Handeln, bevor das Kind in Richtung Brunnen geht
Getreu dem Motto „Die beste Krise ist die, die nie eintritt“ hat das StaRUG zum Ziel, die Krisenfrüherkennung in Unternehmen zu verbessern. Dietmar Haffa und Werner Gleißner erläutern, worauf Unternehmen dabei achten sollten. Sie beleuchten aber auch die Seite der finanzierenden Banken.
Herr Haffa, Herr Gleißner, das StaRUG feiert am 1. Januar 2023 seinen zweiten Geburtstag. Neben der vorinsolvenzlichen Restrukturierung sind die Krisenfrüherkennung und die Implementierung eines entsprechenden Systems zentrale Elemente des Gesetzes. Wo stehen wir dabei aus Ihrer Sicht nach zwei Jahren StaRUG?
Gleißner: Das erinnert stark an die Auftritte der deutschen Nationalmannschaft bei der aktuellen WM: Anspruch und Wirklichkeit klaffen da leider ziemlich auseinander. Bei vielen Unternehmen zeigen sich bei der Krisenfrüherkennung immer noch erhebliche Defizite. Das liegt sicherlich auch daran, dass die Beschäftigung mit Risiken, die zu Krisen führen können, unangenehm ist und daher oft vernachlässigt wird.
Haffa: Die Devise „Es wird ja schon nichts passieren“ kann aber schnell fatal enden. Nicht zuletzt die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges zeigen leider eindrucksvoll, wie fahrlässig eine solche Annahme ist. Und in einer Zeit, in der sich die Krisen quasi die Klinke in die Hand geben, kann am Ende – eine weitere Parallele zur Nationalmannschaft – eine falsche Annahme oder Niederlage dazu führen, dass man wirtschaftlich oder sportlich trotz guter Voraussetzungen in eine tiefe Krise rutscht.
Paragraph 1 des StaRUG fordert von Unternehmen ein Krisen- und Risikofrüherkennungssystem, das mögliche „bestandsgefährdende Entwicklungen“ – also schwere finanzielle Krisen – so früh erkennt, dass geeignete Gegenmaßnahmen initiiert werden können. Was sollte ein solches System denn abdecken?
Haffa: Ich möchte an dieser Stelle die Bedeutung dieses Paragraphen für Unternehmen und ihre Geschäftsleitungen betonen. Die Regelungen des StaRUG betreffen alle Kapitalgesellschaften, also auch GmbHs. Unternehmen sollten das Gesetz daher auch zwei Jahre nach seinem Inkrafttreten zum Anlass nehmen, sich damit zu befassen, wie sie ihre Krisenfestigkeit und Zukunftsfähigkeit verbessern können. Für die Geschäftsleitung ist das insofern von besonderer Bedeutung, da sie damit auch ihre Sorgfaltspflichten gegenüber dem Unternehmen erfüllt.
Gleißner: Als Orientierung kann Unternehmen die sogenannte Risikoaggregation dienen, die bei Aktiengesellschaften etabliert ist. Dabei untersucht das Unternehmen die Kombinationseffekte von Risiken, um festzustellen, ob durch diese eine Bestandsgefährdung entstehen kann – zum Beispiel durch die Verletzung von Mindestanforderungen an das Rating. Simuliert werden dafür eine große repräsentative Anzahl risikobedingt möglicher Zukunftsszenarien – man spricht dabei von einer Monte-Carlo-Simulation. Mit der Risikoaggregation werden das aktuelle Insolvenzrisiko und der Grad der Bestandsgefährdung bestimmt, um rechtzeitig geeignete Gegenmaßnahmen zu initiieren.
Das klingt kompliziert und aufwändig. Wie geht man denn ein solches System als kleineres oder mittleres Unternehmen an?
Gleißner: Es gibt inzwischen gerade für kleinere und mittlere Unternehmen frei verfügbare Software-Tools, mit denen eine Risikoaggregation gut möglich ist. Mit solchen Tools lassen sich unterschiedliche Krisenphasen zum Beispiel durchaus anhand einer gut und schnell verständlichen Ampel-Logik darstellen – etwa von grün, „keine Krise“ bis rot „Insolvenz“ mit entsprechenden farblichen Abstufungen dazwischen. Wichtig ist, dass die Beurteilung der jeweiligen Krisenphase wiederum die Kenntnis über die Risiken des Unternehmens voraussetzt. Die Vorteile eines Systems zur Krisen- und Risikoerkennung liegen aber auf der Hand: Zeichnet sich eine für das Unternehmen kritische Bestandsgefährdung ab, kann die Geschäftsleitung „geeignete Gegenmaßnahmen“ frühzeitig initiieren.
