Wie Unternehmen bei den Pfändungsfreigrenzen und einer BGH-Entscheidung zur Pfändbarkeit der Inflationsausgleichsprämie finanzielle Risiken vermeiden
Jährliche Erhöhung zum 1. Juli: Dr. Elske Fehl-Weileder von Schultze & Braun erläutert, worauf Unternehmen bei den neuen Pfändungsfreigrenzen und einer BGH-Entscheidung zur Pfändbarkeit der Inflationsausgleichsprämie achten sollten.
Den 1. Juli sollten sich Unternehmen am besten jedes Jahr rot im Kalender markieren. Denn dieser Stichtag spielt gerade bei der Erhöhung der sogenannten Pfändungsfreigrenzen – also des Betrages, der bei Lohn und Gehalt eines Arbeitnehmers unpfändbar ist – eine große Rolle.
Pfändbar oder nicht pfändbar?
„Sein oder nicht sein, das ist hier die Frage“ – mit diesem Satz beginnt einer der bekanntesten Monologe der Literaturgeschichte. Der Satz aus Shakespeares Hamlet wird auch heutzutage oftmals in Situationen zitiert, die für jemanden von existenzieller Bedeutung sind. Finanziell gesehen von existenzieller Bedeutung ist für Arbeitnehmer der Betrag ihrer Einkünfte, der gesetzlich gesichert ist und – etwa im Fall einer Lohnpfändung oder einer Privatinsolvenz – nicht an die Gläubiger ausgezahlt werden darf. Verschuldete Arbeitnehmer sollen dadurch ein Mindesteinkommen zur Verfügung haben, um ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familie zu decken. Der unpfändbare Betrag ist durch die Pfändungsfreigrenzen geschützt, die seit 2021 jährlich zum 1. Juli angehoben werden.
Im Umkehrschluss bedeutet das für Arbeitgeber, dass sie sich bei einer Pfändung des Einkommens eines Arbeitnehmers regelmäßig die Frage stellen müssen: „Pfändbar oder nicht pfändbar?“. Besonders relevant ist die Antwort auf diese Frage jedes Jahr zum 1. Juli, wenn die neuen Pfändungsfreigrenzen beachtet werden müssen. Denn sonst drohen Unternehmen ein erheblicher Mehraufwand oder ein finanzieller Verlust. Arbeitgeber sind dazu verpflichtet, die neuen Pfändungsfreibeträge automatisch zu beachten, und ein Arbeitnehmer kann seinen Arbeitgeber für die Differenz haftbar machen – etwa, wenn er weniger als den durch die Pfändungsfreigrenzen geschützten Betrag überwiesen bekommen hat.
Zurückfordern oder doppelt bezahlen
Der unpfändbare Betrag des Einkommens steigt zum 1. Juli 2024 um 89,47 Euro auf 1.491,75 Euro pro Monat. Überweist ein Arbeitgeber jedoch weniger als diesen Betrag – etwa auf Basis der bis zum 30. Juni geltenden Grenze von 1402,28 Euro – muss er die Differenz an den Arbeitnehmer nachzahlen. Der Arbeitgeber kann die 89,47 Euro dann nur von den Pfändungsgläubigern zurückfordern, die sie zu viel erhalten haben. Der Betrag steht allerdings in der Regel in keiner Relation zum zeitlichen Mehraufwand für die Rückforderung. Noch aufwändiger wird es, wenn der Differenzbetrag für mehrere Arbeitnehmer oder bei unterschiedlichen Gläubigern eingefordert werden muss. Die Alternative: Der Arbeitgeber verzichtet auf die Rückforderung und zahlt somit doppelt.
Das mag bei 89,47 Euro noch zu verkraften sein – allerdings erhöht sich der pfändungsfreie Grundbetrag, wenn der Arbeitnehmer Unterhaltspflichten erfüllen muss. Je nach Anzahl der unterhaltspflichtigen Personen kann der Betrag zusätzlich um mehrere hundert Euro steigen. Im Fall der Fälle kann ein Arbeitgeber also für eine beträchtliche Summe haftbar gemacht werden. Umso wichtiger ist es daher, dass Arbeitgeber die neuen Pfändungsfreigrenzen beachten.
BGH-Entscheidung zur Pfändbarkeit von Inflationsausgleichsprämie mit großer Bedeutung
Im Zusammenhang mit dem unpfändbaren Betrag ist für Arbeitgeber und Arbeitnehmer aber auch ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH – Az. IX ZB 55/23) von großer Bedeutung, das Ende Mai 2024 veröffentlicht wurde. Die Karlsruher Richter haben entschieden, dass eine Inflationsausgleichsprämie als Teil des sogenannten wiederkehrend zahlbaren Arbeitseinkommens gilt und als solches pfändbar ist. Bei der Prämie handelt sich um eine freiwillige Zahlung eines Arbeitgebers, die einmalig oder in Teilbeträgen an Arbeitnehmer ausgezahlt werden kann. Laut einer Erhebung des ifo-Instituts von Anfang Januar 2024 hatten damals bereits knapp drei Viertel der deutschen Unternehmen ihren Beschäftigten einen Inflationsausgleich bezahlt.
Bis zum 31. Dezember 2024 ist die Prämie bis zu einem Betrag von 3.000 Euro steuer- und sozialabgabenfrei. Ob eine Inflationsausgleichsprämie pfändbar ist, ist im Einkommenssteuergesetz jedoch nicht ausdrücklich geregelt. Im Fall, um den es vor dem BGH ging, hatte ein insolventer Krankenpfleger beantragt, die Unpfändbarkeit seiner Prämie feststellen zu lassen und diese freizugeben. Der Antrag des Schuldners hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg und auch der BGH beantwortete die Frage „Pfändbar oder nicht pfändbar?“ zugunsten der Pfändbarkeit.
Dr. Elske Fehl-Weileder
ist Insolvenzverwalterin bei der bundesweit vertretenen und auf Restrukturierungen, Unternehmenssanierungen und Insolvenzverfahren spezialisierten Kanzlei Schultze & Braun. Sie ist in den Niederlassungen der Kanzlei in München und Nürnberg tätig und wird von den dortigen sowie weiteren bayerischen Gerichten als Insolvenzverwalterin bestellt.