Kein StaRUG-Restrukturierungsverfahren ohne vorherigen Gesellschafterbeschluss?

24. Juli 2023 Blog Insolvenzrecht Restrukturierung und Sanierung

Wird ein Restrukturierungsvorhaben nach § 31 StaRUG durch den Geschäftsführer einer GmbH ohne entsprechenden Gesellschafterbeschluss angezeigt, stellen sich zahlreiche Fragen an der Schnittstelle des Gesellschaft – und des Restrukturierungsrecht. Ist ein Beschluss der Gesellschafter erforderlich? Wenn ja, gelten die Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht?

Lesen Sie dazu die aktuelle Entscheidung des Amtsgericht Hamburg mit kritischem Praxishinweis.

Prof. Dr. Andreas J. Baumert

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

AG Hamburg: Erfordernis eines zustimmenden Gesellschafterbeschlusses für Anzeige einer Restrukturierungssache

StaRUG §§ 31, 33, 39; GmbHG § 37
AG Hamburg, Beschluss vom 17.03.2023 und Nichtabhilfebeschluss vom 17.04.2023 – 61c RES 1/23

I. Leitsatz des Verfassers

Ein Restrukturierungsverfahren ist aufzuheben, wenn kein zustimmender Gesellschafterbeschluss, der dem Geschäftsführer die Anzeige gestattet, herbeigeführt wurde und die Voraussetzungen des Missbrauchs der Vertretungsmacht vorliegen.

II. Sachverhalt

Der Geschäftsführer der Schuldnerin hat, ohne dass ein zustimmender Gesellschafterbeschluss, der ihm die Anzeige gestattet, vorlag, die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens nach § 31 StaRUG eingereicht. Das Restrukturierungsgericht hat die Restrukturierungssache aufgehoben und mit Nichtabhilfebeschluss vom 17.4.2023 der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen (Rn. 9-12). Das Beschwerdegericht hat nachfolgend die Entscheidung bestätigt und die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen (zitiert nach Harig, EWiR 2023, 406).

III. Rechtliche Wertung

Die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens sei nach § 31 StaRUG nicht wirksam. Es fehle die erforderliche Vertretungsmacht des Geschäftsführers, der nach den Grundsätzen des Missbrauchs der Vertretungsmacht die Schuldnerin nicht wirksam vertreten konnte, weil die im Innenverhältnis bestehende Beschränkung auf das Außenverhältnis durchschlage.

Die Aufhebung der Restrukturierungssache erfolge gem. § 33 Abs. 1 Nr. 3 bzw. Abs. 2 Nr. 3 StaRUG analog. Die Regelung sei analogiefähig. Dies gelte auch für den Fall wie hier, wenn ein Gesellschafterbeschluss, der die Anzeige gestatte, nicht vorliege. Ein solcher Beschluss sei jedoch erforderlich (Beschl. Rn. 3 unter Hinweis auf Rauhut, NZI-Beilage 1/2021, 52; Seibt/Westpfahl, StaRUG/Westpfahl, 2023, § 17 Rn. 36).

Es lägen auch die Voraussetzungen des Missbrauchs einer Vertretungsmacht vor. Das Gericht sei ohne Weiteres verpflichtet, die Restrukturierungsanzeige von Amts wegen zu prüfen, etwa die Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 31 StaRUG. Auch ergebe sich aus dem Amtsermittlungsgrundsatz gem. § 39 Abs. 1 StaRUG, dass das Gericht – wie ein Dritter – wisse oder es sich dem Gericht hätte aufdrängen müssen, dass es an einem gestattenden Gesellschafterbeschluss fehle. Die Rechtslage sei auch nicht mit derjenigen bei Insolvenzanträgen aufgrund drohender Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO vergleichbar. Die Amtsermittlungspflicht entstehe nach § 5 InsO erst mit einem zulässigen Insolvenzantrag (Nichtabhilfebeschluss Rn. 12 m.w.N.). Anders sei dies bei der Amtsermittlungspflicht nach § 39 StaRUG. Diese setze (nur) eine wirksame Anzeige nach § 31 StaRUG voraus (Rn. 12 unter Hinweis auf Jacoby/Thole, StaRUG/Schluck-Amend, 2023, § 39 Rn. 4). Eine wirksame Anzeige habe der Schuldner aber eingereicht (Beschluss, ebenda). Selbst wenn man jedoch davon ausgehen wollte, dass eine gerichtliche Ermittlung zur Frage, ob ein ermächtigender Gesellschafterbeschluss gefasst sei, nicht zulässig sein sollte, ändere dies nichts. Das Fehlen eines solchen Beschlusses sei unstreitig, was genüge (Nichtabhilfebeschluss, Rn. 12 mit unklarem w.N.).

Auch habe eine Eingabe des Minderheitsgesellschafters vom 22.2.2023 vorgelegen, so dass die Situation mit dem Vorliegen einer Schutzschrift vergleichbar sei (Nichtabhilfebeschluss, Rn. 12 m.w.N.).

