Wer anfechten will, muss sorgfältig arbeiten
Damit die Sorgfaltsanforderungen bei Anfechtungsansprüchen bei Insolvenzverwaltern nicht zu Sorgenfalten führen, müssen sie die Grundsätze im Blick haben und einhalten, die der BGH 2016 festgelegt hat. Das OLG Brandenburg hat diese Rechtsprechung nun aufgegriffen und die Grundsätze konkretisiert.
Die Sorgfalts-Grundsätze, zu denen der BGH vor fünf Jahren (IX ZR 224/15, NZI 2017, 102 mit zust. Anm. Baumert, EWiR 2017, 147) grundlegend entschieden hat, besagen, dass ein Insolvenzverwalter potentielle Ansprüche geordnet und zeitlich gestaffelt prüfen und dazu insbesondere die Buchhaltung der Schuldnerin durcharbeiten muss, wenn er Insolvenzanfechtungsansprüche auch noch drei Jahren nach Insolvenzeröffnung oder später geltend machen will.
Ist ein Insolvenzverfahren umfangreich, erfüllt ein Verwalter die Sorgfaltsanforderungen, wenn er die Suche nach etwaigen Anfechtungsansprüchen strukturiert:
- Zunächst sollte er die Buchhaltung der Schuldnerin nach inkongruenten Zahlungen im letzten Monat vor Antragstellung durchforsten – insbesondere an die institutionellen Gläubiger.
- Sodann sollte er die Prüfung der Buchhaltung auf Zahlungen in den letzten drei Monaten vor Antragstellung ausweitet und in der Prüfung anschließend immer weiter zurückgehen.
Unterlässt der Insolvenzverwalter dies, so handelt er im Sinne des § 199 Abs. Nr. 2 BGB grob fahrlässig.
Im Sommer 2021 hat das OLG Brandenburg mit einer Entscheidung (OLG Brandenburg, Urteil vom 21.7.2021 – 7 U 134/19 (LG Cottbus)) die Maßstäbe des BGH konkretisiert. Ein Insolvenzverwalter forderte als Kläger „aufgrund insolvenzrechtlicher Anfechtung“ einen Betrag von der Beklagten, den diese aufgrund einer Forderung erlangt hatte, die ihr die Insolvenzschuldnerin abgetreten hatte. Die Klage hatte der Insolvenzverwalter Ende 2017 erhoben – rund achteinhalb Jahre nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Frühjahr 2009.
(K)eine Verjährung der Anfechtungsansprüche
In erster Instanz erging ein Versäumnisurteil. Auf die Berufung der Beklagten hin wurde das Versäumnisurteil jedoch aufgehoben, und die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass der Anspruch des Insolvenzverwalters seit dem Jahresende 2013 verjährt sei. Ohne grobe Fahrlässigkeit hätte er spätestens im Jahre 2010 von allen Umständen Kenntnis erlangt, die den Rückforderungsanspruch begründen (§ 146 InsO, § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Die erst Ende 2017 eingereichte Klage habe die dreijährige Verjährungsfrist seit 2010 nicht hemmen können.
Grundsätzlich ist einem Insolvenzverwalter grobe Fahrlässigkeit anzulasten, wenn er einem sich aufdrängenden Verdacht nicht nachgehe und auf der Hand liegende erfolgversprechende Erkenntnismöglichkeiten nicht ausnutze oder er sich die Kenntnis in zumutbarer Weise ohne nennenswerte Mühen und Kosten beschaffen könnte (BGH, NZI 2015, 734 Rn. 10).
So sei es auch im Fall vor dem OLG Brandenburg. Dem klagenden Insolvenzverwalter seien zwei schwerwiegende Unterlassungen vorzuhalten:
- Er hätte einerseits die Forderungsanmeldungen gründlicher auswerten müssen.
- Er hätte sich einen besseren Überblick über die Bewegungen auf allen Bankkonten in den besonders anfechtungsinteressanten Zeiträumen des letzten Monats und der letzten drei Monate vor dem Insolvenzantrag verschaffen müssen (Urteil Rn. 18).
Grobe Fahrlässigkeit
Wenn man die eingangs aufgeführten Sorgfalts-Grundsätze des BGH für umfangreiche Verfahren auch auf weniger umfangreiche Verfahren anwendet – wobei der Insolvenzverwalter dann im Rahmen einer sekundären Darlegungslast dazu vorzutragen hat, wie die Verfahrensabwicklung erfolgt ist (Baumert, EWiR 2017, 147, 148) – liegt im Fall vor dem OLG Brandenburg grobe Fahrlässigkeit vor.
Die ist gegeben, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich groben Maß verletzt wird und auch ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden und das nicht beachtet wurde, was jedem einleuchten muss (Palandt/Ellenberger, BGB 80. Aufl. 2021, § 199 Rz. 39 m. N. der BGH-Rechtsprechung).
Die vom OLG Brandenburg festgestellten Unterlassungen sind bereits nach dieser allgemeinen Definition grob fahrlässig: Die Forderungsanmeldungen sei nicht gründlich ausgewertet worden (Urteil Rn. 18). Zudem habe sich der Insolvenzverwalter insgesamt keinen hinreichenden Überblick über die Bewegungen auf allen Bankkonten verschafft (Urteil Rn. 18).
Sorgfalt bei Anfechtungsansprüchen
Es zeigt sich einmal mehr, dass die Sorgfalts-Grundsätze des BGH für Insolvenzverwalter maßgeblich sind, wenn sie Anfechtungsansprüche durchsetzen wollen. Die Entscheidung des OLG Brandenburg liefert Hinweise, worauf Insolvenzverwalter dabei besonders achten sollten – und das, auch wenn es sich – entgegen der Rechtsauffassung des OLG – im vorliegenden Fall nicht um eine Verjährung von Anfechtungsansprüchen handelt.
Der Insolvenzverwalter macht die Anfechtbarkeit der Verrechnung des Betrages auf dem Kontokorrentkonto des Schuldners bei der beklagten Bank geltend. Es handelt sich damit um einen Fall gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Da die Aufrechnung in einem solchen Fall unzulässig ist, macht der Insolvenzverwalter also einen Anspruch geltend, der ohne Verrechnung weiterhin besteht. Die Verjährung richtet sich aber auch in diesem Fall nach § 146 InsO, nachdem § 146 Abs. 1 InsO analog auf Forderungen anwendbar ist, die wegen Unwirksamkeit der Aufrechnung bzw. Verrechnung gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO geltend gemacht werden (BGH, NZI 2007, 31). Es gilt somit auch hier die Regelverjährung von drei Jahren (§ 195 BGB), wiederum beginnend ab Schluss des Jahres in dem Kenntnis oder grobe fahrlässige Unkenntnis vom Anspruch vorlag (§ 199 I BGB).Wenn der Insolvenzverwalter im Fall vor dem OLG Brandenburg sich also an den Sorgfalts-Grundsätzen orientiert hätte, hätte er durchaus Chancen gehabt, seine Anfechtungsansprüche gegen die Beklagte noch durchzusetzen.
Prof. Dr. Andreas J. Baumert
ist Partner bei Schultze & Braun. Spezialgebiete des Fachanwalts für Handels- und Gesellschaftsrecht sind unter anderem die Geltendmachung oder die Abwehr von Insolvenzanfechtungen sowie der rechtliche Umgang mit vertraulichen Informationen in Insolvenzverfahren und bei Rechtsstreitigkeiten.