Der Neunte Zivilsenat des BGH hat in letzter Zeit (in neuer Besetzung) eine Reihe von Entscheidungen zur „Neuausrichtung“ der Vorsatzanfechtung getroffen. Das heute kommentierte Urteil bestätigt diese Rechtsprechung zum subjektiven Tatbestand des § 133 InsO und betrifft das Thema der Beweislast beim Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners im Rechtsstreit des Gläubigers gegen den Schuldner. Bemerkenswert ist dabei, dass der BGH bei der Lösung des Falles auch seine alte Rechtsprechung berücksichtigt.
Altes und Neues zur Vorsatzanfechtung
BGH: Zur Beweislast beim Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners im Rechtsstreit des Gläubigers gegen den Bürgen
BGB § 765 Abs. 1; InsO §§ 133 Abs. 1, 144 Abs. 1; ZPO § 286
BGH, Urteil vom 13.10.2022 – IX ZR 130/21 (OLG Karlsruhe)
I. Leitsatz des Verfassers
Hat der Tatrichter im Rechtsstreit des Gläubigers gegen den Bürgen, der das Wiederaufleben der Forderung des Gläubigers bestreitet, nach Rückgewähr der vermeintlich anfechtbaren Leistung an den Insolvenzverwalter bei ansonsten feststehender Tatsachengrundlage Zweifel am Vorliegen des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes des Schuldners, geht dieser Umstand zu Lasten des Gläubigers.
II. Sachverhalt
Die Klägerin gewährte der Schuldnerin ein verzinsliches Darlehen in Höhe von 150.000 EUR. Der Beklagte, Gesellschafter und Steuerberater der Schuldnerin, verbürgte sich für die Rückzahlung dieses Darlehens einschließlich der Zinsen persönlich und unter Verzicht auf die Einrede der Vorausklage. Die Schuldnerin hatte mit einer dritten Person einen Vertrag über die Errichtung einer stillen Gesellschaft geschlossen, in dem sich die stille Gesellschafterin zu einer Bareinlage in Höhe von 525.000 EUR bis spätestens fünf Monate nach der Pflicht zur Rückzahlung des Darlehens verpflichtete. Außerhalb des Drei-Monats-Zeitraums der §§ 130, 131 InsO, aber innerhalb der Anfechtungsfrist des § 133 InsO leistete die Schuldnerin an die Klägerin eine Teilzahlung auf das durch die Bürgschaft des Beklagten abgesicherte Darlehen in Höhe von 50.000 EUR. Nach Insolvenzverfahrenseröffnung über das Vermögen der Schuldnerin und Anfechtung der von der Schuldnerin bewirkten Zahlung erstattete die Klägerin dem Insolvenzverwalter die an sie gezahlten 50.000 EUR und verlangt nunmehr von dem Beklagten die Zahlung dieses Betrags nebst Zinsen.
Das LG hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Auf die Berufung des Beklagten hat das OLG die Klage abgewiesen. Der Klägerin stehe ein Anspruch aus der Bürgschaft nicht zu. Ihre Darlehensforderung sei von der Schuldnerin getilgt worden und auch nicht in Folge der Anfechtung der Zahlung nach § 144 Abs. 1 InsO wiederaufgelebt. Die Voraussetzungen für eine Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO hätten nicht vorgelegen. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes treffe die sich auf die Anfechtbarkeit der Darlehensrückzahlung berufende Klägerin und dieser könne nicht mit der gebotenen Sicherheit festgestellt werden.