Haffa: Nach dem StaRUG ist die Geschäftsleitung dazu verpflichtet, entsprechende Gegenmaßnahmen einzuleiten. Bei schweren Krisen oder großen Risiken reichen einzelne Gegenmaßnahmen – etwa zur Kostenreduktion – dann allerdings oft nicht mehr aus. Notwendig ist dann ein Restrukturierungsplan, der an den Krisenursachen ansetzt. Die gute Nachricht ist: Mit dem StaRUG wurden die Möglichkeiten einer Restrukturierung von Unternehmen, um eine Insolvenz zu vermeiden, erheblich verbessert. So ist es insbesondere möglich, eine Schuldenrestrukturierung außerhalb eines Insolvenzverfahrens auch gegen den Willen einzelner Gläubiger durchzusetzen.
Eine solche Durchsetzung kann ja auch für Banken Auswirkungen haben, die den Unternehmen finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt haben. Können denn auch Banken von einem Krisenfrüherkennungssystem in Unternehmen profitieren?
Haffa: Die Antwort lautet ganz klar: Ja! Denn das Risiko bei der Kreditvergabe sinkt für Banken natürlich, wenn sie wissen – und durchaus auch darauf bestehen – dass Unternehmen ein Warnsystem für potenzielle Krisen nutzen. Banken sollten die Forderung aus Paragraph 1 des StaRUG zum Anlass nehmen, sich damit zu befassen, wie sie die Krisenfestigkeit und Zukunftsfähigkeit von Unternehmen besser prüfen und im Blick haben können, die sie finanzieren oder finanzieren wollen. In diesem Zusammenhang kann die die Implementierung und Nutzung eines Krisenfrüherkennungssystems für eine Finanzierungszusage positiv sein, oder von der Bank sogar zur Bedingung gemacht werden.
Gleißner: Es ist jedoch essentiell, dass Banken und Unternehmen bei der Krisenfrüherkennung die richtigen Fragen stellen und wissen, worauf sie bei einem entsprechenden System achten sollten. Bei der Krisenfrüherkennung spielen die drei Schritte Risikoidentifikation, Risikoanalyse und Risikoaggregation eine wichtige Rolle. Diese Schritte, die für jedes Unternehmen individuell geprüft und aufgesetzt werden sollten – sind für Unternehmen aber auch generell von großer Bedeutung. Sie sollten damit nicht warten, bis ihre Bank dazu auf sie zukommt.
Was folgt, wenn im Zuge dieses Dreischritts Risiken erkannt werden?
Haffa: In einem solchen Fall folgt die Risikobewältigung. So weit, so gut – könnte man sagen: Doch ohne eine vorherige Planung lässt sich eine Risikobewältigung nicht umsetzen. Von daher ist es essentiell, dass Unternehmen Maßnahmen dokumentiert haben, mit denen sich potentielle Risiken bewältigen lassen. Zusätzlich sollten Einsatz und Nutzen der definierten Risikobewältigungsmaßnahmen regelmäßig beurteilt und überwacht warden – auch wenn das unter Umständen bedeutet, das eine oder sogar mehrere Maßnahmen nicht gereicht haben, die Krise zu bewältigen.
Gleißner: Zentraler Bestandteil eines Krisenfrüherkennungssystems ist das Risikomanagement – ein Bereich mit vielen Schnittstellen im und zum Unternehmen. So geht es zum Beispiel darum, ob eine Risikopolitik formuliert wurde, die die Unternehmensstrategie konsistent und vollständig abbildet. Aber auch die Risikoorientierung der Unternehmensführung spielt eine wichtige Rolle. Wurde etwa von der Geschäftsführung beziehungsweise dem Vorstand ein Risikomanager oder Risikocontroller beauftragt?
Der Risikomanager oder Risikocontroller ist bei der Risikobewältigung eine zentrale Figur. Worauf sollten Banken in diesem Zusammenhang achten?
Haffa: Banken sollten nicht nur Aufgaben und Verantwortlichkeiten des Risikomanagers oder Risikocontrollers – zum Beispiel Informations- oder Vetorechte – unter die Lupe nehmen, sondern auch, wie klar diese Rechte formuliert sind. Gleiches gilt für die Schwellenwerte, ab denen eine Information von Überwachungsgremien und die Initiierung „geeigneter Gegenmaßnahmen“ zur Krisenbewältigung erfolgen sollen beziehungsweise müssen. Hierbei sollte darauf geachtet werden, dass Mindestwerte, die wahrscheinlichsten Werte und Maximalwerte definiert werden.
Gleißner: Damit ein Unternehmen bestandsgefährdenden Entwicklungen entgegentreten kann, ist es wichtig, dass die Risikoinformationen bestmöglich genutzt werden. Dabei sind aber nicht nur die Nutzung an sich – also der Einsatzpunkt – sondern auch die Art der Nutzung relevant, die sich aus den Simulationen der risikobedingt möglichen Zukunftsszenarien aus der Monte-Carlo-Simulation ergeben.