StaRUG und EuInsVO: Rechtssicherheit durch EU-weite Anerkennung
Victoire Mengin und Dr. Johannes Heck von Schultze & Braun erläutern, warum die EU-weite Anerkennung von StaRUG-Restrukturierungen und die daraus resultierende Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen von Vorteil sind und welche Besonderheiten sie beachten sollten.
Die deutsche Wirtschaft ist traditionell exportorientiert. Viele deutsche Unternehmen unterhalten Lieferbeziehungen oder haben Niederlassungen und Vermögen in einem oder mehreren der insgesamt 27 EU-Mitgliedsstaaten. Daher ist es für sie von Vorteil, dass bei Restrukturierungen und Sanierungen das StaRUG (präventive, vorinsolvenzliche Restrukturierung), aber auch im Falle der Insolvenz Regelinsolvenzverfahren und Eigenverwaltungsverfahren – insbesondere in der Variante des Schutzschirmverfahrens – EU-weit anerkannt werden können.
Das StaRUG sieht seit dem 17. Juli 2022 die Möglichkeit der öffentlichen Bekanntmachung eines Restrukturierungsvorhabens vor, wonach nunmehr insbesondere eine in Deutschland erreichte Gestaltung von Gläubigerrechten mittels eines Restrukturierungsplans über die Europäische Insolvenzverordnung (EuInsVO) auch gegen planbetroffene Gläubiger in anderen EU-Mitgliedsstaaten durchgesetzt werden kann. Die EuInsVO legt fest, dass öffentliche Gesamtverfahren, die innerhalb der EU eröffnet werden, automatisch im ganzen EU-Raum anerkannt werden, ohne dass es einer vorhergehenden Gerichtsentscheidung braucht.
Die damit verbundene grenzüberschreitende Rechtssicherheit ist für deutsche Unternehmen in der präventiven Restrukturierung von genauso großer Bedeutung wie im Rahmen von Regelinsolvenzverfahren und Eigenverwaltungsverfahren, für die die EuInsVO bereits seit dem 31. Mai 2002 in der EU die Grundlage für die Anerkennung und Vollstreckung bildet. Denn Restrukturierungen und Insolvenzverfahren – gerade größerer Unternehmen – finden inzwischen nur noch selten national, sondern zumeist international über Ländergrenzen hinweg statt. Wichtig ist, dabei neben den Besonderheiten der Anerkennung mittels der EuInsVO in inhaltlicher Hinsicht auch die Regelungen im Blick zu haben, die etwa für Konzerne bei grenzüberschreitenden Verfahren gelten.
Vertraulichkeit oder Öffentlichkeit
Zu den Besonderheiten des StaRUG gehört es, dass jedes Unternehmen, das eine präventive Restrukturierung angehen will, zuvor für sich die Frage zu beantworten hat, ob das Verfahren vertraulich oder öffentlich ablaufen soll. Beide Varianten bieten sowohl Vor- als auch Nachteile, die es im jeweiligen Fall abzuwägen gilt. Einen zentralen Aspekt im Rahmen dieser Abwägung stellt dabei die Frage der internationalen Anerkennung der Verfahrensentscheidungen dar.
Eine rechtssichere Anerkennung innerhalb der EU ist dabei gegenwärtig nur bei öffentlichen Restrukturierungsvorhaben möglich, da in diesem Fall der automatische Anerkennungsmechanismus der EuInsVO greift. Bei vertraulichen Restrukturierungsvorhaben, die nicht von der EuInsVO erfasst sind, ist hingegen umstritten, ob die Anerkennung im Ausland nach der Brüssel Ia-VO (VO 1215/2012) oder nach dem internationalen Privat- und Verfahrensrecht der betroffenen Staaten zu erfolgen hat – was unter Umständen langwierige Anerkennungsverfahren und Rechtsstreitigkeiten mit allen für die Restrukturierung verbundenen Unsicherheiten nach sich ziehen kann.
Gerade größere Unternehmen, die über die Ländergrenzen hinweg agieren, werden im Rahmen der Abwägung zwischen Vertraulichkeit und Öffentlichkeit zu berücksichtigen haben, ob sie spätere Verfahrensentscheidungen gegen Planbetroffene innerhalb der EU gegen Gläubiger durchzusetzen haben werden, die vom Restrukturierungsplan betroffen sind. Ist das der Fall, spricht vieles dafür, die Restrukturierung im Register unter www.restrukturierungsbekanntmachungen.de vom Gericht öffentlich bekanntmachen zu lassen. Gleichzeitig ist die Möglichkeit des vertraulichen Ablaufs eines StaRUG-Verfahrens regelmäßig ein starker Anreiz für Unternehmen, auf die präventive Restrukturierung im Vorfeld eines Insolvenzverfahrens und des damit einhergehenden Stigmas zurückzugreifen.
