Wie sichere Geschäfte mit Partnern aus den Niederlanden gelingen

27. Juni 2024 Blog Insolvenzrecht International Restrukturierung und Sanierung Wirtschaftsrecht

115 Milliarden Euro – 2023 haben die deutschen Exporte in die Niederlande einen neuen Höchstwert erreicht. Je höher das Geschäftsvolumen, desto wichtiger ist die Risikovorsorge. Dr. Michael Rozijn und Benjamin Schmutz vom Dutch Desk von Schultze & Braun erläutern, was dabei zu beachten ist.

 

Herr Dr. Rozijn, Herr Schmutz, was sollten deutsche Unternehmen beachten, wenn sie Geschäfte mit niederländischen Partnern eingehen?

Rozijn: Das Risiko für deutsche Lieferanten ist im Fall einer Insolvenz des Geschäftspartners in den Niederlanden noch höher als im Fall einer Insolvenz in Deutschland. Denn: In niederländischen Insolvenzverfahren ist deutlich häufiger noch nicht einmal genügend Masse vorhanden, um das Insolvenzverfahren überhaupt durchzuführen. Daher sind bei Geschäften mit niederländischen Partnern Sicherheiten von besonderer Bedeutung. Um zu vermeiden, auf offenen Forderungen sitzen zu bleiben, sollten Unternehmen entsprechende Sicherheiten nutzen.

Schmutz: Ohne die Sicherheiten kann der Lieferant seine Forderungen meist abschreiben – das gilt allerdings generell und ist erst einmal keine Besonderheit bei Geschäften mit den Niederlanden. Mit dem Blick auf unser Nachbarland gilt jedoch: Sicherheit ist nicht gleich Sicherheit. In den Niederlanden funktionieren Sicherheiten, die in Deutschland sehr beliebt sind, mitunter nicht oder zumindest nicht so wie hierzulande. Deshalb sollten deutsche Unternehmen stets die Besonderheiten des niederländischen Rechts im Blick haben.

 

Welche Besonderheiten bei welchen Sicherheiten betrifft das?

Rozijn: Ein gutes Beispiel ist der in Deutschland beliebte Eigentumsvorbehalt. Der Verkäufer kann mit dieser Sicherheit hierzulande ohne Weiteres eine gelieferte Ware zurückholen, wenn der Käufer sie nicht bezahlt oder bezahlen kann. In den Niederlanden hat allerdings die Finanzverwaltung das Vorrecht, Waren zu beschlagnahmen, die sich auf dem Grundstück eines Steuerschuldners befinden. Das gilt auch dann, wenn sie eigentlich durch den Eigentumsvorbehalt noch Eigentum des deutschen Lieferanten sind.

 

Da kann man als Lieferant meinen: Ich muss einfach nur schnell sein. Was die Finanzverwaltung nicht weiß, macht sie nicht heiß, oder?

Rozijn: Das ist definitiv keine gute Idee und kann leicht sehr teuer werden! Denn Lieferanten sind in den Niederlanden dazu verpflichtet, der Finanzverwaltung schriftlich zu melden, wenn sie Vorbehaltsware abholen wollen. Das Gesetz räumt der Finanzverwaltung dann vier ganze Wochen Bedenkzeit ein, zu entscheiden, ob sie die Abholung untersagt. Holt der Lieferant die Ware ohne Meldung oder zu früh ab, ist er der Finanzverwaltung zum Wertersatz verpflichtet.

Schmutz: Das Fazit ist: Der einfache Eigentumsvorbehalt ist als Sicherheit für Exporte in die Niederlande aufgrund des Vorrechts der niederländischen Finanzverwaltung immer mit einem gewissen finanziellen Risiko behaftet – gerade, da diese ihr Vorrecht in der Regel ausübt.

 

Wie sieht es denn mit der Vorausabtretung von Forderungen aus?

Rozijn: Diese Sicherheit ist in Deutschland gängig. Bei der Vorausabtretung tritt der Käufer einer Ware seine Forderungen gegen einen Dritten ab – etwa, ein Unternehmen, an das der Geschäftspartner Waren verkauft hat, die auf Basis von Rohstoffen hergestellt wurden, die er vom Lieferanten bezogen hat. Diese Sicherheit setzt aber natürlich voraus, dass der Lieferant und sein Kunde eine entsprechende Vereinbarung getroffen haben. Dies geschieht im Regelfall über die AGB des Lieferanten. In den Niederlanden ist die Vorausabtretung von Forderungen, die im Zeitpunkt der Abtretung noch nicht bestehen, unwirksam. Diese Sicherheit greift also nicht, wenn der Kunde in den Niederlanden seinen Sitz hat. In den Niederlanden behilft man sich daher mit einem Pfandrecht, das im Zeitpunkt des Entstehens der Forderung vereinbart werden muss.

