Harmonisierung der Insolvenzrechte: EU-Richtlinie mit Diskussionsbedarf

14. Juni 2024 Blog Insolvenzrecht Restrukturierung und Sanierung Wirtschaftsrecht

 

Patrick Ehret von Schultze & Braun geht davon aus, dass Insolvency III nach der Europawahl wieder Fahrt aufnehmen dürfte. Im Interview erläutert er den aktuellen Stand des geplanten EU-Richtlinie zur Harmonisierung der Insolvenzrechte, und er spricht darüber, warum grundlegende Punkte dabei gleichwohl außen vor bleiben.

 

Herr Ehret, am 20. und 21. Juni findet in Brüssel der Europäische Insolvenzrechtstag statt. Sie sind dabei einer der beiden Moderatoren der Podiumsdiskussion zu Insolvency III. Wie ordnen Sie die Richtlinie ein?

Ehret: Das lässt sich aus meiner Sicht passenderweise mit einem Fußball-Vergleich darstellen – gerade, da ja am 14. Juni die Fußball-Europameisterschaft der Herren unter dem Motto der Bundesregierung „Heimspiel für Europa“ beginnt. Auf Sepp Herberger, den Trainer der deutschen Weltmeistermannschaft von 1954, geht die Fußball-Weisheit „Der Ball ist rund und ein Spiel dauert 90 Minuten“ zurück. Auch wenn diese Weisheit angesichts der inzwischen doch oftmals sehr langen Nachspielzeiten inzwischen etwas in die Jahre gekommen zu sein scheint, betont sie doch sehr anschaulich gewisse Gemeinsamkeiten, die auf Fußballspiele zutreffen und an denen sich die Beteiligten orientieren können. Übertragen auf Insolvenzen und Sanierungen strebt die Europäische Union mit der Insolvency III-Richtlinie für ihre Mitgliedsstaaten Ähnliches an – also gewisse Standards für Insolvenz- und Sanierungsverfahren über eine Harmonisierung der nationale Insolvenzrechte. Ähnlich war die EU bereits bei den Regelungen für eine vorinsolvenzliche Restrukturierung vorgegangen, die in Deutschland mit dem StaRUG umgesetzt wurde.

 

Welche Bedeutung hat die Richtlinie für deutsche Unternehmen und die Sanierungspraxis hierzulande?

Ehret: Die EU-Kommission hat Ende 2022 einen Richtlinienentwurf vorgelegt, mit dem sie die Angleichung der nationalen Insolvenzrechte angehen will. Solche Standards sind grundsätzlich auch für die deutsche Sanierungspraxis von großer Bedeutung – gerade auch, da die deutsche Wirtschaft traditionell stark exportorientiert ist und daher die rechtlichen Möglichkeiten für grenzüberschreitende Sanierungen eine wichtige Rolle spielen.

 

Wann rechnen Sie mit einer Verabschiedung der Richtlinie?

Ehret: Der Gesetzgebungsprozess auf EU-Ebene wird nach der Europawahl sicherlich vorangetrieben werden. Ich halte es für durchaus möglich, dass die Insolvency III-Richtlinie im kommenden Jahr verabschiedet wird. Ob und was vom Richtlinienentwurf dann in Deutschland in nationales Recht umzusetzen ist, wird sich im weiteren Gesetzgebungsverfahren herausstellen.

 

Bei welchen Punkten rechnen Sie mit Änderungsbedarf im deutschen Insolvenzrecht?

Ehret: Ein Punkt, der im Zuge der Insolvency III-Richtlinie vorgesehen ist, sind einheitliche Standards bei der Anfechtung. Bei diesem aus Banken- und Gläubigersicht wichtigen Punkt sind die Regelungen in Deutschland im EU-Vergleich bereits sehr detailliert ausgestaltet. Ich rechne daher nicht damit, dass es in diesem Bereich hierzulande größere Änderungen geben wird. In anderen Ländern, wie zum Beispiel Frankreich, wird dieser Punkt hingegen kritisch beäugt und eine Verlust an Rechtssicherheit für vorinsolvenzliche Restrukturierungslösungen befürchtet.

 

Gibt es auch Punkte, bei denen bereits jetzt absehbar ist, dass sie im Zuge von Insolvency III nicht angeglichen werden sollen?

