Selbst bei einer mehrjährigen Verzögerung kann eine Zustellung im Ausland noch „demnächst“ erfolgen

21. Oktober 2021 Blog Restrukturierung und Sanierung

In insolvenzrechtlichen Streitigkeiten mit Auslandsberührung kann sich die Übersetzung der Klage und die Zustellung der Klage im Ausland mitunter lange Zeit, im konkreten Falle fast zwei Jahre, hinziehen. Wurde die Klage kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist eingereicht, stellt sich die Frage, ob selbst bei einer Verzögerung der Zustellung um mehrere Jahre noch von einer Zustellung „demnächst“ die Rede sein kann und eine Verjährungshemmung damit erreicht werden konnte.

Lesen Sie dazu eine aktuelle Entscheidung des Bundesgerichtshofes.

Keine Zurechnung von Versäumnissen des Gerichts zum redlichen Kläger

Art. 4, 13 EuInsVO (VO (EG) 1346/2000), §§ 134, 143, 146 InsO, §§ 195, 199 BGB, § 167 ZPO
BGH, Urteil vom 29.7.2021 - IX ZR 94/19 (OLG Hamburg)

I. Leitsatz der Verfasserin
Wenn der Kläger alle geforderten Mitwirkungshandlungen für eine ordnungsgemäße Klagezustellung erbracht hat und sich die Zustellung dennoch aufgrund der Abläufe bei Gericht verzögert, ist die Klage dennoch ‚demnächst‘ im Sinne des § 167 ZPO zugestellt.

II. Sachverhalt
Die Insolvenzschuldnerin beglich vorinsolvenzlich eine Forderung des in den Niederlanden ansässigen Beklagten, die diesem gegen eine Gruppengesellschaft der Schuldnerin zustand. Diese Forderungsschuldnerin ihrerseits war zur Zahlung nicht im Stande.

Der Insolvenzverwalter erhob Ende Dezember 2014 Anfechtungsklage gegen den Beklagten mit dem Hinweis auf die drohende Verjährung und der Bitte an das Gericht, die Übersetzung der Klage und der Anlagen einzuholen und die Zustellung zu veranlassen. Der Vorschuss auf die Gerichts- und Übersetzungskosten erfolgte Mitte Januar. Nach mehrfachen Nachfragen und zunächst erfolgter Zustellung ohne Übersetzung beantragte das Gericht die Zustellung Ende März 2015 nach Art. 4 EuZUVO (VO (EG) 1393/2007). Auf weitere Sachstandsanfrage drei Monate später teilte das Gericht mit, die Klage sei in Zustellung. In Ermangelung eines Zustellnachweises veranlasste das Gericht die erneute Zustellung im November 2016 mit Eingang des Rückscheins im Dezember 2016, also zwei Jahre nach Klageerhebung.

Das Berufungsgericht rechnete die Verzögerungen im Geschäftsbetrieb des Gerichts dem Kläger zu, da sich dieser nach Juni 2015 nicht mehr erkundigte. Dem widersprach der BGH.

III. Rechtliche Wertung
Der BGH stellte zunächst klar, dass nach dem deutschen Insolvenzrecht (lex fori concursus, Art. 4 Abs. 2n EuInsVO (VO (EG) 1346/2000)) die Zahlung als unentgeltliche Leistung nach § 134 InsO anfechtbar war. Denn die Forderung des Beklagten gegen die eigentliche zahlungsunfähige Forderungsschuldnerin war wertlos.

Nach deutschem Recht sei der Rückgewähranspruch allerdings nicht verjährt. Es bestehe keine Pflicht der Klägerseite, das gerichtliche Vorgehen zu kontrollieren oder durch Nachfragen auf eine beschleunigte Bearbeitung hinzuwirken, wenn der Kläger alle von ihm geforderten Mitwirkungshandlungen, insbesondere die Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses, erbracht hat. Sodann tritt die Hemmung der Verjährung nach § 167 ZPO mit Eingang bei Gericht ein, die Zustellung erfolgte demzufolge „demnächst“ im Sinne dieser Vorschrift.

Das Gericht verweist auf die kürzlich ergangene Rechtsprechung des EuGH mit der Klarstellung, dass bei der Frage der Anfechtbarkeit einer Zahlung durch Dritte das Vertragsstatut auch für die Zahlung selbst maßgebend ist (EuGH, C-73/20, Urt. v. 22.4.2021). Demzufolge sei vorliegend niederländisches Recht für den lex causae-Einwand gem. Art. 13 EuInsVO (VO (EG) 1346/2000) zu berücksichtigen.

Die Sache war nicht zur Entscheidung reif und wurde zurückverwiesen. Festzustellen ist nunmehr, ob der Einwand des Beklagten verfängt, also ob die Zahlung nach niederländischem Recht unanfechtbar oder sonst nicht angreifbar ist oder ein eventueller Rückgewähranspruch sogar verjährt ist.

IV. Praxishinweis
Der BGH hatte erst kürzlich entschieden (BGH, Urt. v. 25.2.2021), dass die Zustellung der Klage in einem anderen EU-Mitgliedstaat „demnächst“ iSd § 167 ZPO erfolgt, wenn der Kläger sie mit einer durch das Gericht einzuholenden Übersetzung beantragt und den vom Gericht angeforderten Vorschuss unverzüglich einzahlt. In diesem Fall trat ebenfalls eine Verzögerung von einem Jahr ein, weil mehrere Übersetzer den Auftrag nicht angenommen hatten.

In der Gesamtschau beider Urteile muss sich der Kläger also weder die Versäumnisse des Gerichts noch eventuelle Schwierigkeiten bei der Beschaffung einer Übersetzung durch das Gericht zurechnen lassen, sofern der Kläger selbst seine prozessualen Obliegenheiten erfüllt.

Dass dies nun in kurzer Zeit doppelt bestätigt wurde, schafft einerseits Rechtssicherheit. Andererseits hebt es doch die Praxis beim Umgang mit der Übersetzung von Klageschriften ins Licht. Zumal Art. 6 EuInsVO eine ausschließliche Zuständigkeit von Annexklagen bei den Gerichten des Eröffnungsstaates vorschreibt.

Hervorhebenswert erscheint deshalb der Hinweis des BGH, dass es bei der Zustellung einer Klage in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Kläger freisteht, die Übersetzung der Klage selbst zu beschaffen oder durch das Gericht einholen zu lassen (auch BGH, Urt. v. 25.2.2021). Im Regelfall dürfte es also aus Klägersicht geboten sein, sich mit Blick auf Qualität und Zeitrahmen selbst um eine beglaubigte Übersetzung zu kümmern.

Die große Hürde des hiesigen Rechtsstreits ist allerdings noch zu nehmen: die Prüfung der Unangreifbarkeit der Zahlung nach niederländischem Recht. Dazu zählen die objektiven und subjektiven Voraussetzungen des Anfechtungsgrundes, die Anfechtungsfristen sowie auch die Verjährung von Rückgewähransprüchen nach niederländischem Recht. Sollte z. B. die Verjährungsfrist dort weniger als drei Jahre ab dem Ende des Jahres, in dem das Verfahren eröffnet wurde, betragen, ist der Einwand des Beklagten nach Art. 13 EuInsVO (VO (EG) 1346/2000) durchschlagend.

Rechtsanwältin Dr. Annerose Tashiro, Registered Foreign Lawyer (SRA)