Der Bundesgerichtshof stellt sich gegen Zombie-Unternehmen
Die Pilotfolge der Serie „The Walking Dead“ wurde Halloween 2010 ausgestrahlt. Seitdem wurden weltweit Fans mit dem „Zombie-Virus“ infiziert. Gleichzeitig stieg die Zahl der Zombie-Unternehmen. Im Interview erläutert Alexander Eggen von Schultze & Braun, wie der BGH sie aus dem Wirtschaftsleben vertreiben will.
Herr Eggen, was versteht man unter einem Zombie-Unternehmen und welchen Zusammenhang gibt es mit „The Walking Dead“?
Eggen: The Walking Dead erzählt die Geschichte einer kleinen Gruppe Überlebender nach einer weltweiten Zombie-Apokalypse. So weit – also eine weltweite Zombie-Apokalypse – sind wir im Wirtschaftsleben zum Glück noch nicht. Allerdings sind die Risiken durch Zombie-Unternehmen gerade seit der Wirtschafts- und Finanzkrise stark gestiegen. Die Unternehmensberatung Kearney hat in ihrer Analyse „Einmal Zombie, immer Zombie?“ festgestellt, dass sich seit 2010 – also dem Start von The Walking Dead – die Gesamtzahl der Zombie-Unternehmen weltweit nahezu verdreifacht hat. Ein Zombie ist ein Unternehmen laut OECD-Definition dann, wenn es mehr als zehn Jahre am Markt besteht und in drei aufeinander folgenden Jahren nicht in der Lage ist, seine Zinslast aus dem operativen Ergebnis zu decken.
Welche Gefahren gehen von Zombie-Unternehmen aus?
Eggen:Solche scheintoten Unternehmen infizieren ihre Geschäftspartner und können sogar gesunden Geschäftsmodellen den Garaus machen. Das ist dann wie bei The Walking Dead: Man sollte tunlichst darauf achten, nicht von einem Zombie gebissen zu werden. Problematisch ist jedoch, dass die wandelnden Toten in der Wirtschaft nicht so leicht zu erkennen sind, wie in der Serie. Betroffen vom Unwesen der Zombie-Unternehmen sind aber nicht nur ihre Geschäftspartner, sondern auch der Kapitalmarkt – etwa, wenn Kapitalgeber auf die vermeintliche Solvenz eines Zombie-Unternehmens bauen und darauf basierend eine Investition tätigen.
Der BGH hat sich nun mit einer Entscheidung gegen Zombie-Unternehmen gestellt. Was sind die Auswirkungen?
Eggen:Die Karlsruher Richter nehmen mit ihrer Entscheidung die Geschäftsführer direkt ins Visier und gehen die Zombie-Unternehmen damit auf einer neuen Ebene an. Dazu muss man wissen, dass Geschäftsführer, wenn ihr Unternehmen in eine Krise gerät, generell großen finanziellen Risiken ausgesetzt sind, wenn sie trotz Insolvenzreife den Geschäftsbetrieb fortführen und keinen Insolvenzantrag stellen. Diesen Risiken haben die Karlsruher Richter nun mit der Haftung wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung eine neue Dimension hinzugefügt.
Was bedeutet das für die Geschäftsführer von Zombie-Unternehmen?
Eggen: Wenn sie mit allen Mitteln versuchen, ihre eigentlich insolventen Unternehmen künstlich am Leben zu erhalten, erfüllen sie nun den Tatbestand einer sittenwidrigen Schädigung im Sinne des § 826 BGB. Allerdings muss der Geschäftsführer dabei die Schädigung der Gläubiger oder irgendwelcher anderer Personen für möglich halten und billigend in Kauf nehmen. Das dürfte aber bei Zombie-Unternehmen regelmäßig der Fall sein, und auch der BGH sieht das so: Wenn also ein Geschäftsführer die Insolvenzreife des Unternehmens erkannt hat und es dennoch weiterführt, ist auch nach Ansicht des BGH davon auszugehen, dass er das unabwendbare Ende des Unternehmens zum Nachteil der Gläubiger hinauszögern will.
Hat die Entscheidung des BGH weitere Auswirkungen?
Eggen:Die Geschäftspartner von Zombie-Unternehmen – die ja oftmals ahnungslos sind und gar nicht wissen, dass sie sich in finanzielle Gefahr begeben – erhalten mehr Möglichkeiten, sich gegen die Untoten der Wirtschaft zu wehren. Sie können jetzt ebenfalls gegen die Zombie-Geschäftsführer vorgehen. Den Schaden, der ihnen im Vertrauen auf den Fortbestand des Zombie-Unternehmens, können sie künftig gegenüber dem unredlichen Zombie-Geschäftsführer geltend machen. Er muss den Schaden dann persönlich ersetzen.
Inwiefern ist das etwas Besonderes?
Eggen:Anders als bislang muss der Geschäftsführer eines Zombie-Unternehmens also nicht aktiv geworden sein, um seine Haftung auszulösen. Es reicht, dass er seine Geschäftspartner nicht warnt und sie somit auf die vermeintliche Lebenskraft eines wandelnden Toten vertrauen. Hinzu kommt, dass Managerhaftpflichtversicherungen einen solchen Verstoß der Geschäftsführer möglicherweise nicht mehr abdecken, da es sich um vorsätzliches Unterlassen handelt. Zombie-Geschäftsführer könnten dann nicht mehr auf die Sicherheit ihrer Managerhaftpflichtversicherung vertrauen. Ihnen droht durch die neue rechtliche Sichtweise des BGH also eine persönliche Haftung ohne Netz und doppelten Boden – zumindest auf Basis der bisherigen Versicherungen.
Wie schätzen Sie die Wirkung der BGH-Entscheidung ein?
Eggen: Mit seiner Entscheidung hat der BGH auf jeden Fall die Attraktivität von Maßnahmen reduziert, mit denen Zombieunternehmen ihr untotes Dasein weiter fristen können. Das höchste deutsche Gericht stellt sich damit gegen Zombieunternehmen und will sie aus dem Wirtschaftsleben vertreiben, was allein durch das erneute Inkraftsetzen der Insolvenzantragspflicht bislang nicht gelungen zu sein scheint. Realistischerweise muss man allerdings sagen, dass es auch nach der BGH-Entscheidung – anders als bei The Walking Dead, die Serie läuft ja 2022 nach der 11. Staffel aus – noch Zombie-Unternehmen geben wird. Allerdings haben lebendige Unternehmen und Investoren nun mehr Möglichkeiten, die finanziellen Risiken durch Zombie-Unternehmen zu verringern. Trotzdem gilt weiterhin die Devise: Vorsicht vor Zombie-Unternehmen!
Mehr zum Thema Zombie-Unternehmen: Ein Interview mit Nils Kuhlwein von Rathenow, dem Autoren der Kearney-Analyse zu Zombie-Unternehmen finden Sie – neben einem Beitrag zur BGH-Entscheidung zu Zombie-Unternehmen – in der Halloween-Ausgabe unseres Online-Magazins Krise & Chance.
Dort lesen deutsche Unternehmen auch, wie sie es vermeiden können, von einem Forderungsausfall „gebissen“ zu werden, indem sie sich mit den Änderungen befassen, die es im französischen Recht kürzlich gegeben hat.