Ein subjektiver Phönix
„Geschenkt ist geschenkt, wiederholen ist gestohlen“, so sagt der Volksmund. Das sieht der BGH jedoch anders – Stichwort Schenkungsanfechtung. Was 2009 mit der Phönix-Rechtsprechung begann wurde seitdem mit der Dogmatik der Subjektivität fortgesetzt – mit großen Auswirkungen für Insolvenzverwalter.
§ 134 der Insolvenzordnung besagt, dass eine Leistung eines Schuldners anfechtbar ist, wenn sie unentgeltlich erfolgt. Bei Geldanlagen auf dem grauen Kapitalmarkt spielt die sogenannte Schenkungsanfechtung nicht nur für Kapitalanleger, sondern gerade auch für Insolvenzverwalter eine wichtige Rolle – besonders, wenn die Geldanlage als Schneeballsystem organisiert war.
Die Ausschüttungen an die Alt-Anleger werden dann mit dem Geld neuer Anleger bestritten, und es gibt oftmals keine realen, sondern nur Scheingewinne. Gehen solche Gesellschaften in die Insolvenz, handelt es sich dabei meist um eine Kriminalinsolvenz. Eine der maßgeblichen Aufgaben eines Insolvenzverwalters ist es in einem solchen Fall, die Ansprüche der Gläubigergesamtheit zu schützen. Dafür muss der Insolvenzverwalter unter anderem individuell klären, ob die Anleger Anspruch auf die Gewinn-Ausschüttungen gehabt haben, die sie erhalten haben. Ist das nicht der Fall, kann der Insolvenzverwalter die Ausschüttungen zurückfordern, da sie ohne Rechtsgrundlage erfolgt sind, wenn der Schuldner wusste, dass der Anleger kein Anspruch auf Zahlung hatte (bewusste Zahlung auf eine Nichtschuld).
Individuelle Prüfung notwendig
Jedoch muss jeder Fall individuell geprüft werden. Und das kann nicht nur aufgrund der Vielzahl von Anlegern, die es in solchen Fällen in der Regel gibt, sondern auch vor dem Hintergrund der sich regelmäßig ändernden Rechtsprechung durchaus komplex sein.
Im Jahr 2009 hat der BGH im Zuge der Kriminalinsolvenz von Phönix Kapitaldienst (bei der der Autor für den Insolvenzverwalter von Schultze & Braun tätig war) zum ersten Mal entschieden, dass Ausschüttungen an Anleger auf Basis von Scheingewinnen als unentgeltliche Leistungen zu sehen und daher anfechtbar sind (BGH, Urteil vom 11.12.2008 – IX ZR 195/07). Wichtig ist, dass diese Anfechtbarkeit nicht nur Ausschüttungen an Anleger, sondern auch Provisionen umfasst, die Finanzmakler im Zusammenhang mit Schneeballsystemen erhalten haben, ohne dass sie einen Anspruch darauf gehabt hätten (BGH, Hinweisbeschluss vom 21. 12. 2010 - IX ZR 199/10; wohl einschränkend BGH, Urteil vom 10.06.2021 – IX 157/20)
Vom Grundsatz her hat diese Rechtsprechung bis heute Bestand. Die Karlsruher Richter haben sie aber nach und nach konkretisiert. So wurde zum Beispiel 2017 klargestellt, dass nur bewusste Zahlungen auf eine sogenannte Nichtschuld anfechtbar sind (BGH, Urteil vom 20.4.2017 – IX RZR 252/16). Der Schuldner – also etwa der Geschäftsführer – muss die Zahlung, für die es keinen Rechtsgrund gegeben hat, bewusst getätigt haben (BGH, Urteil vom 1.10.2020 – IX ZR 247/19).
Nachweis und Beleg
Wenn man diese Klarstellung auf den grauen Kapitalmarkt überträgt, bedeutet das: Der Insolvenzverwalter muss nachweisen und belegen, dass zum Beispiel die Anleger eines Fonds rechtlich gesehen keinen Anspruch auf Ausschüttungen hatten und die Verantwortlichen sie trotzdem bezahlt haben – etwa, um den Anschein einer normalen Kapitalanlage zu wahren (BGH ebenda; BGH Urteil vom 22.07.2021 – IX ZR 26/20).
Bei einem solchen Nachweis und damit auch der Anfechtbarkeit der Ausschüttungen spielt das Vertragsverhältnis eine maßgebliche Rolle. Ist zum Beispiel zwischen Anleger und Fonds vereinbart, dass Ausschüttungen nur auf der Basis von realen Gewinnen vorgenommen werden, kann der Insolvenzverwalter diese anfechten. Wird dem Anleger allerdings eine Mindestausschüttung unabhängig davon garantiert, ob es diese real oder nur scheinbar gibt, sind die die Ausschüttungen nicht anfechtbar (BGH, Urteil vom 1.10.2020 – IX ZR 247/19)
Relevantes Vertragsverhältnis
Die jeweilige Vertragslage zwischen Anleger und Fonds ist aber auch mit Blick auf die aktuellen Entscheidungen des BGH im Zusammenhang mit der Schenkungsanfechtung relevant. 2020 und 2021 wurde die Phönix-Rechtsprechung mit der Dogmatik der Subjektivität fortgesetzt. Der BGH hat sich i damit befasst, welche Voraussetzungen an das Bewusstsein einer rechtsgrundlosen Zahlung gelten und was sich daraus für die Anfechtbarkeit von Ausschüttungen und/oder Provisionen ergibt.(BGH ebenda; BGH, Urteil vom 22.07.2021 – IX ZR 26/20; BGH Urteil vom 2.12.2021 – IX 112/20).
Maßgeblich ist dabei die Antwort auf die Frage, in welchem Umfang sich die handelnde Person eines Schneeballsystems bewusst war, dass die Ausschüttungen an die Anleger auf Scheingewinnen basierten. Zudem ging es dem BGH um die Frage, wann eigentlich ein Rechtsgrund für eine Zahlung wie etwa eine Ausschüttung an Anleger vorliegt, bei der es wieder auf das Vertragsverhältnis zwischen Anleger und Fonds ankommt.
Interessant ist zudem, dass der BGH bereits früh feststellt gestellt hat, dass ein Schneeballsystem als solches nicht zur Anfechtbarkeit nach § 134 führt (BGH, Urteil vom 05.07.2018 – IX ZR 139/17). Und dabei kommen auch die subjektiven Komponenten zum Tragen – zum Beispiel: Ist die Bilanz als Grundlage ausreichend, aus der die Scheingewinne ersichtlich sind, oder muss eine Kenntnis der Geschäftsführung des Schneeballsystems nachweisbar sein (BGH, Urteil vom 22.07.2021, IX ZR 26/20)? Am Ende geht es also darum, ob das Schneeballsystem bewusst betrieben wurde.
Prof. Dr. Andreas J. Baumert
ist Partner bei Schultze & Braun. Spezialgebiete des Fachanwalts für Handels- und Gesellschaftsrecht sind unter anderem die Geltendmachung oder die Abwehr von Insolvenzanfechtungen sowie der rechtliche Umgang mit vertraulichen Informationen in Insolvenzverfahren und bei Rechtsstreitigkeiten.