Der Neunte Zivilsenat des BGH hat die Revision gegen das Urteil des OLG auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
III. Rechtliche Wertung
Zweifel am Vorliegen des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes des Schuldners gehen im Rechtsstreit des Gläubigers gegen den Bürgen zu Lasten des Gläubigers
Die Klägerin könne die begehrte Zahlung von dem Beklagten nicht gem. § 765 Abs. 1 BGB aus der Bürgschaft verlangen. Für die Verpflichtung des Bürgen, für die Verbindlichkeit eines Dritten einzustehen, sei der jeweilige Bestand der Hauptverbindlichkeit maßgebend (§ 767 Abs. 1 Satz 1 BGB). Akzessorische Sicherheiten – wie im Streitfall die Bürgschaft – würden mit einer erfolgreichen Insolvenzanfechtung wiederaufleben, wie wenn die Forderung nie erloschen gewesen wäre. Die durch die Bürgschaft gesicherte Darlehensverbindlichkeit der Schuldnerin sei in Folge der bewirkten Zahlung an die Klägerin gem. § 362 Abs. 1 BGB in Höhe von 50.000 EUR erloschen und nach Rückgewähr dieses Betrages an den Insolvenzverwalter nicht gem. § 144 Abs. 1 InsO wiederaufgelebt. Gewähre der Empfänger einer Leistung das Erlangte an den Insolvenzverwalter auf dessen Verlangen zurück, lebe seine Forderung gem. § 144 Abs. 1 InsO nur dann wieder auf, wenn die Leistung tatsächlich anfechtbar gewesen sei. Das Berufungsgericht habe eine Anfechtbarkeit der in Frage stehenden Zahlung nach § 133 Abs. 1 InsO a.F. rechtsfehlerfrei verneint, weil es sich nicht von dem Vorliegen eines Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes der Schuldnerin habe überzeugen können.
Das Berufungsgericht habe mit Recht angenommen, dass der Gläubiger grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für die Anfechtbarkeit der Leistung iSd § 144 Abs. 1 InsO, insbesondere für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners, trage. Der Gläubiger des Hauptschuldners trage daher im Verhältnis zum Bürgen grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für die Anfechtbarkeit der Leistung. Zweifel am Vorliegen eines Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes würden zu seinen Lasten gehen.
Zwar sei revisionsrechtlich eine von der Schuldnerin zum Zeitpunkt der Zahlung an die Klägerin auch erkannte Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO zu unterstellen. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Schuldnerin habe bei der Zahlung an die Klägerin von einer nachhaltigen Beseitigung ihrer gegenwärtigen Zahlungsunfähigkeit in der Zukunft ausgehen dürfen, sei aber frei von Rechtsfehlern. Die Schuldnerin habe einen zu erwartenden Liquiditätszufluss durch die künftig stille Gesellschafterin berücksichtigen dürfen. Sowohl nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH als auch nach der Rechtsprechung des BGH zur Neuausrichtung der Vorsatzanfechtung sei die Würdigung des Berufungsgerichts, ein Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin sei nicht festzustellen, ohne Rechtsfehler. Denn auch nach der alten Rechtsprechung des BGH handele der Schuldner nicht mit Benachteiligungsvorsatz, wenn er aufgrund konkreter Umstände – etwa der sicheren Aussicht, demnächst Kredit zu erhalten oder eine Forderung realisieren zu können – mit einer baldigen Überwindung der Krise rechnen könne.
IV. Praxishinweis
Der BGH hat in dieser Entscheidung zum einen – unter ausführlicher Begründung (vgl. Rn. 15 bis 22) – bestätigt, dass der Gläubiger des Hauptschuldners im Verhältnis zum Bürgen grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für die Anfechtbarkeit der Leistung trägt und Zweifel am Vorliegen eines Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes zu seinen Lasten gehen. Zum anderen hat der BGH aufgezeigt, dass im Streitfall – nach der bisherigen Praxiserfahrung des Verfassers gilt dies aber auch für eine nicht unerhebliche Zahl von weiteren Fällen – die neue und die alte Rechtsprechung des BGH bezüglich des Vorliegens des subjektiven Tatbestands der Vorsatzanfechtung zum selben Ergebnis kommen. Der BGH betont in seiner Entscheidung, dass das Indiz der erkannten Zahlungsunfähigkeit bereits nach bisheriger Rechtsprechung keine (widerlegliche) Vermutung begründet hat, sondern es einer Gesamtwürdigung aller maßgeblichen unstreitigen oder bewiesenen Umstände des Einzelfalls gem. § 286 BGB bedurft hat.
Rechtsanwalt Dr. Pascal Schütze, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
Mehr Informationen zur Insolvenzanfechtung unter www-insolvenz-anfechtung.de