Pflegegeld auch beim Pflegenden unpfändbar

06. Februar 2023 Blog Insolvenzrecht

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass das Pflegegeld nach § 37 SGB VI unpfändbar ist und damit auch bei der pflegenden Person, die es erhält, nicht mit deren sonstigen Einkünften zusammenzurechnen ist.

Lesen Sie dazu eine aktuelle Entscheidung. Wir wünschen eine spannende Lektüre.

Dr. Elske Fehl-Weileder

Rechtsanwältin

Fachanwältin für Insolvenz- und Sanierungsrecht

BGH: Unpfändbarkeit von Pflegegeld

InsO § 35 I, § 36; BGB § 399; ZPO § 851 I; SGB XI § 37
BGH, Beschluss vom 20.10.2022 – IX ZB 12/22 (LG Oldenburg)

I. Leitsatz der Verfasserin
Das an die Pflegeperson weitergeleitete Pflegegeld ist unpfändbar. (Leitsatz des Gerichts)

II. Sachverhalt
Die Schuldnerin eines Insolvenzverfahrens, eine natürliche Person, hat neben ihrem Einkommen aus angestellter Erwerbstätigkeit Pflegegeld für die Versorgung des in ihrem Haushalt wohnenden autistischen Sohnes erhalten. Der Insolvenzverwalter hat die Zusammenrechnung beider Einkünfte bei dem zuständigen Insolvenzgericht beantragt. Sowohl das Amtsgericht Oldenburg als auch das Landgericht Oldenburg haben den Zusammenrechnungsantrag unter Hinweis auf die Unpfändbarkeit des Pflegegeldes abgewiesen, da das Pflegegeld nach § 37 SGB VI als Sozialleistung iSd § 54 Abs. 3 Nr. 3 SGB I anzusehen sei, die zum Ausgleich körper- oder gesundheitsbedingten Mehrbedarfs bestimmt ist. Dagegen wendet sich der Insolvenzverwalter mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde an den BGH.

III. Rechtliche Wertung
Der BGH hat die Entscheidung der beiden Vorinstanzen im Ergebnis bestätigt und die Rechtsbeschwerde des Insolvenzverwalters abgewiesen. Das AG und das LG seien zurecht davon ausgegangen, dass eine Zusammenrechnung des Pflegegeldes mit dem Arbeitseinkommen der Schuldnerin als Berechnungsgrundlage für die pfändbaren Beträge an der Unpfändbarkeit des Pflegegeldes scheitere. Die Zusammenrechnung nach § 850e ZPO sei in der Insolvenz über § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO anwendbar. Die Voraussetzungen nach § 850e Nr. 2, 2a ZPO seien jedoch nicht erfüllt.

Zwar ergebe sich die Unpfändbarkeit des Pflegegeldes nicht wie von den Vorinstanzen angenommen, aus der Einordnung des Pflegegeldes unter § 54 Abs. 3 Nr. 3 SGB I, da nicht die Schuldnerin selbst pflegebedürftige Person iSd § 14 SGB XI sei, sondern deren Sohn, den sie betreut. Jedoch sei das an die Pflegeperson weitergeleitete Pflegegeld gem. § 37 SGB XI nach § 851 Abs. 1 ZPO, § 399 BGB als unübertragbare Forderung unpfändbar.

Eine Forderung sei dann unübertragbar und damit unpfändbar, wenn die Leistung an einen anderen als den ursprünglichen Gläubiger nicht ohne eine Veränderung ihres Inhalts erfolgen kann. Dies sei unter anderem dann der Fall, wenn ohne Veränderung des Leistungsinhalts die dem Gläubiger gebührende Leistung mit seiner Person derart verknüpft ist, dass die Leistung an einen anderen Gläubiger als eine andere Leistung erschiene, vgl. BGH, Beschl. v. 22.5.2014 - IX ZB 72/12.

In diese Kategorie sei das Pflegegeld nach § 37 SGB VI einzuordnen. Dieses werde gezahlt, um dem Pflegebedürftigen zu ermöglichen, den ihn pflegenden Angehörigen und sonstigen Pflegepersonen eine materielle Anerkennung für deren Leistungen zukommen zu lassen, stelle aber nach seiner Konzeption kein direktes Entgelt für die Tätigkeiten der Pflegenden dar. Es solle einen Anreiz für häusliche Pflege durch Angehörige schaffen, müsse aber wegen deren grundsätzlicher Freiwilligkeit nicht die Höhe eines an professionelle Pflegekräfte zu zahlenden Entgelts erreichen. Diese Ziele würden nicht erreicht, wenn das Pflegegeld zwar bei dem zu Pflegenden, nicht aber bei der pflegenden Person Pfändungsschutz genießen würde, sondern mit dem Arbeitseinkommen der Pflegeperson zusammengerechnet werden könnte.

IV. Praxishinweis
Die Entscheidung des BGH ist zu begrüßen und sorgt für Klarheit für pflegende Angehörige: Erhalten sie Zuwendungen aus Pflegegeld, das der zu Pflegende gem. § 37 SGB VI erhält und freiwillig an sie weitergibt, müssen sie sich dieses nicht bei der Berechnung des Pfändungsbetrages mit ihren Arbeits- oder sonstigen Einkünften zusammenrechnen lassen. Rechtlich musste der BGH für dieses Ergebnis – anders als die Vorinstanzen – den etwas beschwerlichen Weg über § 851 Abs. 1 ZPO iVm § 399 BGB gehen und hätte sicherlich auch zu einem anderen Ergebnis kommen können. Gesellschaftspolitisch ist die Entscheidung jedoch geboten, um den Anreiz des Pflegegeldes für Angehörige nicht auszuhöhlen, wie der BGH relativ offen und unter Berufung auf die Gesetzesbegründung zum PflegeVG zutreffend ausführt.

Rechtsanwältin Dr. Elske Fehl-Weileder, Fachanwältin für Insolvenz- und Sanierungsrecht