Einmal begründete Zuständigkeit deutscher Insolvenzgerichte bleibt erhalten

20. Oktober 2022 Blog Restrukturierung und Sanierung

Mitunter versuchen Schuldner den Zugriff auf ihr Vermögen durch einen Sitzwechsel in einen anderen Staat zu erschweren. Jedenfalls dann, wenn die internationale Zuständigkeit einmal begründet ist, nützt dies allerdings nichts mehr.

Wir wünschen eine spannende Lektüre.

Art. 3 EuInsVO bestimmt die internationale Zuständigkeit, nicht die örtliche

Art. 3 EuInsVO, § 3 InsO
BGH Beschluss vom 7.7.2022 – IX ZB 14/21 (LG Berlin)

I. Leitsatz der Verfasserin
Deutsche Gerichte bleiben international nach Art. 3 EuInsVO zuständig, auch wenn der Antrag bei einem örtlich unzuständigen deutschen Insolvenzgericht gestellt wurde und noch vor Verweisung der COMI in einen anderen Mitgliedstaat verlegt wird.

II. Sachverhalt
Eine Gläubigerin stellte im Oktober 2018 Insolvenzantrag am Sitz der Schuldnerin beim Insolvenzgericht in Cottbus. Im April 2019 übertrug der Gesellschafter-Geschäftsführer der Schuldnerin seine Anteile an eine in Polen ansässige Person. Der Sitz wurde nach Berlin verlegt und eine weitere in Polen ansässige Person wurde zur Geschäftsführerin bestellt. Im Juni 2019 verwies das AG Cottbus die Sache zum AG Charlottenburg. Der Antrag wurde vom AG Charlottenburg im Juli 2019 mangels Masse abgewiesen. Die Schuldnerin verfolgt mit der Rechtsbeschwerde die Abweisung des Antrags als ‚unzulässig‘.

III. Rechtliche Wertung
Das Beschwerdegericht und der BGH verweisen darauf, dass der EuGH bereits entschieden hat, dass das angerufene Gericht nach Art. 3 EuInsVO zuständig bleibe, auch wenn nach Antragstellung der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen (COMI) in einen anderen Mitgliedstaat verlegt würde.

Das Beschwerdegericht stellte zudem fest, dass sich der EuGH noch nicht zu dem Fall geäußert hat, dass der Antrag bei einem örtlich unzulässigen Gericht eingereicht wurde. Aus der Vermutungsregel des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO folge jedoch, dass dies jedenfalls bei Antragstellung am satzungsmäßigen Sitz zu bejahen sei, da erst im Eröffnungsverfahren die Vermutung widerlegt werden könne, dass der COMI der Ort des Sitzes sei. Deshalb sind für die internationale Zuständigkeit die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Antragstellung maßgebend. Dies bestätigt der BGH.

Zum Zeitpunkt der Antragstellung bei dem AG Cottbus im Oktober 2018 befand sich der COMI in Berlin. Ob das AG Cottbus örtlich zuständig war, sei für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit nicht entscheidend. Die Anhängigkeit des Insolvenzantrags folgt dem Eingang bei dem zuerst angerufenen Gericht (§ 2 InsO). Eine Verweisung infolge fehlender örtlicher Zuständigkeit (§ 4 InsO) begründet kein neues Eröffnungsverfahren. Das Gericht, an welches verwiesen wurde, führt das Verfahren in dem Stadium fort, in dem es zum Zeitpunkt der Verweisung war. Gemäß ErwGr 26 EuInsVO bestimmen die Zuständigkeitsvorschriften nur den Mitgliedstaat, dessen Gerichte Insolvenzverfahren eröffnen dürfen. Zur innerstaatlichen örtlichen Zuständigkeit verhält sich die EuInsVO nicht. Deshalb verweist Art. 3 EuInsVO auch nur abstrakt auf ‚die Gerichte‘ eines Mitgliedstaates, in dessen Hoheitsgebiet der COMI liegt.

Der BGH führt zudem aus, dass dies auch dem Sinn und Zweck der Zuständigkeitsvorschriften EuInsVO folgt, die eine Verlagerung zum Zwecke einer verbesserten Rechtsstellung (Forum Shopping) verhindern wollen. Zudem widerspräche ein Wechsel der Zuständigkeiten das Ziel der Verbesserung der Effizienz und Wirksamkeit grenzüberschreitender Verfahren. Selbst wenn demnach ein Antrag bei einem örtlich unzuständigen Gericht gestellt wurde, sollte ein Wechsel der einmal begründeten internationalen Zuständigkeit nicht mehr möglich sein.

IV. Praxishinweis
Nachdem der BGH bislang in diesen Fragen recht vorlagefreudig war, sieht er sich offenbar durch die jüngste EuGH Entscheidung zur Beständigkeit der Zuständigkeit trotz Verlegung des COMI nach Antragstellung auch gemäß Art. 3 EuInsVO (VO 2015/848) (EuGH Urt. v. 24.3.2022 – C-723/20) bestärkt, selbst zu entscheiden. Diese war nach der Entscheidung des Beschwerdegerichts ergangen.

Der EuGH hat seit seiner Entscheidung vom 17.1.2006 (EuGH, C-1/04) konsequent seine Rechtsprechung zur Frage des Zeitpunktes der Zuständigkeit fortgeschrieben.

Vielleicht wäre auch eine Vorlage der Sache mit einem Wert der Rechtsbeschwerde von 21 EUR bei dem EuGH mit dem zitierten Erwägungsgrund der Verbesserung der Effizienz nicht in Einklang zu bringen gewesen.

Rechtsanwältin Dr. Annerose Tashiro, Registered Foreign Lawyer (SRA)