Darlehen eines GmbH-Gesellschafters sind im Falle der Insolvenz der Gesellschaft gem. §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 4 InsO nachrangig. Wurden sie im letzten Jahr vor der Insolvenzantragstellung zurückgezahlt, ist die Rückzahlung anfechtbar gem. § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Eine Ausnahme davon gilt jedoch, wenn es sich bei dem Gesellschafter um einen sogenannten „Kleinbeteiligten“ iSd § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO handelt. Die Abgrenzung kann im Einzelfall schwierig sein. Lesen Sie dazu eine aktuelle Entscheidung des Bundesgerichtshofs.
Die Voraussetzungen des Kleinbeteiligtenprivilegs müssen im letzten Jahr vor Insolvenzantragstellung vorliegen
BGH: Im Fall der Anfechtung gem. § 135 Abs. 1 Nr.2 InsO greift das Kleinbeteiligtenprivileg ein, wenn seine Voraussetzungen im letzten Jahr vor Insolvenzantragstellung vorlagen
InsO §§ 39 Abs. 5, 135 Abs. 1 Nr. 2
BGH, Urteil vom 20.04.2023 - IX ZR 44/22 (OLG Köln)
I. Leitsatz des Verfassers
Für das Kleinbeteiligtenprivileg im Fall der Anfechtung der Rückzahlung eines Darlehens oder einer darlehensgleichen Finanzierungsleistung des Gesellschafters genügt es, dass seine Voraussetzungen in dem Zeitraum von einem Jahr vor Beantragung des Insolvenzverfahrens vorliegen. Auf die Verhältnisse in der Zeit davor, insbesondere zum Zeitpunkt der Finanzierungsentscheidung des Gesellschafters, kommt es grundsätzlich nicht an.
Für die Annahme einer die Anwendbarkeit des Kleinbeteiligtenprivilegs entgegenstehenden koordinierten Finanzierung genügt es nicht, dass der geringfügig beteiligte Gesellschafter einer darlehensgleichen Finanzierungsleistung an den Schuldner in der Gesellschafterversammlung nur zustimmt, ohne damit zugleich eine über seine Rolle hinausgehende unternehmerische Verantwortung zu übernehmen.
II. Sachverhalt
Der Beklagte war am Stammkapital der Schuldnerin – einer GmbH – in Höhe von 10 % beteiligt und bis Ende 2017 deren Geschäftsführer. Im Juni 2017 hatte die Gesellschafterversammlung beschlossen, den Überschuss aus dem Jahr 2016 auf neue Rechnung vorzutragen. Im Juni 2018 beschloss die Gesellschafterversammlung die Ausschüttung dieses Betrages an die Gesellschafter. Der Beklagte erhielt 68.500 EUR. Im April 2019 stellte die Schuldnerin Insolvenzantrag. Nach Insolvenzeröffnung verlangt der klagende Insolvenzverwalter Rückzahlung des Betrages von 68.500 EUR unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung gem. § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Nachdem das Berufungsgericht die Klage abgewiesen hatte, hatte die vom Senat zugelassene Revision keinen Erfolg.
