Internationaler Vermögensarrest und Schadenersatz: Recht haben – Geld bekommen

23. Oktober 2024 Blog Insolvenzrecht Restrukturierung und Sanierung Wirtschaftsrecht

Im Interview zum Thema internationaler Vermögensarrest und Schadenersatz sprechen Dr. Michael Rozijn und Dr. Dirk Herzig von Schultze & Braun über den Wert von Formel 1-Autos, Verkehrsflugzeugen und Investitionsabkommen, aber auch darüber, warum die richtige Wahl von Ort, Zeit und Gegenstand eines Arrests oder einer Pfändung ein nicht zu unterschätzender Erfolgsfaktoren sind.

 

Herr Rozijn, Herr Herzig, wie viel ist ein Formel 1-Auto wert?

Herzig: Sie beziehen ganz offensichtlich sich auf den Fall Haas und die Arretierung der Ausrüstung des US-amerikanischen Rennstalls Ende August 2024 auf der Rennstrecke im niederländischen Zandvoort durch den russischen Sponsor Uralkali. Ein Schiedsgericht hatte hier ja entschieden, dass der Sponsorenvertrag zwischen Haas und Uralkali zwar rechtmäßig gekündigt wurde, der Rennstall aber noch Gelder in Höhe von zehn Millionen Euro schuldig sei. Ein Formel 1-Auto ist nun auch in der Tat zwischen zwölf und 20 Millionen Dollar wert. Die Forderung von Uralkali lässt sich damit also ohne Probleme begleichen. Jedoch lassen sich ohne Rennwagen schlecht Formel 1-Rennen gewinnen. Das dürfte sich auch der russische Sponsor gedacht haben. 

Rozijn: Eine Beschlagnahme von Vermögensgütern wird wie im Fall Haas-Uralkali häufig und gerne eingesetzt, um den eigenen Anspruch durchzusetzen. Hier lag auch schon ein Schiedsgerichtsurteil vor, aus dem man vorgehen konnte. In den Niederlanden ist über den „conservatoir beslag“ sogar vor einer Klageerhebung eine Beschlagnahme von Vermögensgegenständen möglich. Damit sichert man sich wertige Vermögensgegenstände des Gegners, um sie zu versilbern, wenn die Klage erfolgreich ist. Häufig reicht diese Beschlagnahme aber auch schon aus, um den Gegner zur Zahlung zu bewegen oder auch, um sich zu einigen. So wie bei Haas: Der Rennstall zahlte die neun Millionen, und konnte zum nächsten Rennen ins italienische Monza aufbrechen, ohne dass Uralkali noch die Verwertung der beschlagnahmten Vermögensgegenstände betreiben musste. Eine Beschlagnahme ist also ein effizientes Mittel, und kann zur richtigen Zeit eingesetzt, für viel Bewegung beim Zahlungsschuldner sorgen. 

 

Gibt es die Möglichkeit eines Arrestes oder einer Pfändung eines Vermögensteils auch im deutschen Recht, um Forderungen einzutreiben?

Rozijn: Ja, auf jeden Fall – jedoch zumeist erst, wenn ein rechtskräftiges Zahlungsurteil vorliegt. Die Pfändung dient dann der Vollstreckung und führt über die weitere Verwertung zum Ziel. Aber auch hier ist die richtige Wahl von Ort, Zeit und Gegenstand der Pfändung ein nicht zu unterschätzender Erfolgsfaktor. 

Herzig: Und eine solche Pfändung kann dann durchaus spektakulär erfolgen. Denken Sie etwa an den Sommer 2011, als der Insolvenzverwalter von Walter Bau die Boeing 737 des thailändischen Kronprinzen noch auf dem Rollfeld des Münchner Flughafens festsetzen ließ. Sein Ziel: Das Flugzeug dazu zu nutzen, eine offene Forderung über 30 Millionen Euro plus Zinsen einzutreiben, was – wie wir alle wissen – letztlich auch gelang. Der Druck, der durch die Pfändung rechtlich, finanziell und öffentlichkeitswirksam aufgebaut wurde, zeigte Wirkung. Nach nur wenigen Tagen lag eine Bankbürgschaft über insgesamt 38 Millionen Euro vor, und der Kronprinz konnte wieder abheben.

 

Welche Bedingungen müssen denn erfüllt sein, um Schadenersatzforderungen durchsetzen zu können?

Rozijn: Nun, wenn es um den „conservatoir beslag“ nach niederländischem Recht geht, muss gegenüber dem Gericht nur die Forderung glaubhaft gemacht werden. Der Gläubiger muss das Gericht also durch das Vorbringen von Dokumenten als Beweise davon überzeugen, dass die Forderung mit großer Wahrscheinlichkeit besteht. Dies geschieht kurzfristig binnen weniger Tage und ohne vorherige Beteiligung des Schuldners. Mit dem Beschluss des Gerichts kann der Gläubiger dann Vermögensgegenstände durch den Gerichtsvollzieher beschlagnahmen und sichern lassen, wenn sich diese in den Niederlanden befinden. Im Fall Haas/Uralkali lag ja bereits ein Schiedsgerichtsurteil vor, aus dem Uralkali dann die Vollstreckung betrieben hat. Das Spektakuläre hier war, dass die Ausrüstung von Haas gerade in den Niederlanden war, weil der US-Rennstall am Formel 1-Rennen in Zandvoort teilgenommen hat und Uralkali nach niederländischem Vollstreckungsrecht die kurze Zeit des Aufenthaltes zur Vollstreckung nutzen konnte. Da Haas auf das Auto angewiesen war, musste Uralkali auch nicht lange warten und das Auto verwerten, sondern nur die bloße Beschlagnahme reichte aus, um Haas zur Zahlung zu bewegen.