IV. Praxishinweis

Der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg und der nachfolgend mitabgedruckte Nichtabhilfebeschluss (Rn 9 f.) überzeugt nicht (ebenfalls BeckOK StaRUG/Kramer, 9. Ed. 1.7.2023, StaRUG, § 31 Rn. 31a; Mock, NZI 2023, 585; Zehlicke/Krafczyk, ZRI 2023, 520). Bereits der Ausgangspunkt des Amtsgerichts Hamburg ist gesellschaftsrechtlich nicht gesichert. Wie Mock nachweist, wird auch für die Anzeige nach § 31 StaRUG in der Literatur angenommen, dass ein Gesellschafterbeschluss nicht erforderlich ist (Mock, NZI 2023, 584, 585 m.w.N.). M.E. besteht aber ein Erfordernis eines Gesellschafterbeschlusses wie bei der insoweit gleichlaufenden Rechtslage bei § 18 InsO (eingehend Karsten Schmidt, InsO, 20. Aufl. 2023, § 18 Rn. 51 m.w.N.). Zwar geht es bei der Anzeige nach § 31 StaRUG nicht um die Frage der Insolvenz, die dann bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens zum Übergang des Verwaltungs- und Verfügungsrechts auf den Insolvenzverwalter nach § 80 InsO führt. Auch ein Restrukturierungsverfahren ist m.E. wegen dessen durchaus bestehenden Eingriffsintensität für Gesellschafter jedoch der Entscheidung der Gesellschafter vorbehalten (str. wegen Wegfalls des § 2 Abs. 1 S. RefE, wonach kein Beschluss erforderlich war und wegen des Pflichtenkreises nach § 1 StaRuG, vgl. Braun/Ehret, StaRUG 2021, § 1 Rz. 10), selbst wenn dies nicht in der Satzung selbst ausdrücklich als Zustimmungsvorbehalt vorgesehen ist.

Anders als das Amtsgericht Hamburg meint, ist aber Rechtsfolge lediglich die Haftung des Geschäftsführers (deutlich für Antrag nach § 18 InsO Karsten Schmidt, a.a.O.)! Gemäß § 37 Abs. 2 S. 1 GmbHG haben interne Beschränkungen keine Außenwirkung, was auch für Gerichtsverfahren nach hM gilt (Henssler/Strohn/Oetker, Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2021, § 37 GmbHG Rn. 20 m.w.N.). Die Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsbefugnis greifen selbst für den Fall nicht, wenn man – wie das Amtsgericht Hamburg - annimmt, aufgrund der Amtsermittlung habe das Restrukturierungsgericht Kenntnis davon, dass ein Gesellschafterbeschluss nicht vorliege. Der Missbrauch der gesetzlich unbeschränkten Vertretungsmacht ist nicht bereits in dem Überschreiten der im Innenverhältnis gesetzten Schranken durch den Geschäftsführer zu sehen, sondern darin, dass sich der Dritte entgegen Treu und Glauben auf die Unbeschränktheit der Vertretungsmacht beruft (Henssler/Strohn/Oetker, Gesellschaftsrecht, § 37 GmbHG Rn. 23 m.w.N.).

So liegt der Fall von vornherein nicht bei einem Insolvenzantrag gem. § 18 InsO oder wie hier bei einer Anzeige eines Restrukturierungsvorhabens nach § 31 StaRUG. Es verstößt nicht gegen das Gebot von Treu und Glauben, wenn das Restrukturierungsgericht Kenntnis vom Fehlen eines Gesellschafterbeschlusses bei Eingang der Anzeige – z.B. wegen einer Schutzschrift - hatte (a.A. Harig, EWiR 2023, 406, 407). Es ist ein wirksamer verfahrenseinleitender Antrag (hier Anzeige) gestellt worden, unabhängig davon, was das Gericht über interne Beschränkungen der nach außen wirksamen gesetzlichen Vertretungsmacht nach § 37 GmbHG bei Zugang der Anzeige bei Gericht weiß.

Der Streit über die internen Beschränkungen der Vertretungsberechtigung ist nur gesellschaftsrechtlich auszutragen (Jacoby/Thole, StaRUG/Schluck-Amend, § 39 Rn. 6 m.w.N.). Ob im Einzelfall bei einer solchen gesellschaftsrechtlichen Streitigkeit wegen internen Pflichtverstößen neben einer Geschäftsführerhaftung auch die Aufhebung der Restrukturierungssache von Amts wegen nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Variante 2 StaRUG in Betracht kommt, hängt von der tatrichterlichen Feststellung ab, ob das angezeigte Restrukturierungsvorhaben keine Aussicht auf Umsetzung hat. Dazu hat das Amtsgericht keine Feststellungen getroffen. Die pauschale Analogie zu § 33 Abs. 1 Nr. 3 bzw. Abs. 2 Nr. 3 StaRUG (Beschluss, Rn. 2) geht fehl, zumal jedenfalls eine bewusste Regelungslücke nicht ersichtlich ist. Feststellungen dazu fehlen ohnedies!

Rechtsanwalt Prof. Dr. Andreas J. Baumert, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht