Krisen in Zeitlupe

25. September 2024 Blog Insolvenzrecht Restrukturierung und Sanierung Wirtschaftsrecht

In China gibt es seit drei Jahren eine veritable Immobilienkrise, auch der deutsche Immobilienmarkt steht schon länger unter enormem Druck. Prof. Michael Grote und Dr. Elske Fehl-Weileder ordnen die aktuelle Entwicklung ein und schauen in die Zukunft.

Frau Fehl-Weileder, Herr Grote, zahlreiche Immobilienfirmen in China sind ins Wanken geraten, seit die Regierung die Konzerne im Spätsommer 2021 dazu angehalten hat, ihre Verschuldung zu senken. In der Folge wuchs die Sorge vor einer Finanzkrise, ausgelöst durch einen aufgeblähten, hoch verschuldeten chinesischen Immobiliensektor. Drei Jahre später ist die Krise immer noch da. Wie bewerten Sie die aktuelle Situation?

Grote: Aus meiner Sicht droht weiterhin kein chinesischer Lehman-Moment. Der Regierung ist es schon beim kriselnden Immobilienriesen Evergrande gelungen, eine systemische Finanzkrise mit internationalen Auswirkungen zu verhindern. Aber anders als bei Krisen im Finanzsektor, die ja sehr schnell im Stunden- und Tagesrhythmus passieren, sind Immobilienkrisen immer Krisen in Zeitlupe. Wertpapiere an der Börse oder auch Kredite im Finanzsektors werden tageweise oder sogar in Echtzeit bewertet. Gutachter bewerten Immobilienwerte hingegen weitaus seltener neu, zudem ist es in der Buchhaltung üblich, Objekte länger mit ihrem Anschaffungspreis, als mit ihrem aktuellen Wert zu führen. Das führt dazu, dass der Markt weniger stark schwankt, kann aber grundlegende Probleme nicht verdecken. Deswegen reden wir immer noch über die Krise im chinesischen Immobiliensektor und wir werden das sehr wahrscheinlich auch noch eine ganze Weile tun.

Wieso?

Fehl-Weileder: Viele Chinesen kaufen Wohnungen, um sie nur wenige Jahre später teurer wieder verkaufen zu können oder als Altersvorsorge zu verwenden. Das liegt daran, dass es in China wenige Anlagemöglichkeiten gibt, die abgesichert sind. Die Provinzregierungen heizten die Wette an, indem sie Land an Immobilienentwickler verkauften, die dann die Bauprojekte mit Krediten finanzierten und die Wohnungen bereits in der Entwicklungsphase zum kompletten Kaufpreis veräußerten. Die privaten Schulden der Menschen stiegen, aber auch die der Entwickler, die immer neue, größere Immobilien-Projekte auflegten.

Und dann kam die „chinesische Schuldenbremse“.

Grote: Ja, allerdings stützt die chinesische Regierung den angeschlagenen Immobilienmarkt inzwischen und ermutigt Chinas Banken zu Verhandlungen mit Immobiliengesellschaften. Das Ziel ist, die Fristen für die Kreditrückzahlungen zu verlängern. Dadurch sollen im Bau befindliche Immobilienprojekte zu Ende geführt werden. Gleichzeitig sollen die Immobilienkonzernen aber ihre Schulden reduzieren oder zumindest im Rahmen halten. Das Verhältnis von Verbindlichkeiten zu Vermögenswerten darf maximal 70 Prozent betragen und die Nettoverschuldung nicht höher als 100 Prozent des Eigenkapitals sein – eine Art Schuldenbremse also. Gleichzeitig müssen die Konzerne liquide genug sein, um jederzeit kurzfristige Verbindlichkeiten begleichen zu können. Aufgelegt wurde auch ein großes Aufkaufprogramm für leerstehende Wohnungen und Büros. Mein Eindruck ist, dass die Reformen greifen – auch wenn die Krise im chinesischen Immobiliensektor natürlich immer noch da ist und uns sicherlich noch eine ganze Weile erhalten bleiben wird. Die weitere Entwicklung hängt wesentlich von der allgemeinen konjunkturellen Lage ab.

Immobilienunternehmen in finanziellen Schieflagen und leerstehende Büros gibt auch in Deutschland.

