Hausaufgaben machen!
Dr. Lutz Jäde und Dr. Maximilian Majic von Oliver Wyman sprechen im Interview über die Ergebnisse ihrer Restrukturierungsstudie „The Crisis after the crisis“ und erläutern, warum Unternehmen ihre Hausaufgaben machen sollten.
Herr Jäde, Herr Majic, der Titel der Studie lautet „Die Krise nach der Krise“. Wieso?
Majic: Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie beschäftigen Unternehmen seit mehr als zwei Jahren, und es ist davon auszugehen, dass sich das so bald leider nicht ändern wird – denken Sie etwa an die Lockdowns in China und die daraus resultierenden Störungen der globalen Lieferketten.
Jäde: Die meisten Branchen haben sich von dem starken Nachfrageeinbruch im Jahr 2020 erholt. Allerdings haben viele Unternehmen immer noch mit den Spätfolgen der Corona-Krise zu kämpfen. Hinzu kommt – und darauf bezieht sich der Titel unserer Studie – dass der Krieg in der Ukraine den ohnehin hohen Druck auf Lieferketten, die Energiepreise und die Verfügbarkeit wichtiger Rohstoffe weiter verstärkt. Man kann durchaus sagen, dass die Krise der Normalzustand geworden ist.
In Ihrer Studie haben Sie die wahrscheinlichsten Faktoren abgefragt, die Unternehmen 2022 in Bedrängnis bringen. Welche sind das?
Jäde: 80 Prozent der Befragten schätzen die Spätfolgen der Corona-Pandemie als eine der wahrscheinlichsten Krisenursachen ein. Das zeigt, welche großen Auswirkungen die Pandemie weiterhin hat. Dass mit 63 Prozent geopolitische Konflikte als Krisenursache genannt werden, ist hingegen neu – und wahrscheinlich wäre dieser Wert angesichts der zunehmenden Spannungen zwischen den USA und China in Bezug auf Taiwan jetzt sogar noch höher. Disruptive Entwicklungen im Kundenverhalten und bei Technologien stellen für 60 Prozent der befragten Experten weitere Herausforderungen dar.
Wie sieht es bei der Finanzierung aus?
Jäde: Im Vergleich zu den bereits genannten Krisenursachen sehr gut. Von über 100 Teilnehmern hat kein einziger die Verfügbarkeit von Kapital als wesentliche Krisenursache angegeben. Wir haben über dieses Ergebnis unserer Studie mit mehreren Banken gesprochen. Die Kreditvergabe wird aus deren Sicht zwar restriktiver – allerdings nur dann, wenn die Unternehmen ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Von daher ist fehlende Finanzierung eher ein nachgelagerter Effekt, aber nicht der originäre Grund für die Krise.
Majic: Wer hingegen einen überzeugenden Plan vorlegen kann, wie die strategischen und operativen Herausforderungen bewältigt werden können, hat bei Finanzierungen – zumindest aktuell – keine Probleme. Denn es zeigt sich ganz klar: Die derzeitige Krise ist weitaus stärker operativ und strategisch geprägt als die Krise in den Jahren 2008 und 2009, bei der Finanzierungen das dominierende Thema waren.
Was raten Sie Unternehmen bei Gesprächen mit Geldgebern?
Jäde: Es ist wichtig, den Geldgebern gegenüber transparent zu sein. Wenn ich als Unternehmer einer Bank zeigen kann, dass ich die Risiken für mein Geschäft ergebnisoffen analysiert und auf dieser Basis meine Planung für die nächsten Jahre aufgestellt habe, ist das in Finanzierungsgesprächen sehr förderlich. Als Basis für die Planung bietet sich zum Beispiel ein Krisen- und Risikofrüherkennungssystem an, das geeignet ist, mögliche „bestandsgefährdende Entwicklungen“ für das Unternehmen – also schwere Krisen – frühzeitig zu erkennen, so dass geeignete Gegenmaßnahmen initiiert werden können.
Was sollte die Planung umfassen?
Majic: Neben den bereits erwähnten Risiken sollten in der Planung auch unterschiedliche Szenarien definiert sein – also: Wie geht das Unternehmen vor, wenn Risiko A eintritt, wie, wenn Risiko B eintritt und so weiter. Zudem sollten in der Planung die Ziele des Unternehmens definiert werden und natürlich der Finanzierungsbedarf. Gerade in Zeiten wie diesen, in denen sich Krise an Krise reiht, sollten Unternehmen einen finanziellen Puffer für derzeit noch nicht vorhersehbare Herausforderungen einplanen. Das gehört auch zu einer guten Planung.
Welche Branchen sind von der aktuellen Krise besonders betroffen?
Jäde: Neben der Bauindustrie sind der Maschinen- und Anlagenbau, der Energiesektor und vor allem die Automobilzulieferbranche unter Druck. Allerdings hat dieser Druck in jeder Branche jeweils andere Gründe, sei es Digitalisierung, der Wandel der Versorgung, die Elektrifizierung des Antriebsstrangs oder die sogenannten ESG-Kriterien.
Was bedeutet die aktuelle Krisenfolge für Unternehmen?
Jäde: Sie müssen alles auf den Prüfstand stellen – bis hin zum Geschäftsmodell. Bislang war es so: Als Anlagenbauer hat man eine Anlage zu einem günstigen Preis gebaut und sein Geld über den Service verdient. Das funktioniert heute nicht mehr ohne weiteres, was für einige Unternehmen einen enormen Veränderungsbedarf nach sich zieht. Und nicht nur im Anlagenbau verändern sich Geschäftsmodelle so schnell wie noch nie.
Majic: Auch im Automotive-Bereich gibt es Veränderungen. Diese Branche war schon immer zyklisch. Früher mussten jedoch in Krisenzeiten vor allem die Kosten reduziert und die Liquidität zusammengehalten werden. Die wesentliche Frage war daher damals: wann wird das Tal der Tränen hinter einem liegen? Dass die Umsätze wieder kommen, stand außer Frage. Dieser Automatismus gilt – zumindest für einige Zulieferer – so heute nicht mehr. Denn diese müssen nun neben den beschriebenen Herausforderungen parallel ihre Geschäftsmodelle überdenken und die Transformation stemmen. Das steigert den Finanzierungsbedarf enorm.
Wie sollten Unternehmen reagieren?
Jäde: Das lässt sich ebenfalls gut am Beispiel der Automobilzulieferer darstellen: In Zeiten mit wenigen Aufträgen, aber gleichzeitig mit exorbitant gestiegenen Kosten – etwa für Rohstoffe und Energie – ist es das A und O, den Liquiditätsschock so lange wie möglich abzufedern. Das ist aber in der Tat alles andere als einfach. Gleichzeitig müssen die Lieferketten so aufgestellt werden, dass sie stabil sind. Und das Unternehmen muss sein Geschäftsmodell so anpassen, dass es wirtschaftlich arbeiten kann.
Majic: Die positive Nachricht ist, dass die Nachfrage nach Autos weiterhin vorhanden ist. Wenn die Lieferschwierigkeiten – in hoffentlich absehbarer Zeit – vorbei sind, können sowohl Hersteller als auch Zulieferer mit einem stabilen, wenn nicht sogar größeren Absatzmarkt rechnen.
Die Interviewpartner
Dr. Lutz Jäde und Dr. Maximilian Majic
sind Partner bei Oliver Wyman in München. Jäde leitet die Turnaround und Restructuring Practice, Majic berät vornehmlich Automobilzulieferer in Sondersituationen.