Alitalia startet als ITA Airways durch – oder doch nicht?
„Über den Wolken – muss die Freiheit wohl grenzenlos sein“ singt Reinhard Mey in seinem wohl bekanntesten Lied. Der Neustart von ITA Airways in Italien zeigt aber, dass es am Himmel durchaus Grenzen gibt – gerade im europäischen Zusammenhang. Alessandro Honert erläutert den Neustart im Interview.
Etwas mehr als einem Monat ist es her, dass am 14. Oktober 2021 der letzte Flug von Alitalia seinen Zielflughafen erreicht und die Fluglinie ihren Betrieb eingestellt hat. Sein Ziel erreicht hat damit auch der italienische Staat: Den Neustart des italienischen Flag-Carriers ohne den Schuldenballast der seit Jahren kriselnden Alitalia, die sich bereits seit Mai 2017 in einem Sonderinsolvenzverfahren befindet.
Herr Honert, seit dem 15. Oktober 2021 befördert die neugegründete ITA Airways, kurz für Italia Transporto Aereo, ihre Passagiere über die Wolken – quasi als „Nicht-Nachfolger“ der Alitalia. Wie kam es dazu?
Honert: ITA hat im Rahmen eines sogenannten Asset-Deals von Alitalia den Unternehmensteil Aviation erworben, der insbesondere eine Flotte von zunächst 52 Flugzeugen umfasst, mit denen ITA 45 Zielorte mit 61 Strecken bedienen wird. Bis 2022 soll die Flotte von ITA auf 78 Flugzeuge aufgestockt werden. Ferner übernimmt ITA die entsprechenden Flughafenslots und rund 2.800 Arbeitnehmer, mithin also ein Drittel der Alitalia Belegschaft.
Wie viel bezahlt ITA für die Übernahme?
Honert: Der symbolische Kaufpreis für die übertragenen Vermögenswerte beträgt 1 Euro. Dies hängt wohl auch damit zusammen, dass viele Flugzeuge der Alitalia lediglich geleast waren, Eigentum mithin nicht übergehen konnte. Auf Wert der übernommenen Aktiva sind des Weiteren die übernommen Verbindlichkeiten anzurechnen. Bis dato ist der genaue Umfang des Übergangs von Passiva nicht bekannt; ein Großteil der Verbindlichkeiten der Alitalia wird jedoch dort verbleiben, insbesondere auch die Rückzahlungsforderung aus dem Darlehen in Höhe von 900 Millionen Euro, welches der italienische Staat 2017 der Alitalia gewährt hatte.
Flugzeuge, Strecken, Arbeitnehmer! Das klingt so, als würde zwischen Alitalia und ITA eine wirtschaftliche Kontinuität bestehen.
Honert: Die EU-Kommission sieht das anders. Zum einen ist es so, dass ITA im Vergleich zu Alitalia einen deutlich reduzierten Tätigkeitsbereich haben wird. So wird ITA nicht einmal die Hälfte der Flugzeugflotte von Alitalia betreiben. Zudem wird der Schwerpunkt auf den rentablen Strecken liegen, während defizitäre Strecken aufgegeben werden. ITA wird auch nur einen begrenzten Teil der Abfertigungs- und Wartungssparte von Alitalia übernehmen können. Dieser Geschäftsbereich von Alitalia wird im Rahmen offener, transparenter sowie diskriminierungs- und bedingungsfreier Ausschreibungen veräußert. ITA darf sich daran zwar beteiligen, aber etwa beim Bodenabfertigungsgeschäft am Flughafen Rom Fiumicino nur für eine Mehrheitsbeteiligung und beim bei Alitalia verbleibenden Wartungsgeschäft sogar nur für eine Minderheitsbeteiligung ein Angebot abgeben.
Was passiert mit der Marke Alitalia?
Honert: Mitte Oktober hat ITA Airways die Rechte an der Marke Alitalia im Rahmen einer offenen, transparenten sowie diskriminierungs- und bedingungsfreien Ausschreibung erworben. Dass ITA die Marke Alitalia in einem solchen Rahmen übernommen hat, hat die EU-Kommission auch als Faktor gewertet, dass es keine wirtschaftliche Kontinuität zwischen Alitalia und ITA gibt. Gleichwohl stellt sich natürlich die Frage, wer – außer einer italienischen Fluglinie – etwas mit der Marke einer italienischen Fluglinie anfangen kann.
Wie lief die Ausschreibung ab?
Honert: Im Ausschreibungsverfahren war für die Markenrechte zunächst ein Preis von 290 Millionen Euro aufgerufen worden. In der ersten Bieterrunde gab es keinerlei Angebote, in der zweiten Runde hat lediglich ITA Airways ein Angebot abgegeben – und zwar über 40 Millionen Euro. Dieser Betrag war jedoch zu gering, damit Alitalia fällige Verbindlichkeiten und die Gehälter der Arbeitnehmer bezahlen konnte, die nicht von ITA übernommen wurden. Im Zuge von Verhandlungen wurde der Preis daher auf 90 Millionen Euro festgelegt, und ITA erhielt den Zuschlag.
Ein Beleg dafür, dass Marken auch in Insolvenzen ihren Wert haben.