Ehret: Ja, dazu gehört neben der Frage, welche Ziele mit dem Insolvenzverfahren prioritär verfolgt werden sollen – also die grundlegende Ausrichtung des Insolvenzverfahrens auf Gläubiger- oder Schuldnerinteressen – auch Fragen der materiellen Insolvenz. Die Zahlungsunfähigkeit ist aber nicht nur in Deutschland der er mit Abstand häufigste Grund für Unternehmensinsolvenzen. Es wäre daher sinnvoll, die mitunter umfangreichen Unterschiede zwischen den nationalen Insolvenzrechten bei der Definition der Zahlungsunfähigkeit anzugleichen. Gleichwohl bleibt dieser Punkt bei Insolvency III außen vor. Für die Insolvenzantragspflicht sind immerhin Mindeststandards vorgesehen, die allerdings beispielsweise in den Niederlanden, die bisher keine Antragspflicht kennt, auf erhebliche Kritik stoßen. Dass solche zentralen Punkte nicht oder nur in kleinem Maßstab angeglichen werden sollen, hat im Zuge des bisherigen Gesetzgebungsprozesses für einige Diskussionen gesorgt.

 

Kritik gab und gibt es ja auch im Zusammenhang mit dem sogenannten verwalterlosen Kleinverfahren. Wie ist hier der aktuelle Stand?

Ehret: Im Richtlinienentwurf von Ende 2022 war ein vereinfachtes, regelmäßig verwalterloses Verfahren für Unternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten vorgesehen, die höchstens zwei Millionen Euro Umsatz erwirtschaften. Aufgrund der umfassenden Kritik ist jedoch wahrscheinlich, dass das verwalterlose Kleinverfahren am Ende des Gesetzgebungsprozesses entweder überhaupt nicht mehr Teil der Insolvency III-Richtlinie ist oder zumindest nicht im ursprünglich geplanten Umfang.

 

Wie sieht es beim Pre Pack-Verfahren aus?

Ehret: Dieses Verfahren, das ebenfalls bereits im Richtlinienentwurf vorgesehen war, dürfte mit Insolvency III Eingang in die deutsche Sanierungspraxis finden. Das Pre-Pack-Verfahren, das sich in eine Vorbereitungs- und eine Liquidationsphase unterteilt. soll es ermöglichen, eine schuldenfreie Unternehmensübernahme bereits vor der Insolvenzeröffnung vorzubereiten.

 

Was mit der übertragenden Sanierung allerdings auch schon jetzt möglich ist.

Ehret: In der Tat, allerdings ziehen sich Übernahmen insolventer Unternehmen oftmals bis nach der Eröffnung hin – mitunter sogar Monate. Das ist dann eine echte Kostenfrage – etwa, wie zum Beispiel die Gehälter der Mitarbeitenden im eröffneten Verfahren gedeckt werden. Begleitet wird das Pre-Pack-Verfahren von einem sogenannten Monitor, der nach der Übernahme in der Liquidationsphase die Restabwicklung übernehmen soll. Dabei gilt es allerdings die Gläubigerrechte im Auge zu behalten, um Firesales zu deren Nachteil zu vermeiden – also Veräußerungen, die mehr an maximaler Geschwindigkeit und weniger am Ziel der besten Verwertung im Gläubigerinteresse orientiert sind.

 

Das klingt so, als ob es angesichts der zahlreichen Punkte, die von Insolvency III betroffen wären, bei der Podiumsdiskussion auf dem Europäischen Insolvenzrechtstag in Brüssel einigen Diskussionsbedarf geben dürfte.

Ehret: Davon ist auszugehen. Angeregte Diskussionen wird es aber sicherlich auch noch im Zuge des weiteren Gesetzgebungsprozess auf EU-Ebene geben. Um zum eingangs erwähnten Fußball-Vergleich zurückzukommen: Bis zu einem „Heimspiel für Europa“ wird es mit dem Blick auf die Angleichung der unterschiedlichen Regelungen der nationalen Insolvenzrechte sehr wahrscheinlich noch eine ganze Zeit lang dauern.

Patrick Ehret

ist bei Schultze & Braun im Internationalen Bereich tätig. Er ist in Deutschland und Frankreich als Rechtsanwalt zugelassen und französischer Fachanwalt für EU-Recht.