Ein Gläubiger kann auf schlüssige Angaben zu einem Sanierungskonzept vertrauen

25. August 2022 Blog Restrukturierung und Sanierung

Ein schlüssiges Sanierungskonzept kann eine Anfechtung gem. § 133 InsO u.U. entfallen lassen. Mit dieser Problematik befasst sich auch die aktuelle Entscheidung des Bundesgerichtshofs.

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BGH: Schutz des Vertrauens auf schlüssige Angaben des Sanierungsberaters zum Sanierungskonzept

InsO § 133 Abs. 1 Satz 2
BGH, Urteil vom 23.06.2022 - IX ZR 75/21 (OLG Frankfurt am Main)

I. Leitsatz der Verfasserin
Erhält der Gläubiger Zahlungen auf der Grundlage eines schlüssigen Sanierungskonzepts, genügt es zur Widerlegung der Vermutung der Kenntnis des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes des Schuldners, wenn der Anfechtungsgegner konkrete Umstände darlegt und beweist, die es naheliegend erscheinen lassen, dass ihm dieser im Hinblick auf den Sanierungsversuch unbekannt geblieben ist.

Der Anfechtungsgegner darf grundsätzlich auf schlüssige Angaben des Schuldners oder des von ihm beauftragten Sanierungsberaters zum Sanierungskonzept vertrauen. Er ist nicht verpflichtet, die laufende Umsetzung des Konzepts zu überprüfen. Der Vertrauensschutz entfällt nur, wenn er erhebliche Anhaltspunkte dafür hat, dass er getäuscht werden soll oder dass das Sanierungskonzept keine Aussicht auf Erfolg hat oder gescheitert ist.

II. Sachverhalt
Der klagende Insolvenzverwalter eines Stadtwerkes macht gegen die Beklagte die Anfechtbarkeit von insgesamt drei Zahlungen auf Vergütungsansprüche für die Prüfungen von Jahres- und Konzernabschlüssen sowie Lage- und Konzernberichten nach § 133 I InsO im Zeitraum Februar bis Mai 2014 geltend.

Im Juli 2013 stellte die Beklagte im Auftrag der Schuldnerin in ihrer Liquidationsanalyse fest, dass die Schuldnerin im „Management Case“ ohne weitere Maßnahmen ab Dezember 2013 drohend zahlungsunfähig sei und verweigerte die Erteilung der Testate für die Jahresabschlüsse 2011 und 2012. Die daraufhin beauftragte Wirtschaftsprüfungs­gesellschaft erstellte für die Schuldnerin im Dezember 2013 ein Sanierungskonzept, in dem für eine Fortführungsprognose bestimmte, kumulativ zu erfüllende Voraussetzungen aufgelistet waren, darunter die Prolongation eines Darlehens. Die zuständige Bank teilte der Schuldnerin jedoch mit, dass sie dieses Darlehen nicht prolongieren werde. Die Beklagte stellte sodann im Januar 2014 im Rahmen der Präsentation ihrer Ergebnisse zum Stand der Prüfungen für das Geschäftsjahr 2012 gegenüber dem Aufsichtsrat der Schuldnerin fest, dass der Fortbestand der Schuldnerin ohne weitere Maßnahmen gefährdet sei und bestimmte Sanierungsbedingungen bislang nicht umgesetzt seien. Für ihre Leistungen erhielt die Beklagte von der Schuldnerin im Februar, März und Mai 2014 die vom Kläger angefochtenen Vergütungen.

Die Berufung gegen das stattgebende Urteil des Landgerichts hat nur wegen eines Teils der Zinsen erfolgt gehabt. Die vom Senat zugelassene Revision war erfolgreich und führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückweisung der Sache an das Berufungsgericht.

III. Rechtliche Wertung
Der BGH stellte unter Verweis auf die nach Erlass des angefochtenen Urteils erfolgte „Neu­aus­richtung“ der Rechtsprechung zur Vorsatzanfechtung (BGH, Urt. v. 6.5.2021 - IX ZR 72/20, BGHZ 230, 28 ff.; vom 3.3.2022 - IX ZR 78/20, WM 2022, 527 ff., zVb in BGHZ; vom 3.3.2022 - IX ZR 53/19, WM 2022, 589 ff.) fest, dass mit der Begründung des Berufungsgerichts weder der erforderliche Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners noch die Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Benachteiligungsvorsatz angenommen werden könne. Der Tatrichter habe dabei die jeweilige BGH-Rechtsprechung zu den Beweisanzeichen zu berücksichtigen, wobei im Falle der nur drohenden Zahlungsunfähigkeit vorgenommene Deckungshandlungen nach § 133 I InsO nur ausnahmsweise anfechtbar seien, wenn zur Kenntnis des Schuldners von der drohenden Zahlungsunfähigkeit weitere Umstände hinzutreten. Ein solches Beweiszeichen für einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz kann ein für den Schuldner erkennbar von Anfang an untauglicher oder ein im Verlauf erkennbar gescheiterter Sanierungsversuch sein, da es durch die Beratung zum Mittelabfluss ohne Profit für die Gläubiger von der Sanierungsberatung kommt.

Im Hinblick auf die Vermutung des § 133 I 2 InsO der Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners präzisiert der BGH weiter, dass zur Erfüllung der Darlegungs- und Beweislast des Anfechtungsgegners der Einwand genügt, die Zahlungen auf der Grundlage eines schlüssigen Sanierungskonzepts erlangt zu haben, wodurch der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners unbekannt geblieben ist. Demnach kann der Anfechtungsgegner grundsätzlich auf schlüssige Angaben des Schuldners oder seines beauftragten Sanierungsberaters ohne eigene Überprüfungspflicht vertrauen, solange er keine (erheblichen) Anhaltspunkte für seine beabsichtigte Täuschung, das Einstellen von Sanierungsbemühungen oder die mangelnden Erfolgsaussichten des Sanierungs­planes hat. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine bloße Sanierungshoffnung nicht genügt, andererseits ein Erfolg aber auch nicht sicher sein muss. Schließlich müssen die erhaltenen Zahlungen des Anfechtungsgegners nicht im Sanierungskonzept vorgesehen gewesen sein, sofern die Zahlungen aus der Sicht des Anfechtungsgegners mit dem schlüssigen und erfolgversprechenden Sanierungskonzept vereinbar waren und in diesem Sinne auf der Grundlage des Konzepts erbracht wurden.

IV. Praxishinweis
Mit dieser Entscheidung präzisiert der BGH seine neuere Rechtsprechung zu den subjektiven Tatbestandsmerkmalen des § 133 I InsO weiter und gewährt dem Anfechtungsgegner bei Vorlage eines schlüssigen Sanierungskonzeptes einen grundsätzlichen Vertrauensschutz ohne Überprüfungspflichten der Umsetzung. Gleichzeitig stellt der BGH klar, bei welchen erheblichen Anhaltspunkten dieser Vertrauensschutz ausnahmsweise entfallen kann.

Damit erleichtert der BGH dem Anfechtungsgegner ohne größeren Begründungsaufwand bei Vorlage eines professionellen Sanierungskonzeptes die Widerlegung der Vermutungswirkung des § 133 I 2 InsO, während sich im Gegenzug für eine erfolgreiche Vorsatzanfechtung der Begründungsaufwand des Insolvenzverwalters weiter erhöht.

Rechtsanwältin Sandra Dambacher

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