Betriebsübergang, Gleichbehandlungsgrundsatz und fehlende Pflicht zur Angleichung

05. September 2022 Blog Insolvenzrecht

Der Vollzug der Rechtsfolgen des § 613a BGB durch den Erwerber ist keine gestaltende Entscheidung, welche den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zur Anwendung kommen lässt. Der Erwerber muss die Arbeitsbedingungen der Belegschaft nicht angleichen.

Lesen Sie dazu eine aktuelle Entscheidung. Wir wünschen eine spannende Lektüre.

Joachim Zobel

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Arbeitsrecht

LAG Köln: Streit um Eintrittspflicht für Versorgungsanwartschaft

BetrAVG 1b, § 7 Abs. 2
BGB § 613a Abs. 1 S. 1, S. 2
LAG Köln (11. Kammer), Urteil vom 08.12.2021 - 11 Sa 246/21

I. Leitsatz des Verfassers
Der Gleichbehandlungsgrundsatz findet bei bloßem Normenvollzug keine Anwendung.

Vollzieht ein Arbeitgeber nur die sich aus § 613a Abs. 1 S. 1 u. S. 2 BGB erbenden gesetzlichen Rechtsfolgen, trifft er keine eigene verteilende Entscheidung.

II. Sachverhalt
Die Parteien streiten um die Eintrittspflicht des Beklagten als Träger der gesetzlichen Insolvenzsicherung für eine streitige Versorgungsanwartschaft.

Die Klägerin war seit dem 1.9.1982 Arbeitnehmerin der J. GmbH & Co. KG (B), deren Versorgungsordnung vom 1.11.1974 (VO 1974) nur für Mitarbeiter galt, die vor dem 1.1.1983 bei der B eingetreten waren.

Das Arbeitsverhältnis der Klägerin ging im Zuge eines Betriebsübergangs zum 1.1.1994 auf die R GmbH & Co. KG über, deren Rechtsnachfolge durch die einzige Komplementärin, die D Produktionsgesellschaft mbH erfolgte, die ab November 1997 als B Kalender GmbH firmierte. Zum 1.7.1997 hatte ein Teilbetriebsübergang hinsichtlich des inländischen Kalendergeschäfts von der R GmbH stattgefunden, in dessen Rahmen die übernommenen Arbeitnehmer unter anderem Zusagen nach dem Pensionsvertrag vom 1.10.1984 (PV I) oder dem vom 1.7.1986 (PV II) erhielten.

Die B SE & Co. KGaA schloss mit dem Konzernbetriebsrat eine Konzernbetriebsvereinbarung Pensionsvertrag II vom 18.6.1999 in der Fassung vom 29.11.2012 (KV PV II), die u.a. für Mitarbeiter galt, deren unbefristetes Anstellungsverhältnis zwischen dem 1.7.1986 und dem 30.6.1999 begonnen oder wieder begonnen hatte und die – gegebenenfalls bei früherem Eintritt – in diesem Zeitraum in die betriebliche Altersversorgung einbezogen wurden.

Nach erneuten Umfirmierungen der B Kalender GmbH, zuletzt in die A Kalender & Promotion Service GmbH, schied die Klägerin am 31.12.2017 aus dem Arbeitsverhältnis aus. Am 1.1.2018 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH eröffnet.

Der Beklagte erteilte der Klägerin einen Anwartschaftsnachweis über eine monatliche Altersversorgung aus der VO 1974 in Höhe von 100 EUR. Die Klägerin begehrte eine monatliche Altersrente aus der PV II in Höhe von 221 EUR und begründete dies mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz. 30 anderen, übernommenen Arbeitnehmern habe die Insolvenzschuldnerin das bereits erteilte Versorgungsversprechen durch den Abschluss neuer Arbeitsverträge bestätigt, und damit gestaltend gewirkt.

Das ArbG wies mit Urt. v. 25.2.2021 die Klage ab, mit der die Klägerin von dem Beklagten die Zahlung einer betrieblichen Altersversorgung im Versorgungsfall auch auf der Basis der KV PV II begehrte. Die Klägerin legte beim LAG Köln Berufung ein.

III. Rechtliche Wertung
Die Berufung der Klägerin sei nicht begründet. Die Klägerin habe gegen den Beklagten weder einen unmittelbaren Anspruch aus der KV PV II auf Leistung einer betrieblichen Altersversorgung noch sei sie aus Gründen der Gleichbehandlung Inhaberin einer Versorgungsanwartschaft aus der KV PV II, für die der Beklagte nach § 7 Abs. 2 BetrAVG einzustehen habe.

