Fachkräftemangel: Was das Fachkräfteeinwanderungsgesetz der Wirtschaft bringt
Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz, kurz FEG, fördert die Bundesregierung die gezielte Zuwanderung, um dem Fach- und Arbeitskräftemangel entgegenzuwirken. Alexander von Saenger, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei Schultze & Braun, ordnet das FEG ein, das ab dem 18.11.2023 sukzessive in Kraft tritt.
Schätzungsweise rund 400.000 Zuwanderer braucht Deutschland pro Jahr, um den Bedarf an Fachkräften und Arbeitskräften zu decken. Über nahezu alle Branchen hinweg zeigen sich inzwischen die gravierenden Auswirkungen, die der Fachkräftemangel für Unternehmen hat. Wir sprechen hier längst nicht mehr nur von Einschränkungen der Leistungsfähigkeit. Es geht vielmehr bei mehr und mehr Unternehmen darum, dass ihre Existenz bedroht ist, weil sie keine oder nicht in ausreichendem Maße qualifizierte Arbeitskräfte finden.
Doch die Auswirkungen des Fachkräftemangels bleiben nicht auf die Wirtschaft beschränkt. So haben etwa die Insolvenzen, die es zuletzt auch aufgrund des Fachkräftemangels im Bereich der Altenpflege gegeben hat, eben auch große Auswirkungen auf die Bewohnenden der Einrichtungen und damit auf die Gesellschaft als Ganzes. Ein Auslöser der finanziellen Schieflage der Betreiber von Pflegeeinrichtungen ist die übermäßige Inanspruchnahme von Leiharbeit, was durch den Fachkräftemangel bedingt ist. Neben der Altenpflege zählen zudem fast alle medizinischen Gesundheitsberufe und die Branchen Verkehr und Logistik sowie der Einzelhandel zu den am stärksten vom Fachkräftemangel betroffenen Branchen.
Umso wichtiger ist es, Maßnahmen zu planen und umzusetzen, um dem Fachkräftemangel möglichst schnell und umfassend begegnen zu können – gerade, da noch in diesem Jahrzehnt die Altersjahrgänge 1950 bis 1960, die sogenannten Babyboomer, den Arbeitsmarkt verlassen und in Rente gehen. Fakt ist: In zehn bis 15 Jahren werden Menschen im Rentenalter den größten Anteil an der Bevölkerung stellen.
Berufseinsteiger, Engpassberufe, Berufswahl und Berufskraftfahrer
Die Politik hat die Problemlage erkannt und das Fachkräfteeinwanderungsgesetz beschlossen, dessen erster Teil am 18. November 2023 in Kraft tritt. Mit dem Gesetz wird die gezielte Zuwanderung von qualifizierten Arbeitskräften aus dem Ausland gefördert, denn es ist absehbar, dass Deutschland nicht nur den Fachkräftemangel, sondern den immer größer werdenden Mangel an Arbeitskräften generell nicht nur mit der Ausbildung und Qualifizierung der hierzulande lebenden Bevölkerung beheben kann. Vom 18. November 2023 an sind die nachfolgenden Teile und Maßnahmen des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes in Kraft:
- Blaue Karte für Berufseinsteiger: Mit der „Blauen Karte EU“ gelten erleichterte Einwanderungsmöglichkeiten. Die Blaue Karte ist ein spezieller Aufenthaltstitel für hochqualifizierte Nicht-EU-Ausländer, die in einem EU-Mitgliedsstaat arbeiten möchten. Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz werden die Gehaltsgrenzen bei sogenannten Regel- und Engpassberufen abgesenkt. Die Blaue Karte ist damit nun auch für Berufseinsteiger interessant: Ausländische Akademikerinnen und Akademiker, die innerhalb der letzten drei Jahre einen Hochschulabschluss erworben haben, können – wenn die Gehaltsgrenzen erfüllt sind – die Blaue Karte erhalten. Zudem können IT-Spezialistinnen und -Spezialisten künftig eine Blaue Karte erhalten, auch wenn sie keinen Hochschulabschluss haben, aber mindestens drei Jahre vergleichbare Berufserfahrung nachweisen können.