Fehl-Weileder: Ja, im letzten Jahr sind innerhalb von zehn Tagen fünf große Projektentwickler in die Insolvenz gegangen. Viele Banken ziehen sich aus der Finanzierung von Immobilien-Projektentwicklungen zurück. Das führt dazu, dass gerade kleinere und mittlere Projektentwickler Probleme haben, die Finanzierungen von bereits begonnenen oder neu geplanten Gewerbeprojekten zu stemmen. Gleichzeitig bekommt Deutschlands angespannter Wohnungsmarkt in Berlin, Hamburg, München oder Düsseldorf zusätzlichen Druck durch chinesische Käufer. Denn für die dortige Mittelschicht ist der Immobilienmarkt hierzulande angesichts der Immobilienkrise in China ein sicherer Hafen für eine Kapitalanlage – jedoch stehen die Wohnungen dann, wenn sie fertig gebaut sind, mitunter leer und damit dem hiesigen Wohnungsmarkt nicht zur Verfügung. Man kann also durchaus sagen, dass die Immobilienkrise in China sich doch nach Deutschland ausgedehnt hat – wenn auch anders als noch vor drei Jahren angenommen.

Haben wir auch auf dem deutschen Immobilienmarkt eine Krise in Zeitlupe?

Grote: Zumindest scheint es aus Sicht der wichtigsten Finanzierer so zu sein. So hat das genossenschaftliche Fondshaus Union Investment zuletzt einen milliardenschweren offenen Immobilienfonds um fast 20 Prozent abwerten müssen. Das ist der höchste Tagesverlust, den Anleger bei Immobilienfonds seit der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise im Jahr 2008 hinnehmen müssen. Der Fonds hat vor allem in Mietwohnungen investiert, deren Wert von unabhängigen Sachverständigen um mehr als 860 Millionen Euro auf knapp 4,3 Milliarden Euro heruntergestuft wurde. Das kommt daher, dass bei vielen offenen Fonds Anleger ihre Anteile zurückgeben. Um sie auszahlen, aber gleichzeitig ihre Kapitalquote halten zu können, müssen die Fonds im Fall der Fälle Immobilien verkaufen. Das dürfen die Fonds aber nur, wenn die Immobilien zu einem Preis veräußert werden, der ähnlich der internen Bewertung in der Fondsbilanz ist. Angesichts des hohen Preisdrucks und des großen Angebots im Markt, kommen die Fonds um Abwertungen nicht herum.

Welche weiteren Krisenzeichen sehen Sie?

Fehl-Weileder: Die Zahl der notleidenden Kredite, die nicht oder kaum bedient werden können, ist bei Gewerbeimmobilien nach Daten der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde auf fast fünf Prozent angestiegen, das entspricht einem Volumen von rund 13,5 Milliarden Euro. Für Banken ist es daher wichtig, sich mit Optionen zu befassen, die sie bei der finanziellen Schieflage eines Eigentümers oder einer Besitzgesellschaft haben. Gleiches gilt für weitere Lösungen für notleidende Kredite oder das Ausfallrisiko von Krediten – nicht nur bei Gewerbeimmobilien, sondern auch bei Unternehmen. 

Die Bundesregierung hat das Ziel ausgegeben, pro Jahr 400.000 Neubauwohnungen in Deutschland fertigzustellen. Wie erfolgreich waren die Projektentwickler?

Grote: Dieses Ziel konnte wegen Verzögerungen, Verteuerungen und Insolvenzen weder im Jahr 2022 noch in 2023 realisiert werden. Durch die starke Verteuerung von Darlehen und die parallel auftretende Zurückhaltung auf Käuferseite sind viele Projekte in Schieflage geraten und die Zahl der Insolvenzen verantwortlicher Projektbüros hat im vergangenen und diesem Jahr signifikant zugenommen.

Wie sind die Aussichten?

Grote: Es bleibt kompliziert. Die Homeoffice-Quote in Deutschland liegt seit knapp zwei Jahren stabil bei einem Viertel der Beschäftigten und zwei Drittel der Unternehmen. Die Firmen reduzieren daher schrittweise ihren Büroflächenbedarf. In Kombination mit wirtschaftlichen Unsicherheiten, gestiegenen Zinsen und Baukosten ist deshalb auf dem Immobilienmarkt keine schnelle Erholung in Sicht – in China wie auch in Deutschland.

Die Interviewpartner

Dr. Elske Fehl-Weileder

ist Rechtsanwältin im Bereich Internationale Insolvenzverwaltung von Schultze & Braun und Expertin für das chinesische Insolvenzrecht.

Prof. Michael H. Grote

ist Professor für Corporate Finance an der Frankfurt School of Finance & Management und Experte für die internationalen Kapitalmärkte.