 

Haas hat die Forderung von Uralkali beglichen und konnte zum Rennen nach Monza reisen. Wie wäre es gelaufen, wenn Uralkali die gesicherten Vermögenswerte hätte verwerten wollen?

Rozijn: Bei einer Pfändung aus einem Urteil muss der Gläubiger sowohl in den Niederlanden als auch in Deutschland nach der Beschlagnahme den Vermögensgegenstand über den Gerichtsvollzieher verkaufen lassen. Im Regelfall erfolgt dies durch eine öffentliche Versteigerung, in besonderen Fällen auch durch freihändigen Verkauf. Für die Verwertung muss beim „conservatoir beslag“ eine vollständige Klage eingereicht und ein Urteil erzielt werden, um dann diese Verwertung durchzuführen. Der Charme besteht hier aber darin, dass man die Klage führt und weiß, dass ein Vermögensgegenstand „eingefroren“ ist und auf die Verwertung wartet. Nach deutschem Recht muss im Regelfall vor der Pfändung von Vermögenswerten immer erst eine Klage erhoben werden, und erst nach einem vollstreckbaren Urteil kann man sich im Rahmen der Zwangsvollstreckung um die Beschlagnahme und Pfändung verwertbarer Vermögensgegenstände kümmern. Es zeigt sich also, wie wichtig es ist, die Besonderheiten des jeweiligen Rechtssystems zu kennen, in dem man als Gläubiger seinen Anspruch durchsetzen muss, um seine Forderung einzutreiben. Diese spielen aber auch bei den Themen Sicherheiten und Risikovorsorge eine große Rolle.

Herzig: Wichtig ist zudem: Forderungen können sich auch ergeben und durchgesetzt werden, wenn Aufträge vertraglich vereinbart wurden, das ausführende Unternehmen bereits investiert hat, der Auftraggeber dann aber einen Rückzieher macht. Das lässt sich auch gut am Beispiel von Unionmatex zeigen. Das Chemnitzer Ingenieurbüro, bei dem ich 2014 zum Insolvenzverwalter eingesetzt worden bin, hatte 2008 mit einem turkmenischen Staatsunternehmen die Errichtung von fünf Mühlenkomplexen, zwei Bäckereien und Einkaufszentren im Land mit einem Gesamtwert von mehr als 144 Millionen Euro vereinbart. Das Projekt wurde jedoch vor allem durch Maßnahmen der staatlichen Getreidebehörde verzögert und vereitelt. Allen Einigungsversuchen zum Trotz wurde Unionmatex 2012 des Landes verwiesen und musste Ausrüstung, Maschinen und Dokumente in Turkmenistan zurücklassen. Ein Schlag, von dem sich das Unternehmen nicht mehr erholen konnte: 2014 musste Unionmatex Insolvenzantrag stellen.

 

Das klingt so, als würde die Insolvenz nicht das Ende des Schutzes von Investitionen bedeuten. 

Herzig: In der Tat, 2018 habe ich als Unionmatex-Insolvenzverwalter Turkmenistan auf Basis des deutsch-turkmenischen Investitionsabkommens von 1997 vor dem ICSID-Schiedsgericht in Washington auf Schadenersatz verklagt. Der Vorwurf: Der turkmenische Staat war durch massive Einflussnahmen maßgeblich für die Insolvenz verantwortlich. Im Herbst 2023 entschied das Tribunal, dass Turkmenistan mit seinem Handeln das BIT verletzt hat und daher Schadenersatz zahlen muss. Alle Widerklagen von Turkmenistan hat das Tribunal abgewiesen.

 

Zusammengefasst: Worauf ist bei Vermögensarrest und Schadenersatz zu achten?

Rozijn: Es zeigt sich: Mal muss es bei Vermögensarrest und Schadenersatz wie in der Formel 1 schnell gehen, mal führt wie beim Mühlstein konstanter und langer Druck zum Ziel, wenn es um „Recht haben – Geld bekommen“ geht. Wichtig ist aber in jedem Fall, die Besonderheiten des jeweiligen Rechtsystems zu kennen und zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein – sei es auf der Rennstrecke oder im Gericht. 

Die Interviewpartner

Dr. Michael Rozijn

ist Rechtsanwalt bei Schultze & Braun. Er ist Leiter des Dutch Desk der Kanzlei.

Dr. Dirk Herzig

ist Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht bei Schultze & Braun.