- Erweiterte Liste der Engpassberufe: Die Liste der Engpassberufe, die Grundlage für die Erteilung der Blauen Karte sind, wurde mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz erweitert: Ab dem 18. November 2023 zählen beispielsweise auch Führungskräfte in der Logistik, aber auch akademische und vergleichbare Krankenpflege- und Geburtshilfefachkräfte sowie Lehr- und Erziehungskräfte im schulischen und außerschulischen Bereich als Engpassberufe – also Arbeitskräfte in neuralgischen Branchen, in denen der Mangel besonders zu spüren ist.
- Abschluss-Beschränkung aufgehoben: Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist die Beschränkung aufgehoben worden, nach der man nur aufgrund der mit dem Berufsabschluss vermittelten Befähigung arbeiten darf. Wer also eine qualifizierte Berufsausbildung oder einen Hochschulabschluss hat, ist nicht auf seine Ausbildungsberufe beschränkt. Für reglementierte Berufe, beispielsweise im Gesundheitswesen, gilt dies jedoch nicht.
- Erleichterungen für Berufskraftfahrer: Erhebliche Erleichterungen bringt das Fachkräfteeinwanderungsgesetz zudem für die Verkehr- und Logistikbranche. Bei Berufskraftfahrern aus Drittstaaten werden die EU- beziehungsweise EWR-Fahrerlaubnis und die Grundqualifikation nicht mehr geprüft, die Vorrangprüfung wird gestrichen und es werden keine Sprachkenntnisse mehr vorausgesetzt.
Weitere wichtige Neuerungen im März und Juni 2024
Im März 2024 treten weitere wichtige Neuerungen des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes in Kraft. So ist ab dann der Aufenthalt für Qualifizierungsmaßnahmen für 24 Monate möglich – zuzüglich eines Verlängerungszeitraumes von weiteren zwölf Monaten. Dies gibt Arbeitgebern die Option, auch anspruchsvolle Qualifizierungen einschließlich des Ausbaus der sprachlichen Fähigkeiten im Inland zu ermöglichen.
Erleichterung gibt es ab März 2024 auch für Beschäftige aus Drittstaaten im Gesundheitssektor: Alle Personen mit einer Pflegeausbildung unterhalb der dreijährigen geregelten Fachkräfteausbildung können im Gesundheits- und Pflegebereich beschäftigt werden, wenn sie entweder eine entsprechende deutsche Berufsausbildung im Pflegebereich oder eine ausländische Pflegequalifikation nachweisen können, die in Deutschland anerkannt wurde. Zudem wird der Familiennachzug erleichtert. Im Juni 2024 wird die neue Chancenkarte eingeführt, die einen Aufenthalt zur Arbeitsplatzsuche ermöglicht.
Weitere Schritte müssen folgen
Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Gleichwohl dürfen Politik und Wirtschaft nun nicht stehen bleiben. Weitere Schritte müssen folgen, denn es muss noch viel getan werden. So müssen etwa Zuzugsmöglichkeiten auch für weniger qualifizierte Menschen aus Drittstaaten geschaffen werden, denn auch hier wird der Arbeitskräftemangel immer größer. Zudem müssen die Visa-Verfahren vereinfacht und beschleunigt und die Ausländerbehörden entlastet werden.
Grundsätzlich gilt: Unternehmen brauchen innovative und unbürokratische Konzepte, um dem Fachkräftemangel und dem Arbeitskräftemangel begegnen zu können. Das kann auch bedeuten, die fachspezifische Ausbildung und die Sprachausbildung bis zum geforderten Niveau bereits im Heimatland anzubieten. Eine nachhaltige und ehrliche Willkommenskultur in Deutschland und ein umfassendes Onboarding sichern die Integration und sind ein wichtiger Baustein dafür, dass die mühsam (und teuer) angeworbenen Fachkräfte und Arbeitskräfte auch langfristig bleiben. Denn nur dann profitieren alle Seiten, und die Krise des Fachkräftemangels kann zur Chance werden.