Das Insolvenzrecht schlägt das Arbeitsrecht in vielen Punkten
1999 trat die Insolvenzordnung in Kraft. Im Interview erläutert Alexander von Saenger von Schultze & Braun, welche Möglichkeiten und Besonderheiten es im Sanierungsarbeitsrecht gibt, um Unternehmen und Arbeitsplätze zu erhalten und wie sich der Fokus der arbeitsrechtlichen Privilegierung im Insolvenzrecht regelmäßig wandelt.
Herr von Saenger, Sie haben als Spezialist für das Sanierungsarbeitsrecht bereits zahlreiche Restrukturierungen und Insolvenzen begleitet. Welche Regelungen der Insolvenzordnung spielen für Sie als Fachanwalt für Arbeitsrecht die größte Rolle?
von Saenger: Es gibt mehrere Regelungen in der Insolvenzordnung – aus arbeitsrechtlicher Sicht sind vor allem die Paragrafen 113 bis 128 von besonderer Bedeutung – die in das Arbeitsrecht eingreifen. Oder anders formuliert – und so erkläre ich das auch häufig den Mitarbeitenden: Das Insolvenzrecht schlägt das Arbeitsrecht in vielen Punkten. Jedoch ist auch eine Insolvenz kein rechtsfreier Raum, und die Arbeitnehmer haben in gewisser Weise in einem Insolvenzverfahren eine Sonderstellung. Ein zentraler Punkt ist die Tatsache, dass die Insolvenzordnung in § 113 ermöglicht, die Kündigungsfrist von Mitarbeitenden auf maximal drei Monate zu reduzieren. Das heißt: Ich habe die Option, bei Bedarf in bestehende Verträge einzugreifen und Kündigungsfristen zu verringern. Das ist insofern von besonderer Bedeutung, da durch die Insolvenzordnung mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die verkürzten Kündigungsfristen auch dann wirksam sind, wenn es im Unternehmen zum Beispiel Tarifverträge gibt, die Bestandsschutz oder Beschäftigungssicherung geben oder den Standort sichern. Das klingt zunächst hart, kann für den Erhalt des Unternehmens und zumindest eines Teils der Arbeitsplätze aber entscheidend sein, wenn dafür notwendige Kündigungen schneller wirksam werden.
Die Insolvenzordnung ermöglicht es also, im Rahmen des Insolvenzverfahrens Personalmaßnahmen umzusetzen, die außerhalb der Insolvenz nicht möglich wären. Das klingt so, als ob es im Insolvenzverfahren möglich ist, das Arbeitsrecht sehr robust durchzusetzen.
von Saenger: Ja, um zum Beispiel mit Personalmaßnahmen eine Sanierung des Unternehmens und möglichst vieler Arbeitsplätze zu erreichen ist die arbeitsrechtliche Privilegierung ein zentrales Element. Ich kann aber auch verstehen, dass diese Bestimmungen der Insolvenzordnung, die im Prinzip ja Rechte beschneiden, nicht besonders populär sind. Wobei sich der Umfang von Personalmaßnahmen in Insolvenzverfahren meiner Erfahrung nach gerade in den vergangenen Jahren geändert hat.
Inwiefern?
von Saenger: Wenn ich an meine ersten Berufsjahre Anfang der 2000 Jahre zurückdenke, ging es damals immer um sehr große Personalmaßnahmen. Da gab es quasi kein Insolvenzverfahren, in dem wir nicht über einen Personalabbau sprechen mussten. Damals galt durchaus der Grundsatz: Keine Insolvenz ohne Personalabbau. Das galt bis zur globalen Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009. Dann gab es zum einen einen wirtschaftlichen Aufschwung im Anschluss an die Krise und zum anderen begann der Fachkräftemangel, dessen Bedeutung in den letzten Jahren noch einmal zugenommen hat. Durch diesen Wandel hat sich auch der arbeitsrechtliche Fokus in Insolvenzverfahren geändert und ist nun verstärkt darauf gerichtet, die betroffenen Mitarbeitenden mitzunehmen, sie von den Perspektiven und dem Bleiben im Unternehmen zu überzeugen. Für das Gelingen einer Restrukturierung oder Sanierung ist heute mehr denn je neben den Antworten auf rechtliche Fragestellungen auch der richtige Umgang mit den beteiligten Menschen entscheidend.
Das heißt, dass die sanierungsarbeitsrechtlichen Regelungen in der Insolvenzordnung seitdem an Bedeutung verloren haben?
von Saenger: Sie kamen zumindest seltener zum Einsatz. Beim Ziel, Mitarbeitende im Unternehmen zu halten, kommen in einem Insolvenzverfahren aber ebenfalls die insolvenzrechtlichen Bestimmungen zum Tragen – so spielt etwa die Rangfolge der Ansprüche der Arbeitnehmer eine wichtige Rolle, wenn es zum Beispiel um Halteprämien geht. Jedoch hat gerade im Laufe der letzten zwölf Monate ein erneuter Wandel eingesetzt, da aufgrund der nach wie vor andauernden wirtschaftlichen Herausforderungen das Thema Personalabbau in der Insolvenz wieder an Bedeutung gewinnt. Denn immer mehr Unternehmen müssen sich schlanker aufstellen, um saniert werden zu können. Dazu nutzen Unternehmen auch Instrumente wie zum Beispiel eine Transfergesellschaft, bei der die Regelungen des Sozialgesetzbuchs gelten, die aber auch außerhalb von Insolvenzverfahren eingesetzt werden kann.
