25 Jahre Insolvenzordnung
Heutzutage können Sanierer auf eine Vielzahl an Verfahren und Instrumenten zurückgreifen, wenn es darum geht, ein kriselndes Unternehmen neu aufzustellen. Die Basis dafür bietet die Insolvenzordnung (InsO), die vor 25 Jahren in Kraft getreten ist. Detlef Specovius von Schultze & Braun spricht im Interview darüber, wie sich das Insolvenz- und Sanierungsrecht seit 1999 weiterentwickelt hat, was seine Wünsche für die Zukunft sind und warum bei jeder Sanierungsaufgabe eine gesunde Portion Respekt dazugehört.
Herr Specovius, Sie sind seit 1993 als Insolvenzrechtler tätig. Was verbinden Sie mit der Einführung der Insolvenzordnung am 1. Januar 1999?
Specovius: Zum einen war da angesichts der zahlreichen Neuerungen eine große Vorfreude. Vor der Insolvenzordnung gab es ja viele Verfahren oder Instrumente überhaupt nicht, die heute regelmäßig zum Einsatz kommen – denken Sie etwa an den Insolvenzplan oder die Eigenverwaltung, aber auch die Erleichterungen bei notwendigen Personalanpassungen oder das Verbraucherinsolvenzverfahren.
Angesichts der zahlreichen Neuerungen war aber wahrscheinlich auch eine gesunde Portion Respekt dabei, oder?
Specovius: Natürlich, schließlich fehlten damals noch die Erfahrungen aus der Praxis, und es war nicht absehbar, dass die Insolvenzordnung zu der Erfolgsgeschichte werden würde, die sie definitiv geworden ist. Mit der Insolvenzordnung ist der Sanierungsgedanke als zentrales Element im Insolvenzrecht verankert worden, was uns als Sanierern ganz neue Möglichkeiten gegeben hat, ein kriselndes Unternehmen neu aufzustellen und zu erhalten.
Sie sprechen die Möglichkeiten der Insolvenzordnung an. Inwieweit hat sich dadurch auch die Tätigkeit von Sanierern gewandelt?
Specovius: Bis 1999 gab es zum Dreiklang aus Zerschlagung, Verwertung, dazu zählte auch der Asset Deal, und Verteilung nahezu keine Alternative. Das hat sich mit der Insolvenzordnung ein für alle Mal geändert. Der Weg eines kriselnden Unternehmens war nun nicht mehr grundsätzlich vorgezeichnet, mit der Insolvenzordnung gab und gibt es einen rechtlichen Rahmen, mit dem der Erhalt eines Unternehmensträgers zu einer realistischen Option wird. Das führt natürlich im Umkehrschluss dazu, dass die Verantwortung für Sanierer größer geworden ist, seit es die Möglichkeiten der Insolvenzordnung gibt.
Wie meinen Sie das?
Specovius: Sie müssen für sich als Sanierer in jedem Verfahren – und da macht es keinen Unterschied, ob sie in einem Regelinsolvenz-, einer Eigenverwaltung oder einem Schutzschirmverfahren tätig sind – durchgängig die Frage beantworten, inwieweit das Verfahren und damit das Unternehmen unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten weiterbetrieben und die Sanierung zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden kann. Dabei kann und darf man dann auch nicht vor harten Einschnitten zurückschrecken – etwa, wenn diese notwendig sind, um das Unternehmen zu erhalten. Es kann zum Beispiel durchaus sein, dass sie sich im Zuge einer Sanierung von einer bestimmten Anzahl an Mitarbeitenden trennen müssen, um das Unternehmen und die übrigen Arbeitsplätze zu erhalten. Die Alternative wäre, das gesamte Unternehmen abzuwickeln und alle Arbeitnehmer zu entlassen. Das sind natürlich immer Entscheidungen, die sie mit Bedacht treffen. Deshalb gehe ich auch heute noch an jede Sanierungsaufgabe mit dem notwendigen Respekt heran.
Das klingt so, als ob eine Sanierung auch mit den Verfahren und Instrumenten des Insolvenzrechts alles andere als ein Selbstläufer ist.
Specovius: Auf jeden Fall! Um eine Sanierung erfolgreich zu durchlaufen ist es immer wichtig, alle Beteiligten an einer Sanierung und ihre Interessen, aber auch ihre Sorgen ernst zu nehmen und sie den gesamten Prozess hindurch mitzunehmen. Ich beziehe das bewusst auf alle Beteiligten – da macht es für mich keinen Unterschied, ob es sich um einen Mitarbeitenden, den Geschäftsführer oder einen Gläubiger handelt. Und es geht auch darum, sowohl gute, aber gerade auch schlechte Nachrichten mit Empathie und sofern möglich auch persönlich zu überbringen. Zudem muss man sich auch bewusst sein, dass die Sanierung eines Unternehmens – wenn sie denn rechtlich und wirtschaftlich möglich ist – für sich allein auch kein Allheilmittel ist. Denn wenn die Strategie für den Neustart nach der Sanierung fehlt, nützt auch die beste Befreiung von Verbindlichkeiten und Altlasten nichts. Ein Unternehmen steht dann wirtschaftlich gesehen sehr wahrscheinlich bald wieder mit dem Rücken zur Wand.