Schmutz: Hier kommt wieder die niederländische Finanzverwaltung ins Spiel: Sie muss jeweils tagesaktuell darüber informiert werden, dass der Lieferant die Forderung des niederländischen Kunden gegen einen Dritten pfändet. Dies ist eine zwar komplizierte, aber sich für deutsche Lieferanten durchaus lohnende Option, weil sie eine 100-prozentige Sicherheit gewährleistet und der Lieferant Forderungen dabei nicht einzeln benennen muss. Hierzu haben sich in den Niederlanden gute pragmatische Vorgehensweisen etabliert.

 

Zusammengefasst: Was empfehlen Sie deutschen Lieferanten für die Absicherung von Geschäften mit niederländischen Partnern?

Rozijn: Am besten setzen sie neben der Absicherung auch auf Vorsorge. Dazu gehört, die Bonität der Kunden regelmäßig zu prüfen – auch nach Vertragsabschluss. Die Bezahlung einer Lieferung per Vorkasse ist vorzugswürdig – um dem ansonsten möglicherweise greifenden Vorrecht der Finanzverwaltung zuvorzukommen. Zudem können Lieferanten von ihren Geschäftspartnern zusätzliche Sicherheiten wie Bürgschaften oder Garantien einfordern. Wichtig ist aber: Bei deren Gestaltung sind ebenfalls die Besonderheiten des niederländischen Rechts zu beachten.

 

Welche Herausforderungen können dabei auf deutsche Unternehmer zukommen?

Schmutz: Schwierig kann es werden, wenn der niederländische Geschäftspartner eine Restrukturierung durchläuft. In Deutschland haben Unternehmen seit Anfang 2021 mit dem sogenannten StaRUG die Möglichkeit, sich vorinsolvenzlich zu restrukturieren. Die niederländische Variante wird mit WHOA abgekürzt und hat das niederländische Insolvenzrecht tiefgreifend verändert. Im Mittelpunkt beider Verfahren steht ein Restrukturierungsplan und ein Vergleich mit den Gläubigern. Prägnant ist, dass sowohl mit dem StaRUG als auch mit dem WHOA per Gerichtsbeschluss auch die Gläubiger an den Vergleich gebunden werden können, auch wenn sie diesem nicht zugestimmt haben.

 

Das klingt fast so, als wäre das WHOA für deutsche Lieferanten ein großes Risiko.

Rozijn: Das ist in der Tat so. Ein Vergleich nach dem WHOA ist seit dem 9. Januar 2022 auch grenzüberschreitend in allen anderen EU-Staaten umsetzbar. Das WHOA ermöglicht es Schuldnerunternehmen – also zum Beispiel niederländischen Geschäftspartnern deutscher Lieferanten – zudem, finanziell für sie belastende Verträge vorzeitig zu beenden. Deutsche Lieferanten sollten daher frühzeitig tätig werden, wenn ihr niederländischer Kunde in die Schieflage gerät – und sich nach Möglichkeit in den Restrukturierungsprozess einbringen. Aber ebenso wie nach dem StaRUG in Deutschland bietet die Restrukturierung nach dem WHOA in den Niederlanden eine große Chance, das Insolvenzrisiko zu überwinden und den Totalverlust von Forderungen zu vermeiden.

Schmutz: Fazit: Die rechtlichen Unterschiede zwischen Deutschland und den Niederlanden zeigen: Auch bei einer guten geschäftlichen Nachbarschaft ist Vorsorge das A und O. Die jeweiligen Besonderheiten zu kennen, macht für Lieferanten aus Deutschland das Geschäft mit niederländischen Partnern planbarer und finanziell sicherer.

Die Interviewpartner

Dr. Michael Rozijn

ist Rechtsanwalt bei Schultze & Braun. Er ist Leiter des Dutch Desks der Kanzlei und hat sein Studium an der Universität Osnabrück und der Rijksuniversiteit Leiden absolviert.

Benjamin Schmutz, LL.M.,

ist Jurist bei Schultze & Braun. Er ist Mitglied des Dutch Desks der Kanzlei und spezialisiert auf Wirtschaftsrecht in der Rechtsberatung und Wirtschaftsrecht in der Restrukturierung.