungsablauf, Abbau von Leiharbeitern, das Angebot von Altersteilzeitarbeitsverhältnissen, Änderungskündigungen, Transfergesellschaften und Outplacement sind weitere, nicht abschließend aufgezählte, Möglichkeiten. Muss ein Unternehmen lediglich eine temporäre Reduzierung der Arbeitsmenge bewältigen, kann gegebenenfalls auf das Instrument der Kurzarbeit zurückgegriffen werden. Das hat den Vorteil, bekannte Mitarbeitende und deren Know How im Betrieb halten zu können.

 

Was passiert, wenn betriebsbedingte Kündigungen nicht zu vermeiden sind, weil Teams verkleinert werden müssen oder das gesamte Unternehmen saniert werden muss?

Orth: Gehen wir davon aus, dass ein Unternehmen infolge der bereits beschriebenen Gründe seine Personalstärke an den geringeren Arbeitsbedarf anpassen muss und für deren Umsetzung Ideen entwickelt hat. Dann ist es wichtig, die genauen Bedingungen und den Umfang dieser Anpassungen mit den zuständigen Arbeitnehmervertretungen – also etwa einem Betriebsrat – zu besprechen. Gerade bei einer größeren Anzahl an geplanten Kündigungen müssen die gewünschten Maßnahmen gemeinsam verhandelt, konkret ausgearbeitet und in einem sogenannten Interessensausgleich sowie einem Sozialplan vertraglich festgehalten werden. Diese Verhandlungen werden regelmäßig nicht nur inhaltlich mit harten Bandagen, sondern auch emotional geführt. Denn erfahrungsgemäß ist den Beteiligten sehr wohl bewusst, dass hinter jedem betroffenen Beschäftigten eine Familie beziehungsweise ein persönliches Schicksal steht. Soweit der Arbeitsbedarf nicht mehr vorhanden ist, ist der Schritt zu betriebsbedingten Kündigungen dennoch notwendig, um wenigstens den verbleibenden Mitarbeitenden noch eine Arbeitsplatzperspektive bieten zu können. In den zahlreichen Fällen, in denen ich Betriebsparteien im Zusammenhang mit Personalanpassungen beraten habe, hat kein Unternehmen – und erst recht kein Betriebsrat – sich die Entscheidung leicht gemacht, sich von Mitarbeitenden zu trennen. Das gilt sogar für insolvente Unternehmen, bei denen zusätzlich die besonderen sanierungsarbeitsrechtlichen Regelungen der Insolvenzordnung zum Tragen kommen.

 

Worauf ist bei betriebsbedingten Kündigungen zu achten?

Orth: Kündigungsschutz bedeutet Arbeitnehmerschutz. Im deutschen Kündigungsschutzrecht wird die unternehmerische Freiheit erheblich zugunsten der Berufsfreiheit der Arbeitnehmer eingeschränkt. Und jeder Kündigungstyp ist an recht klare rechtliche Vorgaben gebunden. Nach dem gesetzgeberischen Willen soll der Arbeitgeber ab einer bestimmten Unternehmensgröße und Anzahl von Mitarbeitenden Arbeitsverträge nicht frei nach eigenem Belieben kündigen können. Erfüllt ein Arbeitgeber die rechtlichen Voraussetzungen, kann er gleichwohl Kündigungen wirksam aussprechen. Der im Kündigungsschutzrecht besonders bedeutsame Grundsatz der Verhältnismäßigkeit prägt nicht nur die allgemeinen rechtlichen Rahmenbedingungen, sondern führt auch zu differenzierten Einzelfallbewertungen, die von der Rechtsprechung teils zu Gunsten der Arbeitnehmer und teils zugunsten der Arbeitgeber angewendet werden.Um das Risiko von unwirksamen Kündigungen zu reduzieren, ist es immer lohnend, sich rechtliche Unterstützung von einer Fachanwältin oder einem Fachanwalt für Arbeitsrecht zu holen. Denn eine unwirksame Kündigung ist für den Arbeitgeber in der Regel sehr kostspielig und kann im Ergebnis zudem organisatorisch aufwändig werden. 

 

Was heißt das?