Die Insolvenzordnung wurde in den 25 Jahren seit ihrem Inkrafttreten mehrfach angepasst. Was war aus Ihrer Sicht die bedeutendste Anpassung?
Specovius: Mit dem ESUG wurde die Eigenverwaltung aus dem Schattendasein geholt, dass sie aufgrund der hohen Hürden lange Zeit gefristet hatte. Es wurden aber nicht nur die Zugangsvoraussetzungen zur Sanierung in eigener Regie vereinfacht, auch die Planbarkeit wurde verbessert, da die Eigenverwaltung nun bereits im vorläufigen und nicht mehr erst im eröffneten Verfahren Monate später angeordnet wurde. Das ist gerade auch bei Sanierungen im internationalen Umfeld nicht zu unterschätzen, die auch hierzulande immer häufiger werden. Das ESUG hat dafür gesorgt, dass sich Deutschland als Sanierungsstandort im europäischen, aber auch im globalen Wettbewerb definitiv nicht verstecken muss. Zudem kam das Schutzschirmverfahren als zusätzliche Sanierungsoption hinzu, bei der der Insolvenzplan das Sanierungsmittel der ersten Wahl ist und die explizit auf den Erhalt des Unternehmens abzielt. Der Vorteil aller Verfahren des Insolvenzrechts ist, dass mit ihnen eine finanzwirtschaftliche und gleichzeitig eine operative Sanierung möglich ist. Bei rein finanzwirtschaftlichen Sanierungen bietet hingegen auch das StaRUG viele Gestaltungsmöglichkeiten.
Wie sieht die Zukunft der Insolvenz- und Sanierungsverfahren aus?
Specovius: Wir erleben derzeit eine Normalisierung des Insolvenzgeschehens. Dazu gehört auch, dass seit dem 1. Januar 2024 die Insolvenzantragspflicht wieder in vollem Umfang greift. Der Anstieg der Insolvenz-Zahlen dürfte sich auch in diesem Jahr fortsetzen. Von einer Insolvenzwelle sind wir gleichwohl weit entfernt. Insolvenzen und Sanierungen gehören zum Wirtschaftsleben genauso dazu wie Unternehmensgründungen oder -nachfolgen. Künftig dürfte der Instrumentenkoffer für Sanierer noch größer werden. Denken Sie etwa an das Pre Pack-Verfahren, das von der EU im Zug der Kapitalmarktunion geplant ist. Dadurch könnte etwa die Übernahme und damit die Fortführung eines Unternehmens in einem Insolvenz- und Sanierungsverfahren beschleunigt und damit verbessert werden. Ich würde mir aber auch wünschen, dass das Schutzschirmverfahren hierzulande stärker als bislang als eigenständiges Verfahren betrachtet und auch als solches ausgestaltet würde.
Was sollte beim Schutzschirmverfahren geändert werden?
Specovius: Wenn das Schutzschirmverfahren nach der Eröffnung etwa zu einem Schutzschirmhauptverfahren würde, dürfte das meiner Erfahrung nach stark zur Akzeptanz des Verfahrens beitragen – und damit grundsätzlich auch dazu, dass mehr Unternehmer und Geschäftsleiter möglichst früh die Sanierung mit Hilfe der Verfahren und Instrumente des Insolvenzrechts zumindest als Option ansehen. Ein professionell vorbereiteres und frühzeitig angegangenes Verfahren bietet immer die Chance auf einen nachhaltigen Neustart des Unternehmens. Folgeschäden wie etwa negative Auswirkungen auf das Privatleben oder Vermögen eines Geschäftsführers oder eines geschäftsführenden Gesellschafters, der einen Insolvenzantrag stellt, lassen sich zudem durch Vorsorge vermeiden.
Sie beziehen sich auf das Stigma des Scheiterns und Versagens.
Specovius: Ja, eine Insolvenz wird immer noch als Makel angesehen, und es wird versucht, sie unter allen Umständen zu vermeiden. Natürlich ist eine solche Situation für keinen Unternehmer und Geschäftsmann erstrebenswert. Aber im Fall der Fälle sollte ich mir eben rechtzeitig Hilfe holen. Wenn ich eine Erkältung habe und sie mit den Hausmitteln auch nach ein paar Tagen nicht besser wird, gehe ich ja auch zum Arzt, bevor sich die Erkältung zur Lungenentzündung ausgeweitet hat.
Der Interviewpartner
Detlef Specovius
ist Fachanwalt für Insolvenzrecht bei der bundesweit vertretenen Kanzlei Schultze & Braun. Er ist seit 1993 als Insolvenzrechtler tätig – zunächst mehrere Jahre als Konkurs- und Insolvenzverwalter, inzwischen ist er jedoch ausschließlich in Eigenverwaltungs- oder Schutzschirmverfahren auf Unternehmensseite tätig – etwa als Restrukturierungsbeauftragter oder Generalbevollmächtigter. Zu seinen bekanntesten Verfahren gehören die Modeunternehmen Esprit und Bonita, die Fluggesellschaft Condor, die Werkstattkette A.T.U. und der Automobilzulieferer Saargummi