III. Rechtliche Wertung
Der Senat führt aus, dass eine Anfechtung bereits deshalb ausscheide, weil der Beklagte in dem Zeitraum von einem Jahr vor Insolvenzantragstellung durchgängig unter das Kleinbeteiligtenprivileg gem. § 39 Abs. 5 InsO gefallen sei, da er in dieser Zeit nicht mehr Geschäftsführer der Schuldnerin war. Allerdings sei die Frage umstritten. Nach einer Auffassung könne das Kleinbeteiligtenprivileg nur dann in Anspruch genommen werden, wenn die Voraussetzungen des § 39 Abs. 5 InsO bereits im Zeitpunkt der Darlehensgewährung vorlagen. Nach überwiegender Ansicht hingegen sei das Kleinbeteiligtenprivileg dann anzuwenden, wenn die Geschäftsführung vor Beginn des Zeitraums gem. § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO niedergelegt wurde und die Beteiligung im entscheidenden Zeitraum höchstens 10 % betrug. Dieser Auffassung schließe sich der Bundesgerichtshof an. Das MoMiG habe das für das Eigenkapitalersatzrecht bestimmende Tatbestandsmerkmal der Krise und das damit einhergehende Erfordernis einer eigenkapitalersetzenden Finanzierungsleistung des Gesellschafters wegen der mit diesem Begriff verbundenen Untersicherheiten bewusst aufgegeben und durch einen Zeitraum von einem Jahr vor Insolvenzantragstellung ersetzt. Deshalb komme es für die Anfechtbarkeit ausschließlich auf Auszahlungen an Gesellschafter in dieser typischerweise kritischen Zeitspanne an. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei bereits geklärt, dass die Darlehensrückzahlung nur dann der Anfechtung unterliege, wenn der Darlehensgeber in diesem Zeitraum Gesellschafter oder einem solchen gleichzustellen war. Entsprechendes müsse für den zunächst nicht unter § 39 Abs. 5 InsO fallenden Gesellschafter gelten, der seine Beteiligung vor Beginn des Zeitraums gem. § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO reduziere oder seine Tätigkeit als Geschäftsführer aufgebe. Eine ggf. zu einer abweichenden Würdigung führende koordinierte Finanzierung der Gesellschaft durch einen Minderheitsgesellschaft in Zusammenwirken mit dem Mehrheitsgesellschafter liege nicht vor. Entscheidend dafür sei allein die Übernahme einer über den nominellen Gesellschaftsanteil hinausgehenden, überschießenden unternehmerischen Verantwortung des Kleinbeteiligten, die in einer koordinierten Fremdfinanzierung, wie beispielsweise einer Konsortialvereinbarung, zum Ausdruck kommen könne. Das bloße Einvernehmen der Gesellschafter bei der Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung bzw. die Zustimmung des Beklagten zu dem Gewinnvortrag genüge für eine solche Annahme nicht.
IV. Praxishinweis
Der Wortlaut der §§ 135 Abs. 1 InsO, 39 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 5 InsO stellt grundsätzlich nur darauf ab, dass ein Darlehen an einen Gesellschafter zurückgezahlt wurde, der zu mehr als 10 % am Stammkapital der Gesellschaft beteiligt war oder deren Geschäftsführer war. Dies war der Beklagte zum Zeitpunkt der Darlehensrückzahlung nicht. Man kommt nur zu einer Anfechtbarkeit, wenn man aus Gründen des Umgehungsschutzes auch diejenigen ehemaligen Gesellschafter in den Anwendungsbereich einbezieht, die (entsprechend der Vorschrift des § 139 Abs. 1 Nr. 2 InsO) in einem Zeitraum innerhalb eines Jahres vor Insolvenzantragstellung einmal Gesellschafter waren. Allerdings dürfte es dabei nicht genügen, wenn die Gesellschafterstellung innerhalb eines Jahres vor Insolvenzantragstellung, aber nach Rückzahlung eines bislang nicht gem. § 39 Abs. 1 Nr. 4 InsO verhafteten Drittdarlehens zustande gekommen ist. Auch wenn dieses Darlehen an den bisherigen Darlehensgeber und künftigen Gesellschafter gerade im Hinblick auf den beabsichtigten Beitritt zurückgezahlt wird, ist eine „Umgehung“ der Nachrangvorschriften darin nicht zu sehen (so aber wohl MüKoAnfG/Weinland, 2. Aufl. 2022, § 6 Rn. 20). Die Voraussetzungen der §§ 39 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 5 InsO liegen dann schlicht und einfach nicht vor. Daran ist nichts Missbilligenswertes festzustellen.
Rechtsanwalt Dr. Peter de Bra