Gegen einen unmittelbaren Anspruch aus der KV PV II spräche, dass die Klägerin nicht konkret vorgetragen habe, dass die Insolvenzschuldnerin überhaupt zu dem Kreis der Konzernunternehmen gehörte, für die die Konzernbetriebsvereinbarung abgeschlossen wurde. Überdies gehöre die Klägerin nicht zu dem Personenkreis, für die die KV PV II gemäß ihrer Präambel Geltung beanspruche, denn sie sei nicht im Zeitraum zwischen dem 1.7.1986 und dem 30.6.1999 in die betriebliche Altersversorgung einbezogen worden.

Zwar könnten Versorgungsverpflichtungen nach § 1b Abs. 1 Satz 4 BetrAVG auch auf dem Grundsatz der Gleichbehandlung beruhen, woraus eine Anspruchsgrundlage auf Leistungen des Arbeitgebers erwachsen könne. Allerdings greife der Gleichbehandlungsgrundsatz wegen seines Schutzcharakters gegenüber der Gestaltungsmacht des Arbeitgebers nur dort ein, wo letzterer durch gestaltendes Verhalten ein eigenes Regelwerk oder eine eigene Ordnung schaffe. Keine Anwendung fände der Gleichbehandlungsgrundsatz hingegen bei bloßem Normenvollzug. Demnach könnten bisherige Arbeitnehmer des Betriebserwerbers, der lediglich die gesetzlichen Rechtsfolgen des § 613a Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB vollziehe, keine Anpassung ihrer Arbeitsbedingungen an die der übernommenen Arbeitnehmer verlangen.

Darüber hinaus sei der Erwerber auch nicht verpflichtet, nach längerer Zeit eine Angleichung der unterschiedlichen Arbeitsbedingungen herzustellen. Insbesondere habe die Insolvenzschuldnerin auch keine Fürsorgepflicht iSd § 241 Abs. 2 BGB verletzt, wenn er der Klägerin nach dem Teilbetriebsübergang kein Versorgungsversprechen nach der KV PV II gegeben habe, weil keine Rechtspflicht zur Angleichung der Arbeitsbedingungen bestünde.

IV. Praxishinweis
Speziell bei einem nicht tarifgebundenen Erwerberunternehmen können die Arbeitsbedingungen der Belegschaft auseinanderlaufen, wenn Mitarbeiter durch Betriebsübergänge und Teilbetriebsübergänge „aufgesammelt“ werden. Häufig ist der Bereich der betrieblichen Altersversorgung betroffen. Der Erwerber muss die divergierenden Arbeitsbedingungen aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz heraus nicht angleichen, was in rechtlicher Hinsicht eine begrüßenswerte Botschaft ist, die gleichermaßen innerhalb und außerhalb der Insolvenz gilt. In praktischer Hinsicht zeigt der vorliegende Fall aber, dass die Zwei- / Mehrklassengesellschaft zu Unzufriedenheit auf Arbeitnehmerseite führt. Inwieweit dies in Zeiten des Fachkräftemangels ignoriert werden kann, bleibt der Bewertung eines jeden Arbeitgebers überlassen.

Mehrwert schafft der Berater, wenn neben den rechtlichen Aspekten auch etwaig vorhandene Ungleichheiten und Lösungsansätze zur Befriedung aufgezeigt werden. Diese müssen nicht immer wertgleich kompensieren, und können dies auch selten, wenn Versorgungsanwartschaften über Jahre hinweg in unterschiedlichen Versorgungsordnungen erdient oder durch die Insolvenz in verschiedene Stränge aufgeteilt wurden. Die Ausarbeitung einer „Gleichstellung“ ist eine interdisziplinäre Aufgabenstellung, die rechtliche, betriebswirtschaftliche, versicherungsmathematische und personalpolitische Elemente enthält. Klar ist: Zielrichtung wird für den Erwerber ist nie die Entschädigung für Vergangenes, sondern vorrangig immer die Anerkennung für Zukünftiges. Wenn dabei Modelle entstehen, die zu einer Bindung der hinzugewonnenen Belegschaft führen, ist dies den Aufwand wert.

Rechtsanwalt Joachim Zobel, Fachanwalt für Arbeitsrecht