Inzwischen ist es ja so, dass gerade größere Sanierungen im Rahmen von Eigenverwaltungen oder Schutzschirmverfahren angegangen werden. Gibt es zwischen diesen Verfahren und Regelinsolvenzverfahren aus sanierungsarbeitsrechtlicher Sicht Unterschiede?
von Saenger: Die arbeitsrechtlichen Möglichkeiten der Insolvenzordnung können auch in einer Eigenverwaltung oder einem Schutzschirmverfahren genutzt werden. Der Vorteil dieser Verfahren ist, dass die Sanierung in enger Zusammenarbeit mit der Geschäftsführung erfolgt, die ja das originäre Sachwissen und die geschäftlichen Kontakte, aber auch – und das ist ein nicht zu unterschätzender Faktor – die Verbindung zur Belegschaft hat. Das heißt: Ich saniere das Unternehmen als Geschäftsführung in eigener Regie, kann aber gleichzeitig auf die arbeitsrechtlichen Sondervorschriften der Insolvenzordnung zurückgreifen.
Sind diese Vorschriften auch in StaRUG-Verfahren anwendbar?
von Saenger: Das StaRUG-Verfahren hat viele Anwendungsbereiche, jedoch geht es dabei eher um finanzielle Restrukturierungen und nicht unbedingt um den Bereich Arbeitsrecht. Das liegt auch daran, dass die arbeitsrechtliche Privilegierung, die es im Regelinsolvenzverfahren, der Eigenverwaltung oder dem Schutzschirmverfahren gibt, im StaRUG-Verfahren nicht nutzbar ist. Wenn wir ein StaRUG-Verfahren haben, und wenn man dort Arbeitsrecht machen muss, müssen wir das also genauso behandeln und ein Restrukturierungsbudget genauso berechnen, wie wenn das außerhalb des Insolvenzverfahrens erfolgen würde.
Zusätzlich zu den arbeitsrechtlichen Regelungen bietet die Insolvenzordnung im Zusammenhang mit den Mitarbeitenden noch einen weiteren Vorteil, das Insolvenzgeld. Wie bewerten Sie dessen Bedeutung?
von Saenger: Das Insolvenzgeld – also, dass die Löhne und Gehälter der Mitarbeitenden nach dem Insolvenzantrag für bis zu drei Monate über die Insolvenzgeldumlage von der Bundesagentur für Arbeit gesichert sind – ist im Rahmen einer Sanierung ein essenzieller Faktor – gerade auch für die Kommunikation mit den Mitarbeitenden, die ja nachvollziehbarerweise bei einem Insolvenzantrag erst einmal verunsichert sind. Wenn man ihnen aber klar machen kann, dass sie sich für die nächsten drei Monate keine Gedanken machen müssen, da auf das Insolvenzgeld zurückgegriffen werden kann, ist das auf jeden Fall eine positive Botschaft.
Die ja für die Stabilisierung des Geschäftsbetriebs und die die Neuaufstellung des Unternehmens einen weiteren Vorteil hat.
von Saenger: Für das Unternehmen bedeutet das Insolvenzgeld, dass es bis zu drei Monate ohne Personalkosten produzieren und verkaufen kann und die dabei erzielten Einnahmen für den weiteren Sanierungsweg zurücklegen und nutzen kann. Das ist maßgeblich, denn ich gehe ja nach den bis zu drei Monaten im vorläufigen Verfahren ins eröffnete Verfahren und muss dann wieder unter Vollkosten operieren und die Löhne und Gehälter aus dem laufenden Betrieb erwirtschaften. Wenn dieser Schritt erfolgreich geschafft wurde, ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg aus dem Verfahren erreicht. Das Ziel – die erfolgreiche Sanierung und das Verlassen des Verfahrens – ist mit Hilfe eines Insolvenzplans oder einer Übertragenden Sanierung möglich. Um das Ziel zu erreichen, benötige ich aber häufig Zeit und diese Zeit gewinne ich dadurch, dass ich in der Phase des vorläufigen Verfahrens, in der ich das Insolvenzgeld habe und deshalb Personalkosten spare, mir einen finanziellen Puffer für die weiteren Sanierungsschritte schaffe. Denn dadurch wird eine Sanierung teilweise überhaupt erst machbar, da insolvente Unternehmen ja oftmals keine finanziellen Rücklagen haben.
Bei der Sanierung eines Unternehmens gibt es oftmals einen sogenannten Betriebsübergang. Worauf ist dabei zu achten?
von Saenger: Der Betriebsübergang im Zuge eines Unternehmenskaufs oder Unternehmensverkaufs ist ein zentraler Aspekt, und bei nahezu jedem Insolvenzverfahren spielt der sogenannte Betriebsübergangsparagraf eine wichtige Rolle, der § 613 a BGB. Dieser Paragraf dient und führt dazu, dass Arbeitnehmeransprüche bei einem Betriebsübergang eins zu eins auf den Erwerber übergehen. Dabei gibt es eine wichtige Besonderheit: Der Erwerber haftet bei einem Kauf aus dem Insolvenzverfahren nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht für solche Ansprüche der Arbeitnehmer, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind. Neben diesen rein rechtlichen Punkten ist der Betriebsübergangsparagraf ein wichtiger Fakt, um eine Belegschaft zu motivieren, weiter an Bord zu bleiben und in eine sanierte, übertragene Gesellschaft zu wechseln.