Einkommensteuererstattungen für den Zeitraum des Insolvenzverfahrens gehören zur Insolvenzmasse

10. März 2022 Newsletter Restrukturierung und Sanierung

Fließen dem Schuldner nach Erteilung der Restschuldbefreiung noch Erträge zu, die aber bereits in der Zeit der Insolvenz begründet wurden, ist manchmal streitig, ob diese dem Schuldner persönlich oder der Insolvenzmasse zustehen.

Lesen Sie dazu eine aktuelle Entscheidung des Bundesgerichtshofs.

Dr. Elske Fehl-Weileder
Dr. Elske Fehl-Weileder

Rechtsanwältin

Fachanwältin für Insolvenz- und Sanierungsrecht

BGH: Neuerwerb im laufenden Insolvenzverfahren / Anspruch auf Erstattung von Einkommensteuerzahlungen

InsO § 35 I, § 300a
BGH, Urteil vom 13.1.2022 – IX ZR 64/21 (LG Dortmund, Az. XI S 83/20)

I. Leitsatz der Verfasserin
Wird dem Schuldner im laufenden Insolvenzverfahren die Restschuldbefreiung erteilt, gehört der Anspruch auf Erstattung von Einkommensteuerzahlungen zur Insolvenzmasse und nicht zum insolvenzfreien Neuerwerb des Schuldners, wenn der die Erstattungsforderung begründende Sachverhalt vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder während des Verfahrens vor Ablauf der Abtretungsfrist verwirklicht worden ist.

II. Sachverhalt
Die Schuldnerin eines im September 2012 eröffneten Insolvenzverfahrens, eine natürliche Person, hatte für die Jahre 2012 bis 2018 keine Einkommensteuererklärung abgegeben. Nach Ablauf der Abtretungsfrist im September 2018 dauerte das Insolvenzverfahren noch an, wurde aber der Schuldnerin rechtskräftig die Restschuldbefreiung erteilt. Erst danach wurden die ausstehenden Steuererklärungen abgegeben, für zwei Jahre von der Schuldnerin selber und für die restlichen Jahre von dem Insolvenzverwalter. Jedenfalls für das Jahr 2018 ist ein Bescheid ergangen, aus dem sich eine Erstattung von rd. 1.000 EUR ergeben hat, die an den Insolvenzverwalter ausgezahlt wurde. Daraus hat der Insolvenzverwalter den auf den Zeitraum nach Ablauf der Abtretungsfrist entfallenden Anteil an die Schuldnerin ausgekehrt. Die Schuldnerin vertritt hingegen die Ansicht, dass ihr sämtliche Steuererstattungsansprüche aus den Jahren 2012 bis 2018 zustehen, und damit auch der Gesamtbetrag für das Jahr 2018. Die Erstattungen hätten sich erst aus der Einreichung der Steuererklärungen nach Ablauf der Abtretungsfrist und Erteilung der Restschuldbefreiung ergeben und seien daher nicht vom Insolvenzbeschlag erfasst, sondern vielmehr Neuerwerb. Sie verlangt daher die Auszahlung des vom Insolvenzverwalter vereinnahmten Differenzbetrages für das Jahr 2018. Für die Jahre 2012 bis 2017 macht sie im Wege einer Stufenklage einen Auskunftsanspruch über die Höhe der festgesetzten und an den Insolvenzverwalter ausgezahlten Erstattungen sowie deren Auszahlung geltend.

Das AG hat die Klage abgewiesen, ebenso das Berufungsgericht, das aber die Revision zugelassen hat. Mit dieser verfolgt die Insolvenzschuldnerin ihr Klagebegehren weiter.

