Reduzierung der Miete von Gewerbemieträumen aufgrund coronabedingter Geschäftsschließung

07. Februar 2022 Blog Insolvenzrecht

Mit seinem Urteil vom 12. Januar 2022 hat der BGH nun etwas Klarheit darüber geschaffen, unter welchen Voraussetzungen Mieter von Gewerberäumen berechtigt sind, eine reduzierte Miete zu zahlen, wenn sie die Räume aufgrund hoheitlicher Schließungsanordnungen im Zuge der COVID-19-Pandemie nicht wie gewohnt nutzen konnten oder können. Das Urteil ist sowohl für gewerbliche Mieter selbst von wirtschaftlicher Bedeutung als auch für (vorläufige) Insolvenzverwalter von in die Insolvenz geratenen Gewerberaummietern.

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Olaf Diederich

Rechtsanwalt

BGH: Anpassung der Gewerberaummiete wegen Störung der Geschäftsgrundlage aufgrund coronabedingter Geschäftsschließung

BGB §§ 275 Abs. 1, 313 Abs. 1, 326 Abs. 1, 536 Abs. 1 Satz 1; EGBGB Art. 240 § 2, Art. 240 § 7
BGH, Urteil vom 12.01.2022 - XII ZR 8/21 (OLG Dresden)

I. Leitsatz der Verfasser
Die durch die COVID-19-Pandemie bedingte Schließung eines Einzelhandelsgeschäfts führt nicht zu einem Mangel der Mietsache im Sinne von § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB. Dem Vermieter wird dadurch die vertraglich geschuldete Leistung zur Überlassung und Erhaltung der Mietsache in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand auch nicht ganz oder teilweise unmöglich.

Im Fall einer Geschäftsschließung, die auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie beruht, kommt grundsätzlich ein Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB in Betracht.

Bei der Prüfung, ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, verbietet sich eine pauschale Betrachtungsweise. Maßgeblich sind vielmehr sämtliche Umstände des Einzelfalls. Daher sind auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt hat.

II. Sachverhalt
Die Parteien schlossen einen Mietvertrag über Gebäude und Parkplätze zur Nutzung als Verkaufs- und Lagerräume eines Einzelhandelsgeschäfts für Textilien aller Art sowie Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs. Aufgrund der Allgemeinverfügungen anlässlich der Corona-Pandemie war das Textileinzelhandelsgeschäft der Beklagten im Mietobjekt vom 19.3.2020 bis einschließlich 19.4.2020 geschlossen. Nach entsprechender Ankündigung mit Schreiben vom 24.3.2020 zahlte die Beklagte die Miete für den Monat April 2020 nicht und rechnete gegen die Mietzahlungspflicht für die Zeit vom 20. bis 30.4.2020 mit der aus ihrer Sicht überzahlten Miete für die Zeit vom 19. bis 31.3.2020 auf.

III. Rechtliche Wertung
Der BGH stellt zunächst klar, dass die behördliche Untersagung der Öffnung der Filiale der Beklagten keinen Mangel der Mietsache i.S.v. § 536 Abs. 1 BGB darstellt, da ein solcher voraussetze, dass die durch die Untersagung bewirkte Gebrauchsbeschränkung unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage des Mietobjekts in Zusammenhang steht.

Im Falle einer Geschäftsschließung, die auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie beruht, komme allerdings ein Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB in Betracht.

Auf dieser Grundlage könne eine Anpassung nur insoweit verlangt werden, als dem einen Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.

Bei der vorzunehmenden Abwägung sei von Bedeutung, welche Nachteile dem Mieter durch die Geschäftsschließung und deren Dauer entstanden sind. Der Mieter habe neben dem konkreten Umsatzrückgang für die Zeit der Schließung auch darzulegen und nachzuweisen, welche Maßnahmen er ergriffen hat oder ergreifen konnte, um die drohenden Verluste während der Geschäftsschließung zu vermindern. Zu berücksichtigen seien auch finanzielle Vorteile, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich dieser pandemiebedingten Nachteile erlangt hat. Sofern der Mieter bestreite, diese erhalten zu haben, müsse er darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass er sich um mögliche Hilfeleistungen vergeblich bemüht hat.

IV. Praxishinweis
Ob und inwieweit eine Mietreduzierung in Betracht kommt, hängt nach dem Urteil von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Jegliche Pauschallösung schließt der BGH ausdrücklich aus. Maßgeblich ist insbesondere ein erlittener Umsatzrückgang, und zwar bezogen auf das konkrete Mietobjekt. Zur Beurteilung des Umsatzrückganges dürfte es naheliegen, als Vergleich die Umsatzzahlen im entsprechenden Zeitraum des Vorjahres heranzuziehen.

Das Urteil ist sowohl für gewerbliche Mieter selbst von wirtschaftlicher Bedeutung als auch für (vorläufige) Insolvenzverwalter von in die Insolvenz geratenen Gewerberaummietern.

Sofern die vom BGH geforderten Voraussetzungen, insbesondere der pandemiebedingte Umsatzrückgang, dargelegt werden können, bestehen gute Aussichten, sich gegen eine außergerichtliche oder gar gerichtliche Inanspruchnahme des Vermieters auf vollständige Zahlung der mietvertraglich vereinbarten Miete erfolgreich zu verteidigen.

Zudem könnte das Urteil den Weg ebnen, etwaig zu viel entrichtete Miete wieder zurückzufordern oder alternativ mit Ansprüchen auf Rückforderung überzahlter Miete gegenüber den Mietforderungen für die Folgemonate aufzurechnen.

Rechtanwalt Olaf Diederich
Rechtsanwalt Dr. Peer Koch
Fachanwalt für Steuerrecht