Individuelle Entscheidung und gut konzeptionierte Planung notwendig
Die Entscheidung pro oder contra öffentliche Bekanntmachung müssen Unternehmen mithilfe ihrer Restrukturierungsberater individuell im jeweiligen Einzelfall treffen. Entscheidet sich das Unternehmen für die öffentliche Bekanntmachung des Restrukturierungsvorhabens, muss es einen entsprechenden Antrag stellen, bevor das Gericht die erste Entscheidung im Verfahren getroffen hat. Dies verlangt eine gut konzeptionierte Planung des Verfahrens. Zwei Beispiele, die bei der Entscheidung helfen können, sind:
- Wenn sich bei einem Unternehmen der Restrukturierungsbedarf auf eine bestimmte Gruppe von Gläubigern in Deutschland beschränkt, und die anderen nach Möglichkeit nicht beteiligt werden sollen – etwa, wenn ein Händler eine Vielzahl von Lieferanten und Kunden hat, will er den nicht betroffenen Teil durch die Veröffentlichung nicht verunsichern. Andernfalls muss der Händler damit rechnen, dass auch die eigentlich nicht betroffenen Lieferanten sich an ihn wenden und ihre Verträge anpassen wollen – etwa betreffend die künftigen Zahlungsbedingungen. In einem solchen Fall ergibt es Sinn, die StaRUG-Restrukturierung vertraulich ablaufen zu lassen.
- Hat ein Unternehmen Kapitalgeber oder Drittsicherheiten im Ausland, die es für ein erfolgsversprechendes Restrukturierungsvorhaben in das Verfahren einbinden will – oder wenn das Unternehmen eine größere Anzahl an Gläubigern im Ausland hat, gegen die es möglicherweise den Restrukturierungsplan mit seinen Wirkungen im Falle deren Ablehnung zwangsweise durchzusetzen hat, dann braucht es die automatische Anerkennung der Instrumente des StaRUG via EuInsVO, um eine rechtssichere präventive Restrukturierung durchführen zu können. In einem solchen Fall ergibt es Sinn, die StaRUG-Restrukturierung öffentlich ablaufen zu lassen.
Vereinfachung grenzüberschreitender Verfahren
Unabhängig von der jeweiligen Entscheidung zwischen Vertraulichkeit oder Öffentlichkeit gilt: Die mit einer EU-weiten Anerkennung der StaRUG-Verfahren verbundene grenzüberschreitende Rechtssicherheit ist gerade für die stark exportorientierte deutsche Wirtschaft von großer Bedeutung – wie insgesamt die EuInsVO, die seit ihrem Inkrafttreten am 31. Mai 2002 die gemeinsame verfahrensrechtliche Grundlage für grenzüberschreitende Insolvenzen in der EU darstellt und solche Verfahren zweifellos erleichtert.
Neben den Anerkennungsfragen regelt die EuInsVO allen voran die internationale Gerichtszuständigkeit sowie das auf das Verfahren anwendbare Recht. Für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind hiernach die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat (Center of main interest – der sogenannte COMI) – regelmäßig ist das der Sitz der Zentrale des Unternehmens. Ein so eröffnetes Insolvenzverfahren sperrt die Eröffnung eines weiteren Verfahrens über das Vermögen desselben Schuldners in einem anderen EU-Mitgliedstaat. In dem Insolvenzverfahren findet grundsätzlich das nationale Recht des Staates Anwendung, in dem Verfahren eröffnet wurde. Ausnahmen hiervon sind jedoch insbesondere hinsichtlich dinglicher Rechte (z.B. Eigentum und Pfandrechte) sowie des Arbeitsrechts vorgesehen.
Einheitliche Regelungen innerhalb der EU
Die EuInsVO bildet in der EU die verfahrensrechtliche Grundlage für grenzüberschreitende Restrukturierungs- und Insolvenzverfahren und wird das auch weiterhin tun. 2015 wurde die EuInsVO umfassend reformiert. Unter anderem wurden Regelungen für grenzüberschreitende Konzerninsolvenzverfahren und zur besseren Kompatibilität von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren aufgenommen. Zudem wurden einige Vorschriften zur Zuständigkeit des eröffnenden Gerichts ergänzt, um missbräuchliches Forum Shopping zu verhindern – also den Versuch, den Sitz eines Unternehmens im Vorfeld an einen insolvenzrechtlich günstigeren EU-Mitgliedstaat zu verlegen und sich so einen Vorteil gegenüber den Gläubigern zu verschaffen.
Um Insolvenzverfahren innerhalb der EU künftig noch planbarer und rechtssicherer zu machen, treibt die EU zudem die materiellrechtliche Harmonisierung der nationalen Insolvenzrechte hinsichtlich bestimmter Aspekte weiter voran (insbesondere Pre-pack-Verfahren und Insolvenzanfechtung). Nach der Restrukturierungsrichtlinie 2019/1023 arbeitet die EU gegenwärtig an der Verabschiedung einer neuen insolvenzrechtlichen Richtlinie, der sogenannten Insolvency III.
Die Autoren: Victoire Mengin, LL.M. ist als Rechtsanwältin in Frankreich zugelassen. Dr. Johannes Heck ist Rechtsanwalt und als europäischer Rechtsanwalt zudem in Italien zugelassen. Beide sind im internationalen Bereich von Schultze & Braun tätig – Mengin an den Standorten Achern und Straßburg, Heck in Bologna.