Honert: Ja, eine Marke kann gerade auch in einer Insolvenz für Verkäufer und Käufer einen Wert haben. Im Fall von Alitalia dürfte die Marke jedoch auf absehbare Zeit vom Himmel verschwinden. ITA hat bereits angekündigt, dass die Marke nur vorübergehend genutzt werden soll, um in der Übergangsphase Kosten zu sparen.
Was ist mit Alitalias Treueprogramm MilleMiglia geplant?
Honert: MilleMiglia soll im Rahmen einer offenen Ausschreibung meistbietend verkauft werden. ITA ist dabei von der Teilnahme ausgeschlossen, um einen direkten Übergang von Kunden von Alitalia auf ITA zu verhindern. Die Ausschreibung soll demnächst mit einem Grundpreis von 50,56 Millionen Euro beginnen.
Wer steckt eigentlich hinter ITA Airways?
Honert: Das italienische Finanzministerium ist zu 100 Prozent Eigentümer der ITA. Die Gesellschaft, die bereits im Oktober 2020 gegründet wurde, wurde mit einem Grundkapital von 700 Millionen Euro ausgestattet. Eine Kapitalerhöhung auf bis zu 1,35 Milliarden Euro wurde der ITA bereits in Aussicht gestellt.
Das ist viel Geld vom Staat für eine privatrechtlich organisierte Fluggesellschaft. Bestehen keine Bedenken unter dem Aspekt der staatlichen Beihilfen?
Honert: Die Kommission hat festgestellt, dass die Kapitalzuführungen des italienischen Staates an ITA marktkonform sind. Die 700 Millionen Euro, mit denen das italienische Finanzministerium die Gesellschaft ausgestattet hat, sind beihilferechtlich nicht zu beanstanden, da der italienische Staat in diesem Fall nicht als Behörde handelt, sondern wie ein privater Kapitalgeber tätig wird. Das heißt, dass das Kapital zu Bedingungen gezahlt wird, die für einen marktwirtschaftlich handelnden privaten Wirtschaftsbeteiligten annehmbar wären – auch mit Blick auf die Rendite, die der italienische Staat durch sein Investment in ITA erwarten darf.
Worauf basiert diese Renditeerwartung?
Honert: Der Geschäftsplan von ITA besagt, dass die Fluggesellschaft rentabel sein wird: Ihre Geschäftsstrategie beruht auf einem verkleinerten, rentablen Streckennetz, größerer Kosteneffizienz, Digitalisierung und ökologischer Nachhaltigkeit durch eine kraftstoffeffiziente Flotte der neuen Generation mit geringeren Wartungs- und Treibstoffkosten. Auf dieser Grundlage stellte die Kommission fest, dass der erwartete interne Zinsfuß, also die Internal Rate of Return, kurz IRR, der Investition in ITA höher ist als die Eigenkapitalkosten.
Eine solch positive Planung würde wahrscheinlich jedes Unternehmen abgeben, wenn es auf der Suche nach Investoren ist.
Honert: Die Bewertung wurde durch drei unabhängige Sachverständigengutachten bestätigt, in denen verschiedene Aspekte der geplanten Investitions-Maßnahme eingehend analysiert wurden. Vor diesem Hintergrund kam die EU-Kommission zu dem Schluss, dass die Kapitalzuführungen Italiens an ITA zu Marktbedingungen erfolgen, also im Einklang mit dem Grundsatz des marktwirtschaftlich handelnden Kapitalgebers stehen und keine staatlichen Beihilfen im Sinne der EU-Beihilfevorschriften darstellen.
Sie haben erwähnt, dass sich Alitalia bereits seit 2017 in einem Insolvenzverfahren befindet. Welche Auswirkungen hat der Neustart von ITA für die Gläubiger von Alitalia?
Honert: In Italien gibt es eine Vielzahl an unterschiedlichen Insolvenz- und Sanierungsverfahren. Alitalia befindet sich in einer außerordentlichen Sonderverwaltung für Großunternehmen. Da der Kaufpreis für Alitalia einen Euro beträgt, werden die Gläubiger vom Verkauf der Alitalia-Vermögenswerte jedoch nicht profitieren. Ihnen bleibt nur die – zugegebenermaßen trübe – Aussicht auf eine Verwertung der verbliebenen Vermögenswerte der Gesellschaft, insbesondere die Abfertigungs- und Wartungssparte und Alitalias Treueprogramm MilleMiglia. Zu den Gläubigern der Alitalia gehört übrigens auch der italienische Staat, der unmittelbar nach Eröffnung der außerordentlichen Sonderverwaltung ein Darlehen in Höhe von 900 Millionen Euro gewährt hatte, um die Aufrechterhaltung des Flugbetriebs zu gewährleisten. Also: viele Gläubiger und wenig Masse.
Das ist ja leider keine Seltenheit, wenn es zu Insolvenzen kommt. Gibt es Möglichkeiten, sich vor den Risiken einer Insolvenz zu schützen?
Forderungsausfälle werden nie ganz vermieden werden können. Aber es besteht die Möglichkeit, das Risiko durch die Bestellung insolvenzfester Sicherungsrechte zu reduzieren. Hier tut sich im italienischen Kreditsicherungsrecht aktuell einiges, was gerade für deutsche Unternehmen als mögliche Gläubiger von italienischen Geschäftspartnern von Interesse ist.