BGH zur Aushöhlung von Pflichtteilsansprüchen durch gesellschaftsvertragliche Nachfolgeklausel

16. Oktober 2020 Blog Erbrecht und Unternehmensnachfolge

Für eine gesteuerte Weitergabe von Vermögenswerten im Todesfall stehen dem Erblasser neben Testamenten auch rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten außerhalb des Erbrechts offen. Im Recht der Personengesellschaften besteht die Möglichkeit der Zuwendung von Rechtspositionen kraft gesellschaftsvertraglicher Regelung. Der BGH hat nunmehr entschieden, dass die gesellschaftsvertraglich auf den Todesfall vorgesehene Anwachsung eines Gesellschaftsanteils an einer GbR unter allseitigem Abfindungsausschluss eine Schenkung darstellen kann und damit der Pflichtteilsergänzung unterliegt. Näheres erfahren Sie in unserem Newsletter.

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Anwachsung eines GbR-Anteils beim überlebenden Gesellschafter unter Ausschluss eines Abfindungsanspruchs

BGH, Urteil vom 03.06.2020 – IV ZR 16/19
Vorinstanzen: OLG Hamburg, Urteil vom 15.01.2019 – 2 U 3/18
LG Hamburg, Urteil vom 16.01.2018 – 311 O 172/17

Leitsatz:

Die im Gesellschaftsvertrag einer zweigliedrigen, vermögensverwaltenden GbR für den Fall des Versterbens eines Gesellschafters vereinbarte Anwachsung eines Gesellschaftsanteils beim überlebenden Gesellschafter unter allseitigem Abfindungsausschluss kann eine pflichtteilsrelevante Schenkung nach § 2325 BGB sein.

Sachverhalt:

Der (spätere) Erblasser und seine Ehefrau in zweiter Ehe gründeten zwei vermögensverwaltende GbRs. In diese Gesellschaften brachten die Eheleute jeweils eine Immobilie ein. Eine der beiden Immobilien nutzten die Eheleute selbst. Die andere Immobilie vermieteten sie zu einem nicht marktgerechten Mietzins an den gemeinsamen Sohn. In den Gesellschaftsverträgen war folgende Klausel enthalten:

„Die Gesellschaft wird mit dem Tode eines Gesellschafters aufgelöst; der Anteil des verstorbenen Gesellschafters wächst dem Überlebenden an. Die Erben erhalten – soweit gesetzlich zulässig - keine Abfindung. Dieser wechselseitige Abfindungsausschluss beruht auf dem beiderseits etwa gleich hohen Risiko des Vorversterbens und ist im Interesse des jeweils überlebenden Gesellschafters vereinbart.“

Der Erblasser setzte seine zweite Ehefrau testamentarisch als Alleinerbin ein. Nach dem Tode des Ehemannes verlangte der Sohn des Erblassers aus erster Ehe seinen Pflichtteil. Er vertrat die Auffassung, dass der Wert der Wohnungen bei der Berechnung zu berücksichtigen sei. In der gesellschaftsvertraglichen Vereinbarung sei eine Schenkung an die Ehefrau zu sehen, die der Pflichtteilsergänzung unterliege.

Das LG Hamburg wies die Klage in erster Instanz ab, da das Gericht keine pflichtteilsrelevante Schenkung erkannte. Auf die Berufung des Klägers verurteilte das OLG Hamburg die Beklagte. Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten zum BGH hatte keinen Erfolg.

Entscheidung des BGH:

Nach den Umständen des Einzelfalls ist eine ergänzungspflichtige Schenkung anzunehmen, wenn die Beteiligten die gesellschaftsrechtliche Lösung zu dem Zweck gewählt haben, Pflichtteilsansprüche zu vermindern und kein unternehmerisches Fortführungsinteresse besteht.

In der auf den Todesfall bezogenen Verfügung des Erblassers über seinen Anteilswert an den Gesellschaften im Gesellschaftsvertrag sah der BGH eine unentgeltliche Zuwendung zugunsten der Ehefrau. Dem Kläger stand daher ein Pflichtteilsergänzungsanspruch und damit ein Anspruch auf Wertermittlung zu.

Der Vereinbarung einer Nachfolgeklausel mit Abfindungsausschluss kam nach Auffassung des BGH an dieser Stelle keine gesellschaftsrechtliche Zwecksetzung zur Sicherung des Fortbestands des Unternehmens zu. Die Gesellschaften dienten vielmehr allein der Wahrnehmung der Eigentümerposition für jeweils eine Wohnung, die selbstgenutzt bzw. zu nicht marktgerechtem Mietzins an einen Angehörigen vermietet war. Auch wurde die Vereinbarung nicht getroffen, um unter Übernahme des Risikos eines abfindungsfreien Verlusts der eigenen Gesellschaftsanteile eine Chance auf den Erwerb der Anteile ihres Mitgesellschafters zu erwerben. Der Erblasser ging mit der Vereinbarung vielmehr kein Verlustrisiko ein, die abfindungsfreie Übertragung der Gesellschaftsanteile entsprach gerade seiner Zielsetzung.

Hinweis:

Der BGH stellt sich mit dieser Entscheidung zu Gestaltungen an der Schnittstelle zwischen Erbrecht und Gesellschaftsrecht schützend vor den Pflichtteilsberechtigten.

Nach bisheriger Rechtsprechung stufte der BGH einen allseitigen Abfindungsausschluss für den Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters im Grundsatz nicht als Schenkung ein. Gesellschaftsvertragliche Nachfolgevereinbarungen hätten nicht den Sinn, dem Nachfolger letztwillig etwas zuzuwenden, sondern sollen in erster Linie den Unternehmenserhalt beim Tode eines Gesellschafters gewährleisten und seine Fortführung erleichtern. Zum anderen wende jeder Gesellschafter dem anderen das gleiche zu, so dass jeder das gleiche Risiko auf sich nehme, dass der Vorteil der Nachfolge dem anderen zufällt.

An dieser Rechtsprechung hält der BGH im Wesentlichen fest. Dies allerdings unter der Einschränkung, dass die schutzwürdigen Belange der Pflichtteilsberechtigten zu berücksichtigen und den Umständen zu der gesellschaftsvertraglichen Regelung nachzugehen ist. Erforderlich ist daher stets eine Prüfung der Gesamtumstände im Einzelfall.

Mit der Entscheidung bewerkstelligt der BGH im Bereich der rein vermögensverwaltenden Gesellschaften Schutz vor gesellschaftsrechtlichen Gestaltungen, welche das Ziel haben (unliebsame) Pflichtteilsberechtigte zu benachteiligen. Bei nicht vermögensverwaltenden GbRs begründen gesellschaftsvertragliche Nachfolgeregelungen keine Schenkung. Der Zweck, ein am Wirtschaftsleben teilnehmendes Unternehmen vor dem mitunter erheblichen Abfluss an Liquidität im Erbfall aufgrund von Abfindungsansprüchen zu schützen sowie gleichmäßig verteilte Risiken unter den Gesellschaftern, rechtfertigt dies.

Rechtsanwältin Anita Veenhoff

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