Orth: Unternehmen sollten bei der Vorbereitung einer oder mehrerer betriebsbedingter Kündigungen unbedingt die rechtlichen Rahmenbedingungen im Blick behalten. Diese werden nicht nur für eine gegebenenfalls erforderliche Betriebsratsanhörung, sondern auch für spätere Gerichtsverfahren relevant. Dazu gehören neben der sozialen Auswahl der zu kündigenden Mitarbeitenden auch die übrige Verhältnismäßigkeitsprüfung sowie die Darlegung der dringenden betrieblichen Erfordernisse, die zum Wegfall des Arbeitsplatzes führen. Ein größerer Personalabbau erfordert zudem eine Massenentlassungsanzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit. Fakt ist: Eine gute und sozialverträgliche Vorbereitung der Personalmaßnahme spart im Nachgang Zeit, Geld und Nerven – sowohl auf Arbeitnehmer- als auch auf Arbeitgeberseite. 

 

Massenentlassungen können die demografische Struktur eines Unternehmens verändern. Wie kann es dazu kommen? 

Orth: Im Rahmen von Restrukturierungen, erst recht während eines Insolvenzverfahrens, ist häufig ein Personalabbau nicht zu vermeiden. Muss dieser mittels Kündigungen umgesetzt werden, ist im Rahmen einer Sozialauswahl festzulegen, wer unter den vergleichbaren Arbeitnehmern im Betrieb am wenigsten schutzwürdig ist. Die dafür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien der Sozialauswahl sind die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, etwaige Unterhaltspflichten und gegebenenfalls eine Schwerbehinderung beziehungsweise Gleichstellung. In Anwendung dieser Kriterien gelangen Arbeitgeber oftmals zu dem Ergebnis, dass gerade jüngere Arbeitnehmer weniger schutzbedürftig und deshalb ihnen gegenüber betriebsbedingte Kündigungen zu erklären sind. Das hat entsprechende Auswirkungen auf die Altersstruktur der Belegschaft und kann sogar zu einer Überalterung der Belegschaft führen. 

 

Gibt es Möglichkeiten, diese Entwicklung zu vermeiden?

Orth: Ja, dieser Entwicklung kann vorgebeugt werden: Führen die Kündigungen unter Anwendung der gewöhnlichen Sozialauswahl zu Nachteilen mit Blick auf die Personalstruktur des Arbeitgebers, so kann die Sozialauswahl innerhalb von definierten Altersgruppen durchgeführt werden. Mit der Altersgruppenbildung können, jedenfalls außerhalb eines Insolvenzverfahrens, nur bestehende Strukturen proportional erhalten werden. Sie ist grundsätzlich kein Mittel, um eine vom Status quo abweichende Struktur zu schaffen. Jedoch erscheint für einige Unternehmen bereits der Erhalt der bisherigen Altersstruktur attraktiver als die Anwendung der sonst üblichen Grundsätze der Sozialauswahl.

 

Was empfehlen Sie Unternehmen in wirtschaftlichen Schieflagen?

Orth: Je früher und konkreter sich Unternehmensvertreter ihrer Lage bewusst werden und dem damit verbundenen Handlungsbedarf stellen, umso besser kann die situativ geeignetste Lösung entwickelt und umgesetzt werden. Dabei sollten Unternehmen nicht nur die kurzfristige Anpassung des Personalbedarfs, sondern auch den mittel- und langfristig steigenden Fachkräfte- und Personalmangel in ihre Erwägungen einfließen lassen. Selbst wenn eine schnelle Umsetzung angestrebt und umgesetzt wird, ist eine professionelle und ganzheitlich abgestimmte Organisation der geplanten Personalmaßnahme essenziell für die Verringerung von Prozess- und Kostenrisiken. Bei entsprechender Vorbereitung kann auch eine komplexe unternehmerische Restrukturierung erfolgreich durchgeführt und das Unternehmen zukunftsfähig aufgestellt werden.

Der Interviewpartner

Franz Orth ist Fachanwalt für Arbeitsrecht bei Schultze & Braun. Er ist am Nürnberger Standort der bundesweit vertretenen Kanzlei tätig.