III. Rechtliche Wertung
Der BGH hält das klageabweisende Berufungsurteil aufrecht. Maßgeblich für die Massezugehörigkeit eines Steuererstattungsanspruchs sei nicht der Zeitpunkt der Vollentstehung des Rechts, sondern der Zeitpunkt, in dem insolvenzrechtlich der Rechtsgrund für den Anspruch gelegt worden ist. Im Fall der Einkommensteuererstattung, die aus vom Arbeitslohn des Schuldners einbehaltener Lohnsteuer resultiert, werde der Rechtsgrund für die Erstattung bereits mit der Abführung der Lohnsteuer gelegt (BGH v. 12.1.2006 – IX ZB 239/04). Dieselben Grundsätze seien im sog. asymmetrischen Verfahren auch anzulegen für die Frage, ob ein Steuererstattungsanspruch dem nach Ablauf der Abtretungsfrist entstehenden insolvenzfreien Neuerwerb oder noch der Insolvenzmasse zuzurechnen ist. Unerheblich sei, dass der Insolvenzbeschlag aufgrund des andauernden Insolvenzverfahrens für alle anderen Gegenstände außer dem Neuerwerb fortbestehe.

Auch im Lichte des hier noch nicht anwendbaren § 300a InsO ergebe sich kein Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Zwar sei § 300a InsO insofern missverständlich formuliert, als in dessen Absatz 1 Satz 2 Vermögensgegenstände wie z. B. Anfechtungsansprüche von den Wirkungen des Abs. 1 Satz 1 ausgenommen werden, die ohnehin nicht als Neuerwerb im Sinne dieser Vorschrift in Frage kämen, sodass daraus zum Teil abgeleitet werde, dass nunmehr auf den Zeitpunkt des Vermögenszuflusses abgestellt werden müsse, dieser Eindruck sei jedoch falsch. Der Gesetzgeber habe bei der Schaffung des § 300a InsO die bisherige Rechtsprechung des BGH zum Neuerwerb im asymmetrischen Insolvenzverfahren abbilden wollen, habe jedoch übersehen, dass es sich bei den in § 300a Abs. 1 Satz 2 InsO genannten Fällen ohnehin nicht um Neuerwerb des Schuldners handeln könne. Die drei darin geregelten vermeintlichen Ausnahmefälle betreffen Vermögensgegenstände, die ohnehin zu der weiterhin dem Insolvenzbeschlag unterliegenden Masse gehören würden. Für den Anfechtungsanspruch ergebe sich dies bereits daraus, dass ein solcher erst nach Insolvenzeröffnung entstehen kann und das aus einer Insolvenzanfechtung Erlangte in keinem Fall dem Schuldner zustehen solle. Die beiden anderen Ausnahmefälle, Führung eines Rechtsstreits und Verwertung eines Vermögensgegenstandes, müssten sich denklogisch auf massezugehörige Gegenstände beziehen; wann der Rechtsstreit eingeleitet oder die Verwertungshandlung vorgenommen worden ist, sei insofern ohne Bedeutung.

Steuererstattungsansprüche aus den Veranlagungszeiträumen, die in das eröffnete Insolvenzverfahren bis zu dessen Aufhebung fallen, seien daher kein insolvenzfreier Neuerwerb, sondern ein Massebestandteil, der durch den Insolvenzverwalter vereinnahmt werden könne.

IV. Praxishinweis
Der BGH nutzt einen Fall, in dem diese Vorschrift noch gar nicht gilt, um sich ausführlich mit dem § 300a InsO auseinanderzusetzen. Er stellt dabei klar, dass dessen Wortlaut insofern verfehlt ist, als die „Ausnahmen“ des Abs. 1 Satz 2 kein insolvenzfreier Neuerwerb sein könnten. Einer in der Literatur hierzu vertretenen Auffassung, die danach differenzieren möchte, wann der Rechtsstreit eingeleitet bzw. die Verwertungshandlung des Verwalters vorgenommen worden ist, erteilt der BGH ausdrücklich eine Absage. Diese einheitliche Handhabung in Bezug auf die Einordnung der Massezugehörigkeit ist begrüßenswert. Der BGH stellt mit diesem Urteil unmissverständlich klar, dass der Schuldner auch im asymmetrischen Insolvenzverfahren nicht die dieser zustehenden Steuererstattungsansprüche der Masse entziehen kann, indem er die Einreichung der Steuererklärungen bis nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens verzögert.

Rechtsanwältin Dr. Elske Fehl-Weileder, Fachanwältin